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DGPFG-Rundbrief
2/2016 Nr. 52

Dezember 2016

Liebe Mitglieder der DGPFG,

haben Sie nicht auch das Gefühl, dass auf unserer Seele herumgeTRUMPelt wird?

Dass ein Populist einen faktenlosen Wahlkampf gewinnt, sollte uns mehr als nachdenklich stimmen. Die von der Globalisierung vorgegaukelte, aber selten mögliche „Verfügbarkeit“ eines sorgenfreien Lebens erzeugt Gier, Kränkung und am Ende ein Gefühl von Bedeutungslosigkeit. Dies ist der Nährboden für fast alle Zeitphänomene wie auch den Erfolg des Populismus.

Was können wir Psychosomatiker tun?

Der bekannte Freiburger Ethiker Giovanni Maio schreibt in seinem Buch, Medizin ohne Maß: „Das Glück liegt nicht in unserer Hand, sondern in unserer Einstellung.“ …und damit können wir insbesondere mit unseren Patientinnen immer wieder arbeiten. Die biopsychosozial begleitete Elternschaft ist kein Garant aber Voraussetzung für eine Entwicklung zum selbstbewussten, kohärenten Menschen, der weniger Anfälligkeit zeigt für Extremismus, welcher Art auch immer.

Aber auch die ganz allgemeine psychosomatische Begleitung von Frauen in Ihren Lebensübergängen von der Menarche bis zur Menopause und in ihren Krisenzeiten, sei es aus biologischen, psychischen oder sozialen Gründen, hat aus meiner Sicht protektive Effekte.

Indem wir eine ehrliche und ganzheitliche Medizin anbieten, welche sich nicht dem Diktat von Ökonomie und Organisation unterordnet, leisten wir viel für den „Seelenfrieden“ – auch den unseren.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie nach Lektüre unseres Rundbriefes auch zu dem Schluss kommen, dass wir in der DGPFG und im Verbund mit den kooperierenden Verbänden gute Arbeit leisten. Vorstand und Beirat sind fleißig und haben viel geschafft. Wir sind auf gutem Weg – sind zunehmend bedeutsam, versuchen klug und evident zu entscheiden und öffnen unsere Grenzen, und damit stehen wir auch politisch auf der aus meiner Sicht richtigen Seite. Ich hoffe, viele von Ihnen sehen das auch so.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich und in freudiger Erwartung auf ein Wiedersehen in Dresden

Dr. Wolf Lütje
Präsident der DGPFG

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Inhaltsverzeichnis

Seite 3
Einladung zur Mitgliederversammlung


Seite 4
Klausurtagung im September 2016


Seite 5
Gewalt gegen Frauen


Seite 6
Die neue Homepage


Seite 7
DGPFG-Kongress 2017


Seite 8
Nationales Zentrum Frühe Hilfen


Seite 9
Kooperationen – Informationen und Stand der Dinge


Seite 10
Das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland BKiD


Seite 10
Perspektiven der psychosozialen Kinderwunschberatung in Deutschland – Tagung in Hamburg


Seite 11
Initiative Klug entscheiden


Seite 12
Kongressberichte


Seite 12
61. Kongress der DGGG 2016


Seite 13
DGPFG-Sitzung zu Migrationsthemen auf der DGGG-Tagung 2016


Seite 14
23. Jahrestagung des AKF


Seite 15
Fachtag „Gelingende Geburtshilfe“


Seite 16
Studie: Deutschland hat weniger Sex


Seite 17
Buchtipps


Seite 17
Vertrauen in die natürliche Geburt


Seite 17
Schönheitsmedizin


Seite 18
Impressum

Artikel des Monats Mai 2017

Artikel des Monats Mai 2017

vorgestellt von PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Epstein RM, Duberstein PR, Fenton JJ, Fiscella K, Hoerger M, Tancredi DJ, Xing G, Gramling R, Mohile S, Franks P, Kaesberg P, Plumb S, Cipri CS, Street RL Jr, Shields CG, Back AL, Butow P, Walczak A, Tattersall M, Venuti A, Sullivan P, Robinson M, Hoh B, Lewis L, Kravitz RL.

Effect of a Patient-Centered Communication Intervention on Oncologist-Patient Communication, Quality of Life, and Health Care Utilization in Advanced Cancer: The VOICE Randomized Clinical Trial.

JAMA Oncol. 2017 Jan 1;3(1):92-100. doi: 10.1001/jamaoncol.2016.4373.

Es gibt außerhalb von Beobachtungsstudien wenig Daten zum Zusammenhang zwischen patientenzentrierter Kommunikation, Lebensqualität  (QOL) und angewendeter Therapiestrategien bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen.  In der vorliegenden US-amerikanischen randomisiert-kontrollierten Studie wurde untersucht, inwieweit eine psychoonkologische Gesprächsintervention, die Onkologen, Patienten und weitere Betreuungspersonen beteiligt zu einer Verbesserung  der Kommunikation, der Lebensqualität und dem Einsatz von weniger invasiven Behandlungsstrategien am Ende des Lebens beitragen kann.

Es nahmen 38 Onkologen (mean age 44,6 Jahre; 11 (29%) weiblich) und 265 erwachsene Patienten mit fortgeschrittenen, nicht-hämatologischen Krebserkrankungen (mean age 64,4 Jahre, 146 [55.0%] weiblich, 235 [89%] weiß; Follow-up für 3 Jahre) an der Studie teil. 194 Patienten hatten zusätzlich weitere teilnehmende Betreuungspersonen.

Die Onkologen  erhielten ein Kommunikationstraining während die Patienten individualisiertes Coaching erhielten, um zu lernen, ihre Bedürfnisse besser identifizieren sowie an die behandelnden Onkologen adressieren zu können.  Beide Interventionen fokussierten auf Aspekte wie darauf, dass auf Emotionen besser eingegangen werden sollte, Informationsweitergabe an die Patienten über Prognose  und Behandlungsoptionen angemessen erfolgte. Die Kontrollgruppe erhielt kein Training.

Primäres outcome -Instrument war die Auswertung von  Tonaufnahmen der Patientengespräche nach dem Training oder nach dem Stuideneinschluss im Falle der Kontrollgruppe. Sekundäre Studienziele umfassten  die Arzt-Patienten-Beziehung, das Verständnis der Prognose, QOL und die Anzahl von aggressiven Behandlungen und Hospizaufenthalt in den letzten 30 Tagen des Lebens.

Nach statistischer Auswertung zeigte sich, dass die Interventionsgruppe statistisch-signifikante verbesserungen der Arzt-Patineten-Kommunikation aufwies  (adjusted intervention effect, 0.34; 95% CI, 0.06-0.62; P = .02). In den sekundären Studienzielen ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass eine kombinierte Intervention, die sowohl an die behnadelnden Onkologen als auch an die Behandelten gerichtet ist, eine positive Auswirkung auf die Arzt-Patienten-Kommunikation hat, aber keine Verbesserung der Lebensqualität mit sich bringt oder Behandlungsstrategien am Ende des Lebens beeinflusst.

Kommentar:

Das Sprechen über Tod und Sterben und Therapiebeendigung ist eine der schwersten ärztlichen Aufgaben, noch dazu wird es in der Ausbildung wenig gelehrt. Betrachtet man die

Aussagen dazu in der S3-LL Palliativmedizin, bewegen sich diese auf dem  Level der Expertenmeinung. Durch das in der Studie vorgestellte Kommunikationstraining kann evtl.  Vertrauen gebildet und/oder erhalten werden. Erreichbare Ziele können gemeinsam formuliert werden und so zu einer Verbesserung der Versorgung am Lebensende beitragen.

Friederike Siedentopf, Mai 2017

PD Dr. med. Friederike Siedentopf

OPEN YOUR EYES

TERRE DES FEMMES startet neue Social Media Kampagne zum Thema Weibliche Genitalverstümmelung –
die DGPFG unterstützt die Kampagne

Am Sonntag, den 7. Mai 2017 am weltweiten „Tag der genitalen Selbstbestimmung“, startete TERRE DES FEMMES gemeinsam mit der Agentur GREY eine Social Media Kampagne, die auf das Thema weibliche Genitalverstümmelung aufmerksam macht.

Das Kampagnen-Motiv zeigt ein geschlossenes Auge in vertikaler Perspektive, was so an eine beschnittene Vagina erinnert. Auf den Social Media Kanälen (Facebook, Twitter, Instagram etc.) teilen TERRE DES FEMMES UnterstützerInnen das Motiv als ein bewegtes Bild, in dem sich das geschlossene Augen entsprechend des Kampagnen Slogans öffnet und damit den wirklichen Bildinhalt offenbart. Für die Kampagnen-Website haben die AktivistInnen Interviews zu den „Geschichten hinter den Augen“ gegeben.
Die Kampagnen-Website ist unter www.eyesonfgm.de  erreichbar und bietet neben Informationen zu den Kampagnen-Aktivistinnen auch die Möglichkeiten zur Spende für die Arbeit der Organisation. Außerdem werden Informationen zu weibliche Genitalverstümmelung (FGM/C – Female Genital Mutilation/Cutting) vermittelt.
„Open Your Eyes“ soll der breiten Öffentlichkeit buchstäblich die Augen öffnen, damit das Problem der weiblichen Genitalverstümmelung von möglichst vielen Menschen wahrgenommen wird, denn nur so können wir uns gemeinsam gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation) einsetzen.

Die DGPFG beschäftigt sich seit langem immer wieder mit der Thematik, zuletzt auf der Klausurtagung von Vorstand und Beirat im Herbst 2016. Einen aktuellen Beitrag zur Thematik, verfasst von Prof. Dr. Dr.Mechthild Neises/ Beiratsmitglied der DGPFG, finden Sie hier.

Artikel des Monats April 2017

Artikel des Monats April 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Stewart DE. Perinatal mental health in low‐ and middle‐income country migrants. (Mini commentary) BJOG 2017; 124: 753

Die Welt befindet sich aktuell in einer Migrationskrise mit Millionen von Menschen, die sich  aus unterschiedlichen Gründen (kriegerische Konflikte, Gewalt und Terror, Naturkatastrophen oder die Suche nach einem besseren Leben) in einem Migrationsprozess befinden.
Tatsächlich wächst die Zahl der Migranten international stärker als die Weltbevölkerung.
Viele Migranten sind Frauen, die sich, da sie schwanger oder im Wochenbett sind, in einer besonders vulnerablen Lebensphase befinden. Sie sind erheblichen Gesundheitsrisiken sowie ökonomischen und sozialen Herausforderungen ausgesetzt.
Perinatale psychische Gesundheitsstörungen haben einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Mutter, des Un- und Neugeborenen sowie anderer Familienangehöriger und sind aktuell eine der häufigsten Störungen rund um die Geburt.
Am häufigsten treten perinatale Depressionen und Angststörungen auf. Diese betreffen wahrscheinlich 13% der Frauen in den entwickelten Industrieländern, ca. 15-20 % der Frauen in Entwicklungs- bzw. Ländern mit geringem Einkommen und 42 % der Migrantinnen.
Leider kommen die meisten entsprechenden Studien zur perinatalen psychischen Gesundheit aus den hochentwickelten (Industrie-)Ländern.
Bessere Informationen zu Migranten-Populationen insbesondere aus den sog. Entwicklungsländern sind daher notwendig und wünschenswert.
In der aktuellen Ausgabe der BJOG vom April 2017 geben die Autoren Fellmeth et al. eine hochaktuelle, methodisch streng durchgeführte Literaturübersicht zu diesem Thema. Sie analysierten 40 Studien, die nahezu 8000 Migrantinnen auf 4 Kontinenten umfassten und über 11.000 Frauen, die die jeweiligen Vergleichsgruppen bildeten. Sie fanden eine gepoolte Prävalenz von 31% für verschiedene depressive Störungen im Allgemeinen und eine von 17% für schwere Depressionen.
Obwohl nur wenige Studien eine erhöhte Rate für Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen für Migrantinnen aus einkommensschwachen Ländern zeigten, fand die nun vorliegende Literaturübersicht nur insuffiziente Daten zur Belastung durch Angst, posttraumatischen Stress oder Psychosen in den 4 auswertbaren /relevanten Studien.
Insgesamt sind neu zugewanderte Mütter vulnerabler gegenüber Störungen der psychischen Gesundheit als Nicht-Migrantinnen in den Zuwanderungsländern.
Die aktuelle Übersichtsarbeit von Fellmeth et al. (BJOG 2017) konnte zeigen, dass mit einer psychischer Belastungen in der Familien- oder Eigenanamnese oder dem Fehlen von sozialer Unterstützung Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen in der Perinatalphase gegeben sind.
Eine relativ kleine Studie, die depressive Mütter mit Migrationshintergrund in Kanada untersuchte, fand, dass die Separierung von der Familie, soziale Isolation insgesamt und das Gefühl der Überforderung durch die Lebensveränderungen an sich, finanzielle  Belastungen, ungenügende Kenntnisse des Gesundheitssystems im Zuwanderungsland und Sprachdefizite problematisch sind.
Im Hinblick auf die offensichtlich gegebenen erhöhten Risiken für perinatale psychische Störungen ist es wichtig, dass die Akteure im Gesundheitswesen sensibel sind gegenüber den besonderen Problemen, die sich bei der Betreuung und Versorgung von Migrantinnen, speziell solchen aus einkommensschwachen Ländern.
Forschungen zur Identifizierung von speziellen psychosozialen Interventionen für diese vulnerable Population sind dringend notwendig. Zwischenzeitlich, bis diese Untersuchungsergebnisse vorliegen, sollten solche Maßnahmen, die sie als günstig und effektiv in anderen Populationen herausgestellt haben, um die körperliche und psychische Gesundheit von Mutter und Kind  zu verbessern eingeführt  bzw. auch für Migrantinnen umgesetzt werden.

Prof. Dr. med. Matthias David, April 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats März 2017

Artikel des Monats März 2017

vorgestellt von PD Dr. med. Friederike Siedentopf

J.J.G. Gietel-Habets, C.E.M. de Die-Smulders, I.A.P. Derks-Smeets, A. Tibben, V.C.G. Tjan-Heijnen, R. van Golde, E. Gomez-Garcia, C.M. Kets and L.A.D.M. van Osch:
Awareness and attitude regarding reproductive options of persons carrying a BRCA mutation and their partners.
Human Reproduction, Vol.32, No.3 pp. 588–597, 2017

Die Studie untersucht den Informationsgrad und die Haltung von BRCA Mutationsträgerinnen und ihren Partnern  über Präimplantationsdiagnostik (PGD)und pränataler Diagnostik (PND) in den Niederlanden. Erhoben wurde, dass das Bewußtsein diesbezüglich relativ hoch ist. Das Angebot tatsächlich anzunehmen, dem stehen 80% der Mutationsträgerinnen und 26% ihrer Partner positiv gegenüber.

Die internationale Studienlage zeigt dagegen, dass der Grad der Bewusstheit eher gering ist, hingegen die Akzeptanz hoch.

In der niederländischen Querschnittsstudie wurden 191 Teilnehmer mittels Onlinesurvey zu demographischen und medizinischen Parametern befragt und die Kenntnis und Akzeptanz der Präimplantationsdiagnostik und pränataler Diagnostik erhoben.

Nur eine Minderheit würde die Methoden anwenden (PGD: 39%; PND 20%). Anwenden würden insbesondere und signifikant (p<0.001) häufiger Studienteilnehmerinnen mit hohem Bildungsstand für Personen mit aktuell bestehendem Kinderwunsch und diejenigen mit einer Brustkrebserkrankung in der Vorgeschichte.

Als limitierend ist die relativ geringe Responserate von nur 23% anzusehen. Auch die verwendeten Instrumente waren nicht validiert. Durch das Setting der Studie als Querschnittsuntersuchung lassen sich keine kausalen Zusammenhänge erfassen.

Die Autoren sehen als Konsequenz ihrer Ergebnisse, dass eine Ausweitung der Information betroffener Paare über reproduktionsmedizinische Optionen notwendig sei, weil ein Mangel an Information einen negativen psychologischen Impact haben kann.

Anmerkung: In Deutschland ist die Präimplantationsdiagnostik nur in engen Grenzen verfügbar, aber verschiedene Methoden der Pränataldiagnostik sehr wohl. Wahrscheinlich werden wir uns als betreuende Frauenärztinnen und –ärzte zunehmend zu Fragen der Patientinnen hinsichtlich prädiktiver medizinischer Maßnahmen äußern und mit der Thematik auseinandersetzen müssen.

Friederike Siedentopf, März 2017

PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Aktion Roter Stöckelschuh startet – 2017

DGPFG Logo

Presse-Mitteilung
Aktion „Roter Stöckelschuh“ startet
20.03.2017

Presseinformation

Dresden | Hamburg | überregional | Gesundheit | Gesellschaft

Sexarbeiterinnen in gynäkologischen Praxen willkommen

Dresden/Hamburg, 20. März 2017. Ab sofort  können FrauenärztInnen mit einem schicken Stöckelschuh ein Willkommen für Frauen aus der Sexarbeit signalisieren. Der sichtbar im Eingangsbereich der Praxis angebrachte Aufkleber zeigt: Hier werden Sexarbeiterinnen zu allen gynäkologischen Themen umfassend beraten und betreut.

Dazu gehören nicht nur die Krebs-Früherkennung oder die Behandlung von Regelschmerzen, sondern auch spezielle Fragen ihres Berufsalltags sowie fundierte Informationen zu Prävention, Diagnostik und Therapie von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) und die Beratung bei individuellen Problemen. Die Sticker sind Teil einer gemeinsamen Kampagne von FrauenärztInnen und Sexarbeiterinnen, die für einen respektvollen professionellen Umgang mit Sexarbeit in der Praxis wirbt.

Initialzündung auf wissenschaftlichem Kongress in Dresden

Dass ein solches Angebot fehlt, war eines der Ergebnisse der Podiumsdiskussion  „Was hat die Frauenheilkunde mit der Prostitution zu tun?“ im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) Anfang März 2017 in Dresden.  Unter der Überschrift „Das Eigene und das Fremde“ wurde eine äußerst aktuelle Thematik reflektiert. Neben den großen Themen Migration und transkulturelle Kommunikation hatte da die Prostitution ihren berechtigten Platz.

Emotionen und großes Interesse

Das Thema Sexarbeit wurde zum ersten Mal in Deutschland auf einem wissenschaftlichen gynäkologisch-psychosomatischen Kongress bearbeitet. Die hohe Aufmerksamkeit der nahezu 400 Teilnehmenden bestätigte die Entscheidung. „Schon der Begriff ‚Prostitution‘ weckt viele Emotionen. Aber wir wissen zu wenig darüber. Wir brauchen mehr Sachlichkeit in der Diskussion“, sagt Dr. med. Claudia Schumann aus Northeim, Frauenärztin und Vizepräsidentin der DGPFG. Lena Morgenroth aus Berlin vertrat die Sexarbeit auf dem Podium: „Die meisten meiner Kolleginnen trennen das – bei Fragen zu STI gehen sie lieber zum Gesundheitsamt oder zu Spezialpraxen. Bei der Frauenärztin des Vertrauens wollen sie sich dagegen nicht als Sexarbeiterin outen, weil sie nicht wissen, wie die reagiert und ob die sich überhaupt auskennt über Infektionswege bei besonderen sexuellen Praktiken.“

Weniger Erkrankungen durch Entkriminalisierung

„Zunächst ist es wichtig, klar zwischen Sexarbeit und Menschenhandel zu trennen“, betont Harriet Langanke, Sexualwissenschaftlerin aus Köln. Sie demonstrierte auf der Tagung in Dresden, wie sich unterschiedliche Gesetzeslagen international auf den gesellschaftlichen Umgang mit Prostitution auswirken: „Erfahrungen aus Neuseeland zeigen: Infolge einer konsequenten Entkriminalisierung von Sexarbeit haben Gewalterfahrungen und Erkrankungen unter Sexarbeiterinnen nachweislich abgenommen.“

Konkrete Daten zu Sexarbeit fehlen

Wie freiwillig der Entschluss zu Sexarbeit ist, hängt oft von den Alternativen ab, die Frauen für sich sehen. Dazu fehlen, wie auch zur Zahl der in Deutschland tätigen Sexarbeiterinnen, die genauen Daten. „Viele Frauen würden gerne anders ihr Geld verdienen. Angebote für den Ausstieg sind wichtig“, weiß Ulrike Richter. Die Sozialpädagogin in Dresden kennt das breite Spektrum vom Straßenstrich der Drogenabhängigen bis zum Escort-Dienst.

Aufkleber-Idee aus Hamburg

„Die Aufkleber fanden schon bei der Tagung in Dresden reißenden Absatz“, berichtet Claudia Schumann. „Mitgebracht hatte die Idee meine Kollegin Dorothee Kimmich-Laux aus Hamburg, die sich seit Jahren bei Ragazza engagiert.“ Das ist eine Kontakt- und Anlaufstelle für Frauen, die Drogen konsumieren und der Prostitution nachgehen. Dort wurde auch das Projekt geboren und der Sticker entwickelt. Die Aufkleber „Roter Stöckelschuh“ können beim Hamburger Verein ragazza geordert werden. Im vorab geschickten Freiumschlag erhalten die Besteller zudem wichtige thematische Informationen zugesendet.Spenden für die Arbeit von Ragazza sind willkommen!

Gemeinsames Ziel von DGPFG und BesD

Die DGPFG tritt gemeinsam mit dem Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleitungen (BesD) dafür ein, dass Sexarbeiterinnen gesundheitlich noch besser versorgt und betreut werden. Der Sticker ist der Anfang. Geplant sind gezielte Fortbildungen für FrauenärztInnen. „Sexarbeiterinnen wollen nicht ungefragt gerettet werden. Sie brauchen je nach Situation einen respektvolle Aufnahme, Zuhören, und Informationen“, erklärt  Dr. med. Dorothea Kimmich-Laux. Der BesD will eine Liste der frauenärztlichen Praxen führen, in denen Sexarbeiterinnen willkommen sind. Fabienne Freymadl, Vorständin des BesD und Sexarbeiterin: „Wir begrüßen diese Aktion. Sexarbeitende werden immer noch aktiv diskriminiert und stigmatisiert. Akzeptierend eingestellte Ärzt*innen sind für uns sehr wichtig, denn nur so haben wir den Mut, uns zu offenbaren.“

Über die DGPFG

Die interdisziplinäre Fachgesellschaft fusionierte im Jahr 2000 in Dresden aus der 1979 in der DDR gegründeten Arbeitsgemeinschaft für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe und der 1981 in der BRD entstandenen Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie. Dies war ein bis dato für deutsche wissenschaftliche Gesellschaften einmaliger Vorgang.

Die DGPFG mit heute rund 800 Mitgliedern möchte u. a. Forschung und Lehre in der psychosomatischen Frauenheilkunde und Geburtshilfe fördern, die  psychosomatische Versorgung im Gesundheitssystem unterstützen und die Qualität der psychosomatischen Grundversorgung und der fachgebundenen Psychotherapie sichern.
www.dgpfg.de

Über den BesD

Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. wurde 2013 in Köln gegründet. Der Verband möchte die Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeitern aller Geschlechter verbessern, über die unterschiedlichen Aspekte von Prostitution informieren und der Diskriminierung und Kriminalisierung von Menschen in der Sexarbeit entgegen wirken.
www.berufsverband-sexarbeit.de

Über ragazza

ragazza ist eine niedrigschwellige und akzeptierende Kontakt- und Anlaufstelle mit einem integrierten Gesundheitsraum/ Konsumraum in Hamburg. Sie bietet Hilfen für Frauen, die Drogen konsumieren und der Prostitution nachgehen.
www.ragazza-hamburg.de

Ansprechpartnerinnen für die Presse
Dr. med. Claudia Schumann
Vizepräsidentin der DGPFG
E Claudiaschumann@t-online.de
M +49 170 7322580

Dr. med. Dorothee Kimmich-Laux
Frauenärztin Ragazza/Hamburg
E Kimmich-Laux@t-online.de
M +49 171 9526174

Foto Aktion „Roter Stöckelschuh“
Foto: ©ragazza e.V.

Mit freundlichen Grüßen

Presseinformation i. A. der DGPFG

 

Dagmar Möbius
Freie Journalistin (DJV)
*Recherche, Redaktion, Beratung*
Berlin-Brandenburg & Dresden

E pr@dagmar-moebius.de (nur für PR)
M
 +49 174 9847514

 

 

Ansprechpartnerinnen für die Presse

Dr. med. Claudia Schumann
Vizepräsidentin der DGPFG
Claudiaschumann@t-online.de
M +49 170 7322580

Dr. med. Dorothee Kimmich-Laux

Frauenärztin Ragazza/Hamburg
E Kimmich-Laux@t-online.de
M +49 171 9526174


Dagmar Möbius

Freie Journalistin (DJV)
Recherche, Redaktion, Beratung
Berlin-Brandenburg & Dresden
E pr@dagmar-moebius.de (nur für PR)
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Slide DGPFG-Stellungnahme Aktion Roter Stöckelschuh startet

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Artikel des Monats Februar 2017

Artikel des Monats Februar 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Vollmer L. et al.
Strategien zur Streßbewältigung bei Kinderwunsch-Behandlung
Coping Strategies Are Interrelated – Implications for Targeted Psychological Counseling. Geburtsh Frauenheilk 2017; 77: 52–58

Unfruchtbare Frauen und Männer können im Verlaufe der reproduktionsmedizinischen Behandlung oder auch schon davor unter einer höheren Stressbelastung leiden. Die erhöht u. U. das Risiko, eine Depression oder Angststörung zu entwickeln.

Die Arbeitsgruppe von Vollmer und Koll. (2017) hat fast 300 Frauen und Männer mit einem besonderen Fragebogen und einer „Bewältigungsskala“ untersucht. Die Daten der Paare, die sich in einem universitären Kinderwunschzentrum vorgestellt hatten, wurden auch miteinander verglichen („Frau vs. Mann“).

Bei den befragten Frauen war eine aktive Vermeidungsstrategie positiv mit einem höheren Risiko für Depression und Ängstlichkeit verbunden, während bei Männern eine sinngebende Bewältigung negativ mit dem Risiko, eine Depression oder Angststörung zu entwickeln, korrelierte.

Bei Gegenüberstellung der Einzelergebnisse eines Paares war nachweisbar, dass Frauen und Männer, die eine aktive Vermeidungsstrategie verfolgten, höhere Risikowerte aufwiesen (einzeln=Akteureffekt und als Partner=Partnereffekt).

Vollmer et al. schlussfolgern, dass diese Ergebnisse darauf hindeuten, dass bestimmte Bewältigungsstrategien eine schützende Wirkung haben, während andere das Risiko einer emotionalen Fehlanpassung bei unfruchtbaren Paaren erhöhen können. Die Betroffenen könnten in Kenntnis eines solchen Risikos gezielt eine psychologische Beratung erhalten.

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats Januar 2017

Artikel des Monats Januar 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Michael Marquardt, Joachim Heinrich Demling
Psychotherapie und Religion: Eine repräsentative Umfrage unter Psychotherapeuten in Süddeutschland.
Psychother Psych Med 2016; 66: 473–480

In der gesellschaftlichen Diskussion spielen derzeit Fragen der Religion, insbesondere im Zusammenhang mit dem Islam, eine große Rolle. Aber auch im (psycho-)therapeutischen Therapieprozess sollten Religion und Religiosität sowohl der Behandelnden als auch der Klienten bzw. Patientinnen Beachtung finden, wie der Artikel von Marquardt und Demling  zeigt. Die Autoren schreiben: „…Religion und Spiritualität spielen für Patienten mit psychischen Störungen als Problemfeld oder Ressource eine beachtenswerte Rolle. Es ist daher von Interesse, wie Psychotherapeuten in ihrer Arbeit, aber auch persönlich zu diesen Themenkomplexen eingestellt sind…“ Dazu haben sie niedergelassene Psychotherapeuten in Süddeutschland befragt mit einer insgesamt sehr guten Rücklaufquote von 65 %. Folgende Forschungsfragen sollten beantwortet werden: (1) Wie stark wird Religion in die Psychotherapie integriert? (2) Gibt es einen „personal bias“ im Hinblick auf die Einbindung von Religion in die Therapie? (3) Wie stark arbeiten Psychotherapeuten mit Seelsorgern zusammen? (4) Existiert eine „Religiositätslücke“ zwischen Psychotherapeuten und korrespondierender Allgemeinbevölkerung? Unter Beachtung dessen, dass im Befragungsgebiet ca. 55 % der Bevölkerung katholisch und 26 % evangelisch-lutherisch sind, ergaben die Antworten der 705 psychotherapeutisch Tätigen,  von denen 46 %  51 bis 60 Jahre alt waren und 61 % sich als  konfessionsgebunden bezeichneten, zusammengefasst Folgendes: „…Die Ergebnisse zeigen, dass Psychotherapeuten die Religion als weltanschaulich und im täglichen Leben relevant einschätzen, sie sind aber offenkundig weniger religiös als die korrespondierende Allgemeinbevölkerung. Auch für die therapeutische Praxis gelten religiöse Aspekte zwar als belangvoll, werden in der üblichen Routine jedoch eher selten berücksichtigt. Je religiöser ein Psychotherapeut ist, desto stärker tendiert er dazu, Religion in den diagnostischen oder therapeutischen Prozess einzubinden (‚personal bias‘). Die Zusammenarbeit von Therapeuten mit Seelsorgern korreliert, soweit sie stattfindet, stärker mit ‚externen‘ (Konfession, Kirchenbesuch) als mit ‚internen‘ (persönliches Gebet, Lektüre religiöser Schriften u. dgl.) religiös-spirituellen Aktivitäten…“. Die beiden Autoren schlussfolgern: „… Zwischen Psychotherapeuten und der Allgemeinbevölkerung scheint eine ‚Religiositätslücke‘ zu bestehen. Weiterbildung zum Thema ‚Religion/ Spiritualität‘ und verstärkte Berücksichtigung in der Supervision könnten der Gefahr entgegenwirken, dass religiöse Bedürfnisse und religionsbezogene Ressourcen von Patienten vernachlässigt werden…“. Interessant wäre eine ähnlich Erhebung in einem weniger ‚katholischen Großraum‘ (Berlin, Hamburg?!)  wie auch eine Untersuchung mit dem Fokus auf islamisch geprägten Therapeuten bzw. Patienten/innen.

Prof. Dr. med. Matthias David

Nationales Gesundheitsziel

Berlin, 13.02.2017

Mehr Gesundheit rund um die Geburt ist eine zentrale Herausforderung für eine moderne Gesundheits- und Familienpolitik“ – Neues Nationales Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ an den Deutschen Bundestag in Berlin übergeben.

Das Besondere daran aus psychosomatischer Sicht: Das Gesundheitsziel nimmt eine „an Wohlbefinden und Gesundheit ausgerichtete Perspektive ein“, „vorhandene Ressourcen und Potentiale sollen umfassend gefördert und eine Pathologisierung vermieden werden“. Leitgedanke ist das Prinzip der Salutogenese, die Ermächtigung der Frauen steht im Vordergrund und nicht wie sonst oft üblich die Definition über Risiko und Krankheitsgefährdung. Auf diese Grundgedanken haben sich alle Beteiligten aus Politik, Fachverbänden und Krankenkassen geeinigt – in einem oft mühsamen aber letztlich erfolgreichen Diskussions-Prozess, an dem die DGPFG sich beteiligt hat.

 

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10 Jahre Zeitschrift Ärztliche Psychotherapie

Ärztliche Psychotherapie und Psychosomatische Medizin 04/2016
10 Jahre Zeitschrift Ärztliche Psychotherapie

Prof. Dr. Dr. Mechthild Neises

Warum eine neue wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Zeitschrift Ärztliche Psychotherapie für die Psychotherapie in der Medizin? Diese Frage stellte sich 2006 vor der Gründung dieser Zeitschrift. Zwar gab es die Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin (DGPM), doch diese war und ist vor allem akademisch-wissenschaftlichen Aspekten verpflichtet. Die praktisch-anwendungsbezogenen Probleme der Psychotherapie kamen zu kurz. Vor allem aber: Es waren die Jahre, in denen nach Inkrafttreten des Gesetzes des psychologischen Psychotherapeuten im Jahre 1999 die Praxis der Psychotherapie in schnell anwachsendem Umfang vor allem seitens der Diplompsychologen, also psychologischer Psychotherapeuten praktiziert wurde. Deren Anzahl übertraf bald die der ärztlichen Psychotherapeuten. Damit schien zugleich die zumeist von Ärzten und Ärztinnen praktizierte psychodynamische, also die tiefen-psychologisch fundierte und die psychoanalytische Therapie auf Nebengleise zu geraten. Psychotherapie schien sich immer mehr aus dem spezifisch Menschlichen, dem subjektiven Erleben auf das objektive Verhalten zu reduzieren, d.h. aus dem Prinzip der Reflexion als einem intrapsy- chisch-strukturellen Änderungspotenzial in das der Aktion als einem unmittelbaren Korrekturpotenzial. Statt des Werdens der Person trat das Verhalten als Handlung auf die „Bühne der Psychotherapie“. Mit dem Begriff der Psychotherapeutenkammer für die Psychologen und Psycholo- ginnen in Abgrenzung zur Ärztekammer wurde schließlich Psychotherapie als eine psychologische und nicht zugleich auch ärztliche Kompetenz signalisiert, eine heute unter Laien verbreitete Auffassung. So ist auch unter Laien das Wort „Verhaltenstherapie“ gegenwärtig weitgehend ein Synonym für Psychotherapie.

In Anbetracht dieser Entwicklung war es schon vor zehn Jahren dringend erforderlich, der ärztlichen Psychotherapie auch in ihrer Publizität nachdrücklich Gewicht zu geben. Ist doch Psychotherapie ein wichtiger und umfangreicher Bereich der Heilkunst am Menschen schon seit Beginn der antiken Medizin bei Hippokrates von Kos um 460 v. Chr., der in seinem „Asklepion“ eine suggestiventspannende Psychotherapie praktizierte. Trotz der rapiden Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik auch innerhalb der Medizin, erweist sich, dass die pharmakologische und die apparative Therapie nicht zurei- chen, um dem Menschen in seiner Ganzheit hilfreich zu sein.

Bei allem hat sich der Beschluss der DGPM unter Initiative von Prof. Thomas H. Loew und Dr. Dietrich Bodenstein zur Gründung der Zeitschrift Ärztliche Psychotherapie entspre- chend der Bedeutung der Psychotherapie für den ärztlichen Zugang zum Patienten als wichtiger Schritt erwiesen. Der Schattauer Verlag hat das Wagnis dieser neuen Zeitschrift dan- kenswerterweise mitgetragen. Ihr Erscheinen hat sich als notwendig erwiesen, vermittelt die Zeitschrift doch gerade den praktisch tätigen „Niedergelassenen“, wie es im Editorial der ersten Ausgabe heißt, offensichtlich wichtige Informationen; denn die Zahl der Abonnenten nahm und nimmt stetig zu. Das dürfte durch die immer mehr anwachsende Zahl der Psychotherapiesuchenden Patienten und Patientinnen und ebenso durch die inhaltliche Gestaltung der Ärztlichen Psychotherapie begründet sein, vermittelt sie doch nicht nur die di- versen Krankheitsbilder der Psychosomatik und Behandlungsansätze der Psychotherapie, sondern auch Wege zu einer effektiven und möglichst störungsfreien Gestaltung der Arzt- Patient-Kommunikation. Durch die jeweils thematischen Schwerpunkthefte, die Synopsis zwischen körperlichen und seelischen Aspekten im Sinne der Psychosomatik wie auch durch Anregungen zu einer hilfreichen Gestaltung der therapeutischen Kommunikation ist die Zeitschrift Ärztliche Psychotherapie auch im Rahmen der ärztlichen Disziplinen mit hohem Gesprächsanteil, wie der Allgemeinmedizin, der Gynäkologie, der Onkologie, der Kinderheilkunde und vieler anderer Fachgebiete von Bedeutung.

Es gibt von nun an eine kleine, aber wichtige Änderung und Erweiterung mit dem Untertitel Psychosomatische Medizin und Psychosomatische Grundversorgung. Die Psychosomatische Grundversorgung ist wie bekannt eine wichtige Säule in der psychotherapeutischen Versorgung und hat seit Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie ist fest etabliert in der Weiterbildung zum Facharzt für Frauenheilkunde sowie für Allgemeinmedizin. Es liegt nahe, sie in weiteren Fachgebieten über die Psychosomatische Grundkompetenz hinaus motivierend und verpflichtend einzuführen. So sind Schriftleiter und Verlag überzeugt, dass die Ärztliche Psychotherapie – Psychosomatische Medizin und Psychosomatische Grundversorgung auch in diesen Fächern großes Interesse findet.

Der Leser wird außerdem über die Arbeit kooperierender Fachgesellschaften, über Fortbildungsveranstaltungen, über Fachkongresse und über die der Psychotherapie nahestehenden Wissenschaftsgebiete und Berufe informiert.

Im Namen aller Schriftleiter danken wir unseren interessierten und kritischen Lesern und Leserinnen, mit Ihnen allen setzen wir uns ein für die Verbreitung und Rezipienz der ärztlichen Psychotherapie und psychosomatischen Medizin – auf weitere 10 Jahre!

Autorin

Prof. Dr. Dr. med. Mechthild Neises
Aachen Hauptschriftleiterin Ärztliche Psychotherapie

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Gyne 07/2016 – Mammographie-Screening zwischen Sicherheitsbedürfnis und nachhaltiger Verunsicherung

  • 25. Januar 2017
  • Gyne

Gyne 07/2016
Mammographie-Screening zwischen Sicherheitsbedürfnis und nachhaltiger Verunsicherung

Autorin: Doris Tormann

 

Die bisher stets fröhliche und unbeschwerte Frau R.  kommt nach zwei Jahren erstmals bedrückt zur Krebsfrüherkennungsuntersuchung in meine Praxis: sie sei nun 50 Jahre alt geworden und da habe es sie erwischt. Sie hatte ihre erste Einladung zum Mammographie-Screening (MS) bekommen: „Da muss ich ja wohl hin, der Termin ist in zwei Wochen, ich bin schon ganz nervös und aufgeregt, habe seit drei Nächten nicht geschlafen….“.

So wie Frau R. erlebte ich in meiner gynäkologischen Praxis viele verunsicherte Frauen in der für das MS vorgesehenen Altersgruppe. Über das MS wurde in den Jahren viel diskutiert, die Informationen darüber nur jedoch nur spärlich verbessert.  Die veröffentlichten Evaluationsberichte zum MS  berichten über Ergebnis- und Prozessqualität, jedoch nicht über psychische Belastungen, die mit dem Verfahren einhergehen [1].].  Auch mehr als zehn Jahre nach Einführung des MS in Deutschland gibt es über die psychischen Belastungen der Frauen, die im Rahmen der Untersuchung auftreten können, nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen und Veröffentlichungen.

Im Folgenden werde ich die mit dem MS verbundenen psychischen Belastungen und die Bewältigungsstrategien der Frauen darstellen. Grundlagen dazu sind meine langjährigen Erfahrungen aus einer gynäkologischen Praxis in einer Großstadt, die Aussagen kleinerer Studien aus Deutschland und die Ergebnisse aus angloamerikanischen Veröffentlichungen zum Thema.

Information und Verwirrung

Die Europäische Leitlinien [2] zum MS fordern neben einer informierten Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am MS eine minimale Teilnehmerrate von 70% der Frauen zwischen dem 50 bis 69. Lebensjahr. In dem Bemühen diese Teilnahmeraten zu erreichen – sie liegen derzeit bei maximal 56 % [1] – und auch mit den damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen der Industrie und Diagnostikzentren [3] waren die anfänglich von den Zentren selbst erstellten Information von unausgewogener tendenziöser Qualität [4]. Sie stifteten eher Verwirrung und betonten die Vorteile, als dass sie Grundlage für eine informierte Entscheidung für die Frauen sein konnten [5].

Erst im Jahr 2014 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss  nach kritischen Veröffentlichungen in deutschen [3] [6] und internationalen Fachzeitschriften [7] [8] [9] das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG)  mit der  Erstellung eines Einladungsschreibens und einer wissenschaftlich fundierten Information (Merkblatt) zum MS beauftragt. Ein Rapid Report wurde Anfang 2015 vom IQWIG fertig gestellt und soll jeder Einladung zum MS beigefügt werden[10]. Die Fertigstellung der Endfassung ist im 3. Quartal 2016 geplant. Erst dann  erhält jede Frau mit dem Einladungsschreiben die für eine informierte Entscheidung notwendigen umfassenden Informationen.

Auch in den Medien lag besonders in den ersten Jahren der Tenor der Berichterstattung darauf, den Nutzen des MS zu  betonen, mögliche Nachteile wurden eher verharmlost. Das MS wurde in der Presse beworben mit Aussagen wie: „jede 9. Frau erkrankt an Brustkrebs“  oder  „die Sterblichkeit an Brustkrebs wird durch das Screening um 25% gesenkt“. Auch wenn diese Informationen nicht falsch sind, so schüren sie Ängste und zeichnen ein überzogen optimistisches Bild. Diese Zahlen allein ermöglichen  weder den eingeladenen Frauen noch  uns beratenden Frauenärzte/Innen, eine angemessene Risikobeurteilung [11].

Wissenswertes zum Mammographie-Screening

  • von 1000 Frauen zwischen 50 und 69 Jahren erkranken jährlich 3 bis 4 an Brustkrebs
  • von 1000 Frauen, die am Screening teilnehmen haben 970 ein unauffälliges Ergebnis, 30 erhalten eine Wiedereinladung zu Folgeuntersuchungen
    dabei wird bei

    • 24 Frauen kein Krebs gefunden, bei
    • 6 Frauen bestätigt sich der Karzinom-Verdacht
    • 2 Mammakarzinome treten im Intervall bis zur nächsten Screening-Untersuchung auf.

Wenn 1000 Frauen über 10 Jahre am MS teilnehmen, sterben 1 bis 3 Frauen weniger an Krebs, bei 4 bis 7 Frauen führt die Untersuchung zu einer Überdiagnose!

Und dennoch:

Eine adäquate Risikoeinschätzung ist und bleibt auch zehn Jahre nach Einführung des MS in Deutschland offenbar schwierig zu vermitteln [5], [12]. Eine Befragung [13] von Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren zeigt, dass jede zweite Frau das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, um das 10fache überschätzt. Die Angst an Brustkrebs zu erkranken führt bei nicht wenigen Frauen dazu, dass sie aus Furcht einen Knoten zu tasten sogar ihre Brüste nicht anfassen können.

Die Mehrheit der Frauen aber schafft es im täglichen Leben, die Angst vor Krankheit und Krebs zu bewältigen. Meistens werden die beängstigenden Gefühle der Verletzbarkeit des eigenen Körpers und die potenzielle Krankheitsgefahr verdrängt,  auch Bagatellisierungen und Verleugnungen sind anzutreffen. Diese psychische  Kompensation bricht meist abrupt zusammen, wenn eine Freundin oder ein Familienmitglied die Diagnose Brustkrebs erhält.

Seit Einführung des MS wird nun jede Frau mit Eintreffen des Einladungsschreibens mit der verdrängten Gefährdung unfreiwillig konfrontiert.

Akt: Die Einladung

Schon der Erhalt  des Einladungsschreiben zum MS bedeutet für viele Frauen eine emotionale Belastung: die latente Angst vor Krebs wird getriggert. Dies bestätigt die Untersuchung von der Bertelsmann-Stiftung und der Barmer-GEK [14]. Auch wenn der angebotene Untersuchungstermin von 83 % der Frauen in der o.g. Studie begrüßt wird, so reagieren manche Frauen (14 %) darauf regressiv: sie erleben die einladende Institution paternalistisch und den Termin  als  verpflichtende Aufforderung („Da muss ich hingehen“). Begleitet ist dies von der Angst vor Schuldgefühlen („ …ich würde es mir nicht verzeihen, wenn bei mir später dann doch ein Krebs auftritt und es dann heißt: wären Sie mal zum MS gekommen…“)  Gelegentlich befürchten Frauen auch andere negative Auswirkungen bei Nichtteilnahme: z. B.  dass die Krankenkasse bei späterer Erkrankung die Behandlung nicht mehr zahlt.

Akt : Die Entscheidung

Die Entscheidung zur Teilnahme am MS wird von den meisten Frauen nicht aufgrund sachlicher Information getroffen, sondern von Bedeutung sind dabei viele Aspekte irrationaler Risikobewertung und emotionaler Bedürfnisse [4].
Das Bedürfnis nach der Sicherheit keinen Brustkrebs zu haben, ist für die meisten Frauen ein wichtiger Grund, an der  Früherkennnungsuntersuchung teilzunehmen.  84 % der Frauen fühlen sich beruhigt, wenn sie nach der Untersuchung wissen, dass alles in Ordnung ist [14] und 64 % stimmen der Aussage zu: „ich habe das Gefühl, etwas Gutes für mich zu tun“.

Viele Frauen der Zielgruppe haben auch irrationale Vorstellungen vom Nutzen des  MS. So  glauben 30 % der Frauen, dass schon die Teilnahme am MS verhindere, dass sie ein Mammakarzinom entwickeln [14].
In einer kleinen eigenen Studie stimmten 53 % der Frauen der Aussage zu, dass das MS das Risiko an Brustkrebs zu erkranken reduziert, bzw. die Erkrankung verhindern können [13].

Die Nichtteilnahme am Screening begründete ein Teil der Frauen mit den Bedenken bezüglich der Strahlenbelastung, sowie der Angst vor möglichen Schmerzen bei der Untersuchung [13].

Akt: Der Termin

In den Tagen vor dem Termin zur Mammographie berichten Frauen von innerer Anspannung und Schlafstörungen bis hin zu Albträumen, die oft die Auseinandersetzung mit dem Thema Brustkrebs beinhalten. Es wird auch die Sorge geäußert, dass die Untersuchung schmerzhaft sein könnte.

Akt: Das Ergebnis

Zurück zu Frau R.:  drei Wochen nach dem MS berichtet Frau R., dass sie die Woche nach der Untersuchung in der  sie auf den Brief mit dem Untersuchungsergebnisgewartet habe,  sehr mitgenommen habe. Sie konnte sich nur noch schwer auf ihre Arbeit konzentrieren und fühlte sich reizbarer, irgendwie dünnhäutiger. Als dann endlich die Nachricht vom Mammographie-Zentrum eintraf, dass bei ihr keine Auffälligkeiten zu sehen seien, sei ihr ein Stein vom Herzen gefallen.  Dennoch ist Frau R. selbst verwundert, wie stark sie die Wochen von der Einladung zum MS bis zu dem Ergebnis doch belastet haben, obwohl sie doch sonst eine rationale Frau sei.

Diese persönliche Aussage stimmt mit der Bertelsmann-Studie überein:  Nach der Früherkennungs-Mammografie sind 38 % der Frauen sehr beunruhigt, bis sie über das endgültige Ergebnis informiert werden [14].

Auch internationale Studien untermauern diesen Aspekt: Der Brief mit dem Untersuchungsergebnis wird von vielen Frauen ängstlich erwartet. Die Wartezeit wird als sehr belastend erlebt [15].

Akt: weitere Abklärungsuntersuchungen

Eine neue Patientin, Frau S., 56 Jahre, bejaht bei der Erstanamnese meine Frage nach der bisherigen Teilnahme am Mammographie Screening.  Aber sie fügt dann hinzu: “ … da gehe ich nicht noch mal hin. Die haben da erst was gefunden und ich musste noch mal zu weiteren Untersuchungen. Das hat mir fast den Boden unter den Füßen weggerissen. Meine Gedanken kreisten nur noch darum, auf nichts anderes konnte ich mich mehr konzentrieren, nachts habe ich nicht mehr geschlafen aus Angst vor dem, was auf mich zukommt. Aber dann haben sie doch nichts gefunden, alle Aufregung umsonst… Dennoch hat mir die Entwarnung meine innere Ruhe nicht wiedergegeben.“

Die weitere Exploration zeigte, dass Frau S. in mehrfacher Weise durch einen frühen Tod ihres Vaters in der Kindheit und den plötzlichen Herztod  ihres Ehemanns drei Jahre zuvor psychisch vorbelastet war.  Die Konfrontation mit Ungewissheit und Abhängigkeit reaktualisieren in dieser Situation Erfahrungen von Ohnmacht und Hilflosigkeit.

Es ist davon auszugehen, dass traumatisierte und anderweitig psychisch vorbelastete Menschen intensiver von den psychischen Begleitwirkungen im Kontext des MS betroffen sind  [8]. Das kann wie bei Frau S. die Lebensqualität, die Arbeitsfähigkeit und auch die Compliance bezüglich der geplanten 20 Untersuchungsjahre gefährden.

Die Häufigkeit auffälliger Befunde beim MS wird mit ca. 30 bei 1000 durchgeführten Untersuchungen angegeben. Die Notwendigkeit weiterer Abklärungsuntersuchungen schätzt nur jede vierte Frau bei Befragung vor dem MS richtig ein [13]. Die Mehrheit der Frauen unterschätzt die Wahrscheinlichkeit einer Wiedereinladung zur Klärung von Auffälligkeiten dagegen deutlich. 36 % der befragten Frauen (n=1780) meinen, dass es nach einer Früherkennungs-Mammografien nur selten es zu einem falschen Verdacht auf Brustkrebs kommt [16]. Diese Fehleinschätzung führt dazu, dass es viele Frauen vorher gar nicht in Betracht ziehen, zu weiteren Untersuchungen aufgefordert zu werden. Daher trifft sie dieses Wiedereinladungsschreiben emotional unvorbereitet und für viele Frauen ist die Nachricht unmittelbar mit der Gewissheit verbunden: „nun hat man Krebs bei mir gefunden“. Der Hinweis im Anschreiben zur Nachuntersuchung, dass Zusatzuntersuchungen auch bei gutartigen Veränderungen gelegentlich erforderlich sind, beruhigt sie wenig bzw. wird oft gar nicht mehr wahrgenommen.

Frau S., die unglücklicherweise ihre Ergebnismitteilung auch noch an einem Freitagnachmittag aus dem Postkasten zog, war aufgebracht:

Was denken sich die Briefschreiber dabei? Soll dies eine Beruhigung sein? Bei mir kamen gerade durch die Formulierungen alle Ängste hoch. Ich habe sofort versucht die Ärztin des Screening Zentrums zu erreichen, aber das war erst in drei Tagen möglich. Die Helferin konnte gar keine Beruhigung geben.  So geht das doch nicht! Man kann nicht an einem Freitag eine solche Information bekommen und niemand ist mehr ansprechbar!“

Nachhaltige Verunsicherung

Die beschriebenen Verunsicherungen beeinflussen nachhaltig und gelegentlich tiefgreifend das Leben und Empfinden vieler Frauen, die eine Einladung zur weiteren Abklärungsdiagnosik bekommen haben. So beschreiben Brodersen et.al [15] dass Frauen u.a.  an  Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit und verstärkten Ängsten leiden. Ebenso kann das Schreiben zu einem verminderten Selbstwertgefühl führen und hat negative Auswirkungen auf den Schlaf, die innere Ruhe, die Sexualität und auch auf die sozialen Beziehungen der Frauen.  Diese Veränderungen wurden in gleich hohen Ausmaßen bei Frauen gefunden, bei denen sich der Karzinomverdacht bestätigte, aber auch bei denen, wo er sich nicht bestätigt; war also unabhängig von dem Ausgang der weiteren Abklärungsdiagnostik.
Besonders auffallend  und beachtenswert ist, dass die psychosozialen Veränderungen auch noch sechs Monate nach Abschluss der Abklärungsdiagnostik bei den Frauen mit einem „falsch positiv“ Ergebnis  – d. h. die ohne Brustkrebsnachweis blieben – anhielten. Sie gaben damit ein ähnlich hohes Belastungsniveau an, wie die Frauen, bei denen Brustkrebs entdeckt wurde [15].

Noch 36 Monate nach dem MS wurden bei den Frauen mit „falsch auffälligem“ Befund ungünstige Veränderungen im psychosozialen Erleben festgestellt. Diese schwächten sich zwar ab, doch die Belastungswerte lagen im Mittel immer noch zwischen denen von Frauen, die primär ein unauffälliges  Mammographie Ergebnis erhalten hatten und denen mit  Brustkrebs-Diagnose.

Die Ergebnisse zeigen, dass nur ca. die Hälfte der betroffenen Frauen über eine gute Stress- bzw. Krisenbewältigung verfügt.  Einem Großteil der Frauen mit „ falsch auffälligem Erstbefund“ gelingt die Bewältigung weniger gut und sie leiden daher an lang anhaltende negative psychosoziale Folgen. Dies kann vielfältige Gründe haben, so z.B. die oben schon genannten belastenden Erlebnisse in der Biografie. Wenn man bedenkt, dass von 5 Frauen, die zu weiteren Abklärungsuntersuchungen eingeladen werden, sich nur bei 1 Frau der Krebsverdacht bestätigt und bei 4 Frauen nicht, so ist die Zahl der psychosozial belasteten Frauen durch „falsch auffällige Befunde“ erheblich.

Intervallkarzinome

Ein weiteres Problem ist die falsche Sicherheit, in der Frauen mit unauffälligem Mammographie- Befund leben. Wie hoch der Anteil an Intervallkarzinomen in Deutschland ist, ist aufgrund von fehlenden Krebsregistern nur in Niedersachsen und NRW errechenbar. In NRW treten 22 % der Mammakarzinome zwischen den zweijährlichen Untersuchungsintervallen auf [17].

Die Wahrnehmung der Veränderungen und ein zeitiger Arztkontakt verzögern sich oft bei diesen Frauen, da sie sich auf das unauffällige Ergebnis des MS verlassen. Frau Dr. Hiller vom Krebsinformationsdienst beschreibt: wir hören  immer wieder den Satz: ‚Da bin ich immer zur Vorsorge gegangen und bekomme trotzdem Krebs‘ [18]. 33 % der Frauen im teilnahmeberechtigten Alter glauben sogar, dass das MS verhindere an Brustkrebs zu erkranken (14), schließen also nach Teilnahme am Screening aus, noch an Brustkrebs zu erkranken zu können.

Überdiagnosen

In der der S3 – Leitlinie heißt es in der Einleitung zum Kapitel über Präinvasive Neopalien: „Durch die verbesserte Diagnostik und die Einführung des Mammographie Screening Programms in Deutschland werden zunehmend auch benigne und präinvasive Läsionen der Mamma entdeckt, die zumeist mit Mikroverkalkungen oder Architekturstörungen einhergehen. Die Datenlage zum Malignitätspotenzial oder Progressionsrisiko dieser

Veränderungen sind sehr heterogen, sodass die Basis für Therapieentscheidungen oder die Weiterbetreuung nicht immer durch einen hohen Grad an wissenschaftlicher Evidenz abgedeckt ist [19].

Durch eine hohe Entdeckungsrate von präinvasiven Läsionen (1 auf 6 Karzinomdiagnosen) [20], davon auszugehen, dass sich ein beträchtlicher Teil der Frauen unnötigerweise mit der Diagnose Brustkrebs und der dann folgenden Therapie sowie den körperlichen wie auch psychischen Beeinträchtigungen dieser Diagnose auseinandersetzten muss. Ohne Screening wären sie zu Lebzeiten nicht mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert worden.  Das heißt, dass diese Frauen –aber auch ihr soziales Umfeld – mit  dem Schock Krebs zu haben, unnötig konfrontiert werden. Neben den psychischen Belastungen und den damit oft verbundenen erheblichen Belastungssymptomen, müssen die Frauen Operationen und evtl. Bestrahlungen ertragen und die damit einhergehenden Veränderung an dem sensiblen Organ Brust verarbeiten.

Fast jede 5. Frau denkt, dass es nicht möglich ist, dass durch die Früherkennung eine Brustveränderung entdeckt wird, jedoch die Krankheit Brustkrebs niemals ausbrechen würde [14].

Verunsicherung im Alter 69 +

Verunsichernd ist es auch für die Frau, die aus Altersgründen nach 20 Jahren nicht mehr zu den Früherkennungsuntersuchungen eingeladen wird.  So sagte eine Patientin: „ Jetzt bin ich wohl zu alt, es lohnt sich nicht mehr für mich Geld auszugeben“. Entlastend für die Patientin waren meine erklärenden Informationen, dass in ihrem Alter eher ein langsam wachsender Krebs auftritt, der nicht schnell streut. Eine gute Behandlung ist noch ausreichend früh, wenn der Knoten zu tasten sei.

Fazit für die frauenärztliche Praxis

Krebs löst Angst aus und ist in unserer Phantasie oft mit großem Leid und Sterben verbunden. Die medizinischen Fortschritte mit verbesserter Überlebensrate durch die Therapie werden dabei nicht als Beruhigung erfahren.

Im Umgang mit der Angst helfen Informationen und eine vertrauensvolle Beziehung zu einer Fachfrau/Fachmann. In Deutschland erhalten die Frauen mit dem offiziellen Einladungsschreiben aber einen direkten Zugang zur Mammographie, ohne dass zuvor ein Aufklärungsgespräch mit einem Arzt erfolgt.

Diese Lücke sollten wir Frauenärzte/Innen durch aktives Ansprechen der Frauen auf das Mammographie-Screening in der frauenärztlichen Sprechstunde nutzen. Durch Beratung über Vor- und möglichen Nachteilen des MS – so auch der Möglichkeit der Wiedereinladung zu weiteren Abklärungen – können die Frauen besser vorbereitet werden.

Hilfreich sind vertraute, erreichbare Ansprechpartner bei auftretenden Fragen. Besonders bei Frauen bei denen weitere Abklärungsuntersuchungen durchgeführt wurden, sind wir Gynäkologen/Innen gefordert, sensibel auf mögliche psychische Veränderungen zu achten.

In meiner Praxis hat sich das folgende Vorgehen bewährt: Alle Frauen im 50. Lebensjahr werden darauf angesprochen, dass sie nach ihrem 50. Geburtstag alle zwei Jahre eine Einladung zum MS bekommen werden, das eine anerkannte Methode zur Früherkennung von Brustkrebs ist. Ich erläutere, dass  in dem Einladungsschreiben ein Terminvorschlag gemacht wird, die Teilnahme jedoch jedes Mal freiwillig ist bzw. der Termin auch verlegbar ist. Ich erkläre kurz den Untersuchungshergang. Ebenfalls erwähne ich, dass bei Teilnahme durch die genaue und gründliche Begutachtung der Radiologen es möglich ist eine Einladung zu weiteren Untersuchungen zu bekommen. Dabei wird dann aber in 4 von 5 Fällen kein Krebs diagnostiziert.

Außerdem nutze ich das Informationsmaterial von Knotenpunkt e.V., den Flyer: „Was kann das Mammografie-Screening leisten?“

Ist eine Patientin zur weiteren Abklärung von der Mammographie Einheit erneut eingeladen worden, erkundige ich mich danach bei unserem nächsten Treffen und achte besonders auf evtl. noch bestehende psych. Belastungen.

Mit diesem Vorgehen in der Praxis konnte ich in den letzten Jahren feststellen, dass die so informierten Frauen sich deutlich selbstbewusster und entscheidungssicherer gegenüber dem MS verhalten und aktiver die damit verbundenen psychischen Belastungen bewältigten.

Checkliste Vorbereitung zum Mammografie-Screening

Allgemein verständliche  Informationen die für eine informierte Entscheidung für Screening Untersuchungen gefordert werden, sind bisher nur ansatzweise für das MS verfügbar. Das führt zu einer deutlichen Überschätzung des Nutzens bei gleichzeitiger Unterschätzung der Nachteile von der Untersuchung. Psychische Folgen die mit dem MS ausgelöst werden, werden bisher unzureichend beachtet.

Interessenskonflikte bestehen keine.

Seit 2003 engagiert sich die Autorin  im Knotenpunkt e.V.. Neben der Organisation von Informationsveranstaltungen erstellt der Verein mehrsprachiges Informationsmaterial zu Themen der Brustgesundheit und Brusterkrankung. Zum Thema Mammographie Screening hat Knotenpunkt e.V. ein Plakat zum Aushang in Praxisräumen erstellt, sowie einen Informationsflyer, der z.Zt. in deutscher und türkischer Sprache verfügbar ist. Geplant sind noch englische, spanische und arabische Übersetzungen. Die Informationen stehen auf Internetseite www.knotenpunkt-bielefeld.de als Download zur Verfügung oder können als Druckversion bezogen werden (Bezugsadresse: Knotenpunkt e.V., Postfach 101708, 33517 Bielefeld).

Korrespondenzadresse

Dr. med. Doris Tormann
Siechenmarschstraße 32
33615 Bielefeld
T + 49 521 137979
E tormann@gyn-bielefeld.de
www.gyn-bielefeld.de

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Literaturverzeichnis

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