Überspringen zu Hauptinhalt

Gyne 04/2019 – Ärzte und Ärztinnen zwischen Burnout und Selbstfürsorge

  • 14. Februar 2020
  • Gyne

Gyne 04/2019

Ärzte und Ärztinnen zwischen Burnout und Selbstfürsorge

Autorin:

  M. Neises

          

Gesund versus krank

Die Diagnose von Gesundheit oder Krankheit ist fließend und in der ärztlichen Praxis oft eine Herausforderung; dies gilt sowohl für körperliche als auch für psychische Befunde. Gensichen und Linden gehen diesem Dilemma in ihrem Beitrag „Gesundes Leiden – die Z-Diagnosen“ nach [1]. Die Grauzone hinsichtlich von Blutdruckwerten zwischen eindeutig krank bzw. eindeutig gesund ist in Abhängigkeit von Alter, Begleiterkrankungen und Untersuchungssituation genauso differenziert zu bewerten wie für depressive Syndrome bzw. Missstimmung. Vor dem Hintergrund dieser beiden Pole lässt sich sagen: Es gibt niemanden, der keine oder nie psychische Probleme hat. Betrachtet man das Spektrum negativer Gefühle, vergeht kaum ein Tag, an dem wir vielleicht nicht verstimmt, freudlos,
lustlos, traurig, bedrückt, erschöpft, frustriert oder verzweifelt sind. Lebenssituationen wie z. B. Beziehungskrisen haben das Potenzial, dieses Befinden dauerhaft zu verstärken oder auch Arbeitssituationen, in denen wir uns Bossing oder Mobbing ausgesetzt fühlen oder ausgesetzt sind. In diesem Kontext gilt es das Thema Burnout zu diskutieren.

Bei der Diagnosestellung von psychischen Erkrankungen wird das Dilemma besonders deutlich, wenn sich die Diagnose auf das Abfragen von psychischen Beschwerden stützt, ohne dass ein diagnostisches Gespräch erfolgt. So kann es leicht passieren, dass die Absenkung der Schwelle, von der an eine Krankheit angenommen wird (z. B. bei Fragebögen) die Zahl der Auffälligen erhöht. Ohne Experteninterview ist die Unterscheidung von Unglücklichsein und Krankheit oft schwer zu treffen.

Mit einer Krankheitsdiagnose verbinden sich vielfältige positive wie negative Konsequenzen. Die Zuordnung zu einer Krankenrolle kann den sogenannten sekundären Krankheitsgewinn fördern, d. h. ein Anspruch auf Rücksichtnahme, Hilfe, ggf. Freistellung von Aufgaben und die Legitimation einer Behandlung. Gensichen und Linden spitzen dies in der Aussage zu, die Behandlung eines Schwächezustandes mit Diagnose sei eine Behandlung, hingegen eine Behandlung ohne Diagnose sei Doping [1].

Die Aufgabe, Krankheit von subjektivem Leid aufgrund von Belastungen abzugrenzen, ist in der Medizin eine wichtige und auch schwierige Aufgabe. Genauso wichtig ist es aber auch, „alltägliche Beschwerden“ als Erleben im Bereich des Gesunden zu benennen. Ein überzeugendes Beispiel ist der Dermatologe, der einen Leberfleck feststellt und diesen als gesund diagnostiziert in Abgrenzung von einem Melanom. Diese Expertise braucht es in besonderer Weise auch, wenn es um psychische Belastungen und Probleme geht. In der Medizin tun sich Ärzte und Ärztinnen oft schwer mit der Feststellung, dass keine Krankheit vorliegt. Auch Patienten haben oft Schwierigkeiten, eine solche, vielleicht konfrontativ vorgetragene Einschätzung zu akzeptieren. Hilfreich ist die Empfehlung, die in den Kursen der Psychosomatischen Grundversorgung gegeben wird, zu beschreiben, was als gesundes Organ eingeschätzt wurde, statt zu sagen: „Sie haben nichts“.

Im psychischen Bereich können Müdigkeit und Erschöpfungsgefühle völlig angemessene Reaktionen sein auf Schlafdefizite oder auf lange Arbeitstage und Nachtdienste. Sie können aber auch Symptome vielfältiger Krankheiten sein, von Schlafstörungen und Depressionen bis hin zu Karzinomerkrankungen. Dass der Ausschluss einer differenzialdiagnostischen Überlegung oft langwierig und kostenintensiv ist, liegt auf der Hand.

Die sogenannten Z-Codes wurden in diesem Übergangsbereich eingeführt, sie umfassen z. B. Probleme am Arbeitsplatz, in der Familie und in der Lebensführung oder auch unspezifische Beschwerden ohne Krankheitswertigkeit. In den letzten Jahrzehnten hat diese Kategorie insbesondere mit der Diskussion um das Burnout-Syndrom zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Die Z-Diagnosen bieten so die Möglichkeit, auf einem Kontinuum zwischen Krankheit und „gesunden Leidenszuständen“ eine für den Patienten bedeutsame klinische Situation zu beschreiben, ohne eine medizinische Überversorgung inGang zu setzen und auch ohne die Betroffenen durch eine voreilige Diagnose zu beunruhigen. In der täglichen medizinischen Praxis verdienen diese Z-Kategorien mehr Aufmerksamkeit. Als subjektives Krankheitsmodell erleichtert ein solches Verständnis den Betroffenen, ihre Problematik zu reflektieren, zu kommunizieren und unter Umständen auch um Hilfe zu suchen.

Dieses selbstwahrgenommene Überschreiten einer Belastungsgrenze kann durchaus positive Konsequenzen haben, wenn damit einWeg gefunden wird, Belastungen, Symptomeund eigene Grenzen als solche zu reflektieren und Hilfen in Anspruch zu nehmen, sei es durch Beratung, ggf. auch durch psychotherapeutische  Behandlung. Insofern ist auch  im psychotherapeutischen Kontext  der Begriff des Burnouts nützlich,  kann er doch helfen einen Zugang  zum Patienten/zur Patientin zu finden  und ihm/ihr Verstehen und Akzeptieren  vermitteln. Das Leiden der  Betroffenen sollte aber darüber hinaus  nicht dazu verleiten, gewissermaßen  aus Solidarität Burnout mit  einer Diagnose zu verwechseln, die  die Ursache der Überforderung  überwiegend im Außen sucht.

Definition und begriffliche  Abgrenzung 

Den Begriff Burnout hat Freudenberger  1974 eingeführt [2], der als Holocaust-Überlebender in die USA immigriert  und als Psychoanalytiker in New  York mit hohem Engagement für soziale  Randgruppen tätig war. Von ihm  wurde die Burnout-Symptomatik insbesondere  als Ausdruck einer Überlastungskonstellation,  d. h. als Erschöpfungssyndrombeschrieben.

Seither wird Burnout als Synonym  für psychische, psychosomatische  und soziale Folgen, langandauernder,  das individuelle Leistungsvermögen  übersteigender beruflicher  Belastungen, angesehen. Vielfach  wird der Begriff als Diagnoseäquivalent  benutzt, obwohl er in der ICD10  lediglich als Zusatzkodierung Verwendung  findet.

Ditzler nennt als die drei Kardinalssymptome  des Burnouts-Syndroms  anhaltende Erschöpfung, Depersonalisation  und das Gefühl der reduzierten  Leistungsfähigkeit [3]. Diese  werden als Ausdruck einer chronischen  Stressreaktion angesehen,  wobei Burnout das Ergebnis eines  längeren Prozesses ist, der sich aus  Arbeitsbelastung, empfundenem  Stress und psychologischer Anpassungsfähigkeit  zusammensetzt. Das  Geschehen lässt sich wie in  Abbildung  1 zusammenfassen.

Das mit diesem Begriff beschriebene  Syndrom wird mit zahlreichen Symptomen  in Verbindung gebracht  (­ Tab. 1), wobei die drei Hauptsymptome  immer wieder unter starker  Kritik stehen. Danach sei lediglich  emotionale Erschöpfung als Symptom  einzustufen, während Depersonalisation/  Zynismus eher als Copingstrategie  und verringerte subjektive  Leistung als Resultat auf chronischen  Stress zu bewerten seien [4].

Die Leistungsabnahme spielt bei  Ärzten bei anfänglichem Burnout im  Vergleich zu anderen Berufsgruppen  eine untergeordnete Rolle, diese ist  das schwächste Diagnosekriterium.  Die eigene Leistungsorientierung als  Ressource verhindert bis zu mehr als  einem Jahrzehnt den kompletten  Zusammenbruch trotz Burnout. So  sind nach Bergner Ärzte seit ihrem  Studium darauf trainiert ihrenWillen  einzusetzen [5].

Notwendig ist eine begriffliche Abgrenzung  zur beruflichen Sinnkrise,  die ebenfalls auftreten kann aufgrund  von Überarbeitung, Überforderung,  Zeitdruck und auch fehlende  Anerkennung oder schlechte Bezahlung  und persönliche Konfliktfelder,  wenn z. B. eigene Bedürfnisse  und familiäre Verpflichtungen nicht  mehr oder nur unzureichend miteinander  vereinbar sind. In der Konsequenz  kann Burnout auch als die  Sinnfrage im persönlichen Leben angenommen  werden. Um sich dieser  Frage zu nähern, ist es wichtig, zu erkennen,  welche Rollen wir ausführen  möchten und welche individuellen  Ziele wir haben.

Bei Konflikten im interpersonellen  Bereich wird von „Mobbing“ gesprochen.

Gesellschaftliche Aspekte

Burnout wird in der gesellschaftlichen  Diskussion seit den 1970er Jahren  genutzt, wobei dies ohne die  sonst mit psychischen Störungen  verbundene Stigmatisierung geschieht. Ditzler formuliert: „denn nur der ist ausgebrannt, der einmal für seine Arbeit gebrannt hat“ [3]. Insbesondere auch für die Medien, die dieses Thema aufgreifen, wurde eine neue Volkskrankheit ausgerufen. Die Popularität von Burnout verweist jedoch auf vitale Bedürfnisse und Nöte einer im Wandel begriffenen Gesellschaft, in der viele durch Veränderungen vor allem in der Arbeitswelt belastet und existenziell bedroht sind.

Schließlich gibt es auch im Hintergrund unserer westlichen Industriegesellschaft grenzwertige Gesundheitsbelastungen, die mit unserem Lebensstil zusammenhängen. Dazu gehören Bewegungsmangel, Fehlernährung und chronischer Stress bei gleichzeitigem Verlust von traditionellen sozialen Beratungs- und Stützungsfunktionen (z. B. durch eine Mehrgenerationenfamilie). Bei zunehmender Individualisierung oder Reduktion der Familienstrukturen auf zwei bis vier Personenhausalte, fehlen wohlmeinende Bezugspersonen, die bei körperlichen Beschwerden oder eskaladierenden Beziehungsauseinandersetzungen Rat geben können, ohne „sofort“ medizinische Dienste aufzusuchen.

Arbeitswelt

In der gesellschaftlichen Entwicklung mit zunehmender Globalisierung bei gleichzeitig unsicheren und stressbelasteten Arbeitsverhältnissen entsteht in soziokultureller Hinsicht die Voraussetzung, dass Burnout zu einem Phänomen unserer Zeit werden konnte. Es liegen hinreichend arbeitspsychologische Untersuchen vor, die unter dem Stressparadigma keinen Zweifel daran lassen, dass bestimmte Konstellationen gesundheitsschädliche Auswirkungen haben [6]. Je höher das Arbeitstempo und je weniger Kontrollmöglichkeiten eine Person hat, je geringer die erlebte Anerkennung ist und je unsicherer der Arbeitsplatz, umso höher ist das Risiko, psychosomatische Erkrankungen bzw. Stress-Symptome zu entwickeln. Von 2001 bis 2005 stieg der Anteil der durch psychische Störung bedingten AU-Tage von 6,6 auf 10,5%an. Bei unter 50- Jährigen stehen depressive Störungen als Frühberentungsgrund mittlerweile an zweiter Stelle. Wer diesem Druck nicht mehr standhalten bzw. die erhaltenen Gratifikationen in Relation zum persönlichen Einsatz als zu gering erlebt, für den ist Burnout ein Stress-Symptom, mit dem sich die erlebten Beeinträchtigungen plausibel erklären lassen.

Unklarheiten bzgl. der Arbeitsplatzaufgaben und der Ziele sowie konfliktreiche Interaktionen am Arbeitsplatz stellen ein Risikomerkmal dar, wie auch geringe Wertschätzung und berufliche Gratifikationskrisen. Schließlich ist auch Arbeitsplatzunsicherheit ein relevanter Burnout-Risikofaktor.

Nicht zuletzt ist der Krankenstatus von vielfältigen sozialen Ursachen abhängig, mit Rückwirkung auf das soziale Umfeld. So gibt es eine Beziehung zwischen Betriebsklima und Arbeitsunfähigkeitsraten. Es ist naheliegend anzunehmen, dass ein Mitarbeiter, der sich vom Chef oder seinen Kollegen schikaniert, missachtet, degradiert oder ausgenutzt fühlt, bei entsprechenden Rückzugstendenzen in seiner Persönlichkeit den Ausweg suchen wird, vom Arbeitsplatz fernzubleiben. Dazu genügen u. U. beliebige körperliche oder psychische Klagen, um eine Krankschreibung zu erreichen. In vieler Hinsicht wird diese „Konsumentenhaltung“ gegenüber Gesundheitsdiensten oft kritisiert. Schließlich darf auch der Beitrag von Medienmeinungen und Einstellungen der gesamten Gesellschaft nicht unterschätzt werden. Gibt es doch immer wieder Diagnosen, die in den Medienfokus rücken, sei es die Depression, sei es das Trauma oder auch Burnout und so zu einer verstärkten Selbstbeobachtung bis hin zu einer Hypochondrisierung bei dem Einzelnen führen.

Die negativen Folgen einer Diagnosestellung insbesondere bei einer psychischen Erkrankung können dazu führen, dass die gesundheitlichen Probleme aggraviert werden, Betroffene sich zunehmend Sorgen um ihren Gesundheitszustand machen und damit Fähigkeiten der Selbstheilung/ Resilienz eher gelähmt werden.

Last but not least kann es zu überflüssigen oder gar schädlichen Behandlungen führen. Gerade unter dem Etikett der psychischen Erkrankungen finden sich in unserer Berufswelt zunehmend Frühberentungen und auch heute spielen noch soziale Stigmatisierungen eine Rolle. Dieses Pro und Kontra gilt bei jeder Diagnose, seien es Rückenschmerzen oder Burnout.

Zufriedenheit im ärztlichen Beruf

Zufrieden oder resigniert mit ihrem Beruf sind 78 %aller deutschen Vertragsärzte, 58 %würden kein Vertragsarzt mehr werden und 37 % würden sogar ihren Beruf heute nicht mehr ergreifen [7]. Die Unzufriedenheit im Arztberuf hat vielfältige Gründe. Dazu gehören in absteigender Häufigkeit:
– das Arzt-Bild in den öffentlichen Medien
– fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten
– unzureichendes Netz eigener sozialer Sicherheit
– Arzt-Bild in den Fachmedien
– Arzt-Bild in der Gesellschaft

Wird dagegen gefragt, was zu mehr Zufriedenheit in dem Beruf führen würde, sind dies:
– adäquate Zahlung und Prämien
– ein gutes Arbeitsklima
– Fortbildungsmöglichkeiten
– Unterstützung von Kollegen und durch Supervision
– funktionierende Kommunikation
– Arbeitsplatzsicherheit

Selbstzuschreibung

Menschen, die sich als besonders engagiert einschätzen, äußern z. B. „…ich hatte zu viele Aufgaben, andere sind krankgeworden, ich habe alles gemacht, hatte dazu noch einen Nebenjob, jetzt sind meine Batterien leer…“. So kann sich jeder Betroffene und in diesem Sinne auch Leidende selbst diagnostisch und ohne, dass ihn Experten durch Sachargumente davon abbringen können, mit dem Phänomen identifizieren.

Auf der anderen Seite ist es ein „Krankheitsmodell“, das das individuelle Selbstwertgefühl eher stabilisiert, während dies sonst bei psychischen Erkrankungen zusätzlich labilisiert werden kann. Oft ist es mit der Haltung verbunden „mich trifft keine Schuld, ich habe zu viel geleistet, die Umstände waren gegen mich, vom Vorgesetzten oder von Kollegen wurde ich außerdem noch ausgenutzt…“ So sehen sich die Betroffenen als Opfer ihrer verzweifelten Bemühung, den überhöhten und ständig wachsenden Anforderungen eines sich verändernden Berufslebens gerecht zu werden. Die Zuschreibung Burnout beinhaltet nicht nur das Eingeständnis des eigenen Zusammenbruchs, sondern auch eine mehr oder weniger versteckte Anklage gegen eine krankmachende und als unmenschlich verstandene Berufswelt oder Gesellschaft [8].

Die entscheidende Ausgangssituation ist wie der einzelne Mensch sich selbst wahrnimmt und einschätzt, sowie sein Inanspruchnahmeverhalten, sei es gegenüber Beratungsstellen oder medizinischen Einrichtungen. Individuen, die sich durch ein stabiles Selbstwertgefühl, innere Kontrollüberzeugungen (im Sinne von Zutrauen in eigene Fähigkeiten) und hoheWiderstandsfähigkeit (Resilienz) auszeichnen, sind vergleichsweise Stress- und Burnout-resistent. Demgegenüber konnten externale Kontrollüberzeugungen im Sinne eines Sich-Ausgeliefertfühlens (Neurotizismus, Ängstlichkeit, Feindseligkeit, Depressivität, geringe Selbstsicherheit und Vulnerabilität) sowie familiäre Belastung mit psychischen Störungen als Burnout-Risikofaktoren identifiziert werden.

Operationalisierung: Wie lässt sich Burnout messen?

Entsprechend aktuellen diagnostischen Standards lassen sich weder die Symptomatik noch ihre Ursachen zusammenfassend reliabel operationalisieren. Im Gesundheitssurvey für Erwachsene, DEGS des Robert- Koch-Instituts, wird nachgefragt, ob ein Burnout-Syndrom von einem Arzt oder Psychotherapeuten festgestellt wurde. 4,2%der Befragten gaben an, dass ein Burnout-Syndrom bestand [9].

In verschiedenen Untersuchungen waren Burnout-Betroffene sowohl psychologisch als auch neurophysiologisch heterogen. Es finden sich sowohl ehemals engagiert kompetente sowie von Berufsbeginn an überforderte Personen gegenüber.

Maslach et al. [10] bemühten sich um eine Definition des Phänomens, ausgehend von der Frage, wie es in sozialengagierten Berufen gelingen kann, Balance zwischen Mitgefühl und professioneller Distanz zu halten. So identifizierten sie als die zentralen Dimensionen emotionale Erschöpfung, reduzierte Leistungsfähigkeit und Depersonalisation, d. h. eine distanzierte Haltung zu Patienten/ Klienten (diese weniger als Menschen, sondern mehr als unpersönliche „Objekte“ wahrzunehmen).

Von dieser Arbeitsgruppe wurde das Messinstrument MBI, Maslach- Burnout-Inventar entwickelt, das bis heute am weitesten verbreitete Burnout-Messinstrument. Es gibt z. B. in der Skala emotionale Erschöpfung ein Item „ich fühle mich von meiner Arbeit ausgelaugt“. Dies ist auf einer Sechser-Skalierung zu beantworten zwischen 1 „einige Male im Jahr“ bis 6 „täglich“. Auch wenn der MBI inzwischen umfangreich bei verschiedenen Berufsgruppen eingesetzt wurde, ließ sich kein exakter Cut-off-Wert identifizieren, um eine Differenzierung im Sinne von Gesund versus Krank vorzunehmen. So ist es möglich, einen individuellen Skalenwert entsprechend verschiedenen Vergleichsgruppen zuzuordnen, ohne dass aber eine klinische Wertung möglich ist. Bei verschiedensten befragten Kollektiven, wie z. B. Ärzte, Lehrer, Manager, fanden sich jeweils 20–30% Burnout- Gefährdete, andererseits ist es nicht möglich, keine Punkte auf der Burnout-Skala zu haben.

In Untersuchung mit dem MBI-Fragebogen korrelierten die erhobenen Daten relativ hoch (0,3–0,7) mit Stresserleben und Arbeitszufriedenheit, mit Depression bzw. Depressivität und mit neurotischen Persönlichkeitsmerkmalen bzw. Neurotizismus (Ängstlichkeit, emotionale Labilität). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse bleibt zu betonten, dass Burnout keine eigene/abgegrenzte Kategorie abbildet. Auch das oft damit in Zusammenhang gebrachte Ideal oder auch als positives Selbstverständnis geäußerte „idealistischhochengagiert“ und sich dabei im Beruf „verzehrend“ wird mit solchen Ergebnissen deutlich widerlegt, aber in der öffentlichen Diskussion kaum zur Kenntnis genommen“ [11].

In anderen Konzepten ginge es mehr um die Art der Bewältigung von beruflichen Belastungen von gesunden Personen. Andere Arbeitsgruppen untersuchten Burnout als Vorstufe oder Variante von psychosomatischen Störungen. Von einer niederländischen Arbeitsgruppe wird Burnout als arbeitsbedingte Form der Neurasthenie aufgeführt. Andere Arbeitsgruppen versuchen arbeitsbezogenes Engagement, Problembewältigungsstrategien und berufsbegleitende Emotionen abzubilden. Keinem dieser Konstrukte ist es gelungen, ein umschriebenes krankheitswertiges Phänomen zu erfassen (zur Übersicht siehe [11]).

Mit all diesen Ansätzen lässt sich schließen, dass Burnout ein komplexes Phänomen ist, dem problematische Interaktion zwischen Individuum und Arbeitsplatzmerkmalen zugrunde liegen. Nach Ergebnissen des BMI-Fragebogens haben jüngere Personen höhere Werte als ältere und unverheiratete höhere als verheiratete Menschen im Sinne von stärkerer Belastung.

Burnout-Verlauf und Behandlung

Burnout wurde ursprünglich als arbeitsbezogenes Syndrom mit einer vielfältigen psychischen Symptomatik beschrieben, ohne dass nach ICD10 oder DSM4 eine Krankheitsdiagnose besteht. Jedoch kann bei chronischem Verlauf am Ende auch eine psychische Erkrankung stehen, wie z. B. eine Depression, eine Angst- oder Panikstörung oder eine Suchterkrankung. Von verschiedenen Autoren wird die prozesshafte Entwicklung über mehrere Phasen beschrieben bis hin zu einem Zustand mit anhaltender Erschöpfung, Überdruss, Leistungsinsuffizienz und Resignation. Dabei geht es nicht nur um ein Problem der individuellen Bewältigung oder Anpassung, sondern es werden auch die gesellschaftlichen Bedingungen ins Spiel gebracht. Diese werden oft in dem Kontext der modernen Leistungs- und zunehmenden Informationsgesellschaft dargestellt, in welcher der ständige Versuch, alles zu wissen, zu können und zu beherrschen zu einer kollektiven Ermüdung führt, Han [12] spricht in seinem Buch von der „Müdigkeitsgesellschaft“.

Die Unklarheit des Burnout-Syndroms zeigt sich auch in seiner angenommenen Entwicklung. Diese reicht von einem 2- bis 10-Phasen- Modell. Demnach beginnt Burnout entweder mit idealistischer Begeisterung oder aber mit Berufsstress, Überforderungserleben und/oder chronischer Müdigkeit. Die zwei Stufen beschreiben ein empfindendes und ein empfindungsloses Stadium. Hillert und Marwitz [13] nennen ein Zehn-Phasen-Stadium:
1. Freundlichkeit und Idealismus
2. Überforderung
3. Geringer werdende Freundlichkeit
4. Schuldgefühle
5. Vermehrte Anstrengung
6. Erfolglosigkeit
7. Hilflosigkeit
8. Hoffnungslosigkeit
9. Erschöpfung, Distanzierung,Wut
10.Burnout

In welchen Phasen Burnout erfolgt, ist letztendlich nebensächlich.Wichtig ist dasWissenumdie anfängliche Hyperaktivität, welche wenige Wochen bis Jahre andauern kann. Dafür lässt sich beispielshaft ausführen, dass Betroffene gerade in solchen Phasen auch noch neue Tätigkeiten annehmen. Möglichst viel arbeiten, oft von zu Hause aus, was mit zunehmender Onlinevernetzung auch ein zunehmendes Risikopotential in sich birgt. Diese Hyperaktivität kann in dem Gefühl, unentbehrlich zu sein, anfangs einen hohen Benefit enthalten. Dieses „ohne-mich-geht es-nicht-Gefühl“ korrespondiert nicht selten mit einem labilen Selbstwertgefühl neben Stimmungsschwankungen. Es werden Kompensationen gesucht, die oftmals im Materiellen liegen, d. h. die Einnahmenseite wird gesteigert, aber genauso auch die Ausgabenseite. Die „aufopfernde Hyperaktivität“ kann dem Arbeitsgeber durch eine hohe Leistungsausbeute bei anfänglichem Burnout nutzen. Letztlich dient sie damit dem Gesundheitssystem, wofür Millionen unbezahlter Überstunden in deutschen Kliniken sprechen, die jedes Jahr aufgebaut werden [14, 15].

In der Behandlung von Burnout [5] zeigt sich, dass die Aktivierung der eigenen Ressourcen stärker gegen Burnout wirkt als Maßnahmen wie z. B. Beratung. Oft hat das Syndrom eine längere Vorgeschichte, weil die Symptome anfangs nicht wahrgenommen oder verleugnet werden.

Nicht selten sind es die somatischenSymptome, die zu einer Abklärungführen. Therapie und Coachingmaßnahmenunterscheiden sich von denPräventionsmaßnahmen dann, wennBurnout fortgeschritten ist. Sollte bereitseine Suchtproblematik eingetretensein, ist eine anfänglich stationäre Therapie ratsam und erst danachsollte ambulant weiterbehandelt werden. In der wissenschaftlichen Literatur kommt häufig die Verhaltenstherapie zur Anwendung bei Burnout. Allerdings lässt sich keine Methodenpräferenzexakt definieren,d. h. es kommen sowohl verhaltenstherapeutische als auch psychodynamische Verfahren zur Anwendung(_ Abb. 2).

In einem ersten Schritt geht es immer darum, was die Betroffenen selbst umsetzen können, danach steht dieFrage, wer braucht psychotherapeutische Hilfe zur Umsetzung und erst in einem dritten Schritt folgt die Entscheidungzu einer Psychotherapie.

Burnout-Prävention

In die Burnout Prävention muss der Körper einbezogen werden, d. h.sich körperlich weder unter- noch überfordern, Bewegung und Sporttreiben, genügend Schlaf und gesunde Ernährung. Bergner [5] stellt eine Liste präventiver Maßnahmen vor.

1. Stresstoleranz (Veränderungdes Stressempfindens)
Burnout ist als Stresserkrankung definiert, dennoch reichen übliche Stressverminderungsprogramme nicht aus. Erklärt wird dies in der Kombination von Unzufriedenheit im Beruf mit Stresserleben. Erst wenn beides zusammen kommt, steigt das Burnout Risiko stark an. Es geht darum konkre therauszuarbeiten, welche Ursachen die Unzufriedenheit hat.

2. Zeitsouveränität (Veränderungim Umgang mit Zeitnot)
Die Zeitnot ist ein Hauptindikator, der von den Betroffenen oft vorrangig angegeben wird. Dieses Thema zu bearbeiten, heißt auch, über übliche Zeitmanagementprogramme hinaus zu gehen, da Ärzte oft dicht getaktete wichtige Termine wie beispielsweise Patiententermine in Ambulanzen und Praxen haben. D. h. Ärzte brauchen ein funktionierendes Terminmanagement, das die typische Aufgabenstrukturierung berücksichtigt:
– Was muss ich sofort tun, waskann ich delegieren?
– Was lege ich auf einen Termin?
– Was lasse ich ganz bleiben, was verändere ich?

Darüber hinaus geht die Frage nachden Lebenszielen:
– Wofür möchte ich mir Zeit nehmen?
– In welcher Zeit meines Lebens befinde ich mich?
– Gehe ich mit genügend Selbstrespekt mit meiner Zeit um, bringe ich der Zeit anderer den notwendigenRespekt gegenüber?

3. Aufbau von Situationsttoleranzim Sinne von Abbauen unerträglicher Situationen
Bergner [5] differenziert danebenaufbauende und erkennende Komponenten:
– Eine sog. „Dyadenkompetenz“, d. h. Steigerung der interpersonellen Kompetenz. Burnout tritt gehäuft in Berufen auf, die mit Belastungen, Leiden und Erwartungen eines Gegenübers zu tun haben, neben den Erwartungen an sich selbst. So sind es nebenÄrzten und Therapeuten oder Pflegekräften auch Erzieher, Lehrer und Sozialarbeiter, bei denen intensive Gesprächsinhalte einen Einfluss auf die emotionale Regulationsfähigkeithaben [16]. Burnoutprävention muss sich deshalb auch mit der Verbesserung der Fähigkeit im Umgang mit zwischenmenschlichen Kontakten und der emotionalen Kompetenzbefassen.
– Eigenbestimmtheit stärken, Aufbau der Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins
– Aufbau eines konstanten Maßes an persönlicher Zufriedenheit.

Schließlich geht es um die sogenanntenerkennenden Komponenten:
– Rollensicherheit, d. h. erkennen,welche Rolle ich spiele und welche nicht. Bei Ärzten ist die Entscheidung,den Arztberuf zu ergreifen, sehr oft mit einer sehr persönlichen Vorgeschichte verbunden: Dies kann die Vorgabeder Herkunftsfamilie sein, z. B.die Praxis von Vater oder Mutter zu übernehmen, eine gute Abiturnote aus der Perspektive des sozialen Umfeldes sinnvoll zu nutzen oder aus eigener Krankengeschichte. In der Auseinandersetzung mit einem Burnout-Syndrom kann es darum gehen, sich diese inneren und äußeren Konflikte klar zu machen und u. U. im beruflichen Kontext neue Entscheidungen zu treffen.
– Zielerkenntnisse, d. h. das Erkennen der mittel- und langfristigen Ziele. Diese u. U. existenzielle Frage zielt auf das, was ich will und nicht darauf, wie ich es ausfüllen oder leben will. Ziele für sich zu definieren, heißt auch, Erfolg haben zu können und aus dieser Selbstgewissheit und Selbstwirksamkeit heraus innere Stützung und Stärkung zu erfahren. Es ergibt also Sinn, sich Ziele zu setzen und deren Erreichen anzustreben, zu realisieren und auch zu feiern. Dabei ist es wichtig, den Blick umzulenken von immer neuen materiellen Zielen zu dem, was die Motivation war, in den Arztberuf zu gehen. Gerade Ärzte verlieren durch die oft anstrengende und wiederkehrende Routine im Tagesablauf aus dem Blick, sich immer wieder neuen Zielen und Herausforderungen zu stellen. Die Arbeit an der eigenen Zielorientierung kann auch bedeuten, zu entscheiden, welche Tätigkeiten oder bisherige Ziele aufgegeben werden sollten.
– Sinnannäherung, d.h. erkennen, worum es im eigenen Leben geht, sich der Fähigkeit stellen, mit den eigenen Werten, Wünschen, Bedürfnissen und Zielen auseinanderzusetzen und dies im Einklang mit einem sicheren Selbstbild zu leben. Sich der der Sinnfrage zu stellen kann sowohl eine spirituelle Dimension eröffnen, aber auch eine bescheidene Antwort nach sich ziehen. In der Rückschau wird oft deutlich, dass vieles von dem, was zu einem Burnout geführt hat, sinnlos war.

Man sollte nicht auf ein Burnout oder eine Krankheit warten, bis man sich die Zeit nimmt, diese Fragen zu stellen, sondern sehr viel früher und immer wieder mit wichtigen Anderen darüber ins Gespräch gehen.

Selbstfürsorge

Der Weltärztebund verabschiedete in einer überarbeiteten Fassung 2017 die Deklaration von Genf, der der Deutsche Ärztetag sich einstimmig „mit großem Applaus“ angeschlossen hat [17]. Neu und beachtenswert daran ist, dass Ärztinnen und Ärzte auf ihre eigene Gesundheit achten sollen und sich für den Erhalt ihrer Fähigkeiten einsetzen sollen. Im Folgenden ein Auszug aus der Deklaration:
– Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschheit zu stellen.
– Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein.
– Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.
– Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichen Leben wahren.
– Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung oder Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.

Dieser letzte Punkt bekommt aktuell vor dem Hintergrund weltpolitischer Krisen verbunden mit Migration und Flucht von Menschen besondere Bedeutung. Der folgende Link weist in der deutschen Übersetzung durch die Bundesärztekammer auf den vollständigen Text hin (https://www. bundesaerztekammer.de/fileadmin/ user_upload/downloads/pdf-Ordner/ International/Deklaration_von_Genf _DE_2017.pdf).

Der bemerkenswerte Punkt hinsichtlich der ärztlichen Selbstfürsorge lautet:
– Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.

Dieser Passus ist in der 2017 revidierten Fassung der Deklaration von Genf neu und weist hin auf ein deutlich mehr ins Bewusstsein gerücktes Spannungsfeld zwischen physischer und mentaler Selbstfürsorge, Lebensqualität und hochprofessionellem Handeln. Möglicherweise sind wir auf diese Doppelaufgabe, d. h. Behandlung unserer Patientinnen und Patienten auf höchstem Niveau, aber auch die eigene Gesundheit und unser Wohlergehen im Blick zu haben, noch nicht hinreichend gerüstet.

Im beruflichen Umfeld prägen Komplexität, Beschleunigung und Aufgabenverdichtung zunehmend die Arbeitswelt jedes Einzelnen und haben Auswirkungen auf unseren persönlichen Alltag, sodass nicht wenige Ärztinnen und Ärzte Überforderung und „Arbeit am Limit“ erleben. Schon im Studium ist Burnout und Arbeitsstörung ein relevantes Thema in Abhängigkeit vom erlebten Zeitdruck [18]. Gleichzeitig lässt sich im Studium beobachten, dass Empathie zurückgeht, was mit einer hohen Studienbelastung und fehlenden ärztlichen Vorbildern begründet wird. Ärztinnen und Ärzten kann es schwerfallen, Gefühle wahrzunehmen, zu beschreiben und erst recht aus negativen Gedankenspiralen auszusteigen. Wie in allen Berufen mit sozialer Zuwendung sind sie gefährdet, sich emotional zu erschöpfen und letztlich in Abwehrstrategien zu gehen, die den Kontakt zu ihren Patienten erschweren oder sogar verlieren lassen. Es kann geschehen, dass die einzig verbleibende Strategie in Ironie und Sarkasmus liegt oder dass selbstschädigende Belastungen durch Alkohol kompensiert werden. Diese Maladaptation sollte Ärzte und Ärztinnen „in besonderer Weise sensibilisieren und motivieren, Techniken zu erwerben und Haltungen zu kultivieren, die dem entgegenwirken“ [17].

Zu dieser Art der Kompensation gehört es, Fähigkeiten der Resilienz zu kultivieren. Resilienz wird in der Psychologie als eine ArtWiderstandsfähigkeit verstanden. Methoden der Achtsamkeit und Meditation können hilfreich sein, wie z. B. Tang [19] bezogen auf die Stress-Reduktion und Gesundheits-Förderung nachweisen konnte. Kabat-Zinn hat in den 80er Jahren achtsamkeitsbasierte Übungen für Behandlung der Hypertonie und von chronischem Schmerz eingeführt [20]. Im Rahmen der neurowissenschaftlichen Forschung wurden seit den 90er Jahren bei Menschen die regelmäßig meditierten Veränderungen im Gehirn belegt, verbunden mit positivem Einfluss auf Alternsprozesse des Gehirns [21].

Die Konsequenz dieses Wissen für Ärztinnen und Ärzte sollte sein, sich den beschriebenen Themen der Selbstwahrnehmung und Selbstfür sorge zu öffnen. Schon im Studium oder später in der Weiter- und Fortbildung – auch in Qualitätszirkeln – sollte dieses Thema im Sinne eines „persönlichen Werkzeugkastens“ Beachtung finden.

Zusammenfassung

Wir leben in einer Zeit der Arbeitsverdichtung und der Informationsüberflutung bei gleichzeitiger Vereinzelung des Individuums. Auf diesem Boden entstehen Begrifflichkeiten jenseits von Krankheitsdiagnosen, wie z. B. das Burnout-Syndrom. In der ICD10-Klassifikation ist dieses als sogenannte Zusatz-Diagnose eingeordnet. Damit werden Faktoren beschrieben, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führen. Z73 beschreibt ein breites Spektrum von Problemen, die verbunden sind mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung und Z73.0 bezeichnet ein Erschöpfungssyndrom (Burnout-Syndrom), in dem sich Überlastung und Überforderung äußert. Umgangssprachlich ist Burn-out inzwischen ein viel genutzter, wie manchmal in Institutionen oder auch von einigen Autoren bemängelt, ein missbrauchter Begriff.

In der Literatur wird das Thema bei Ärzten und Therapeuten im Zusammenhang mit beruflichen Belastungen und Überforderungen diskutiert, etwa durch schwer kranke Patienten oder solche, die fordernd aggressiv auftreten oder nicht kooperieren.

Dieser Beitrag soll zu einer Begriffsklärung beitragen und jenen, die sich in einem solchen Spannungsfeld erleben, auch Strategien zur Prävention an die Hand geben. So erhöhen z. B. Supervision und Fortbildung nicht nur die Kompetenz, sondern dienen auch der emotionalen Entlastung und werden daher als präventive Maßnahmen gegen Burnout beschrieben. Entsprechend der Genfer Deklaration (2017) sollte neben einer hohen Qualität ärztlichen Handeln auch die Lebensqualität und dasWohlergehen der Ärzte und Ärztinnen gefordert und gefördert werden.

Schlüsselwörter: Burnout, Symptomatik, Verlauf, Behandlung, Prävention, Frauenärztinnen und Frauenärzte

Korrespondenzadresse:

Prof. apl. Dr. rer. nat. Dr. med. Mechthild Neises
Lemierser Berg 119
52074 Aachen
Tel.: +49 (0)241 90078507
info@mechthild-neises.de
www.mechthild-neises.de

Slide Ärzte und Ärztinnen zwischen Burnout und Selbstfürsorge Gyne 04/2019

Literatur:

1. Gensichen J, Linden M. Gesundes Leiden – die „Z-Diagnosen“ Dtsch. Ärztebl 2013; 110: A70–72
2. Freudenberger J H. Staff Burn-out. Journal of Social Issues 1974; 30: 159–165
3. Ditzler K. Berufliche Sinnkrise und Burnout bei Ärzten. Frauenarzt 2013; 54: 1185–1161
4. Dörr J, Nater U. Erschöpfungssyndrome – Eine Diskussion verschiedener Begriffe, Definitionsansätze und klassifikatorischer Konzepte. Psychother Psych Med 2013; 63: 69–76
5. Bergner TMH. Burnout-Prävention für Ärzte und Therapeuten. Ärztl Psychother 2008; 4: 243–250
6. Siegrist J, Rödel A. Chronischer Distress im Erwerbsleben und depressive Störungen. In: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.): Arbeitsbedingtheit depressiver Störungen. WirtschaftsverlagNW2005: 27–37
7. Bestmann B, Rohde V, Wellmann A, et al. Zufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten. Dtsch Ärztebl 2004; 101: A28–32
8. Rudolf G. Opfer-Überzeugungen. Die „neuen“ Störungsbilder – Faszination und Schwierigkeiten. Forum Psychoanalyse 2012. DOI 10.1007/s00451-012-0120-1
9. Kurth B-M. Erste Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS). Bundesgesundheitsbl 2012; 55: 980–990
10. Maslach C, Jackson SE, Leiter MP. The Maslach Burnout Inventory Manual. 2nd Ed. Palo Alto, CA: Consulting Psychologists Press 1996
11. Hillert A, Marwitz M. Burnout: Eine Kritische Analyse mit therapeutischen Implikationen. Ärztliche Psychotherapie 2008; 4: 235–241
12. Han B-C. Müdigkeitsgesellschaft. Matthes & Seitz, Berlin 2010
13. Hillert A, Marwitz M. Die Burnout-Epidemie. Oder brennt die Leistungsgesellschaft aus? Beck, München 2006
14. Bergner T. Burnout-Prävention. Schattauer, Stuttgart 2016, 3. Aufl.
15. Bergner T. Burnout bei Ärzten. Lebensaufgabe statt Lebens-Aufgabe. Dtsch Ärztebl 2004; 101: 1866–1868
16. Zammuner VL, Galli C. Wellbeing: causes and consequences of emotion regulation in work settings. Int Rev Psychiatry 2005; 17: 355–364
17. Vogelsänger P. Das ärztliche Gelöbnis. Ärztl Psychotherapie 2018; 13: 256–259
18. Gumz A, Erices R, Brähler E, Zenger M. Faktorstruktur und Gütekriterien der deutschen Übersetzung des Maslach-Burnout-Inventars für Studierende von Schaufeli et al. (MBI-SS) Psychother Psych Med 2013; 63: 77–84
19. Tang YY, Hölzel BK, Posner MI. The neuroscience of mindfulness meditation. Nat Rev Neurosci. 2015 Apr; 16(4): 213–25
20. Kabat-Zinn J. Gesund durch Meditation. Knaur, München 2019
21. Ramírez-Barrantes R, Arancibia M, Stojanova J, Aspé-Sánchez M, Córdova C, Henríquez-Ch RA. Default Mode Network, Meditation, and Age-Associated Brain Changes: What CanWe Learn from
the Impact of Mental Training on Well-Being as a Psychotherapeutic Approach? Neural Plast 2019 Apr 2; 2019: 7067592. doi: 10.1155/2019/7067592. eCollection 2019
22. Bergner TMH. Burnout bei Ärzten. Schattauer, Stuttgart 2007

Gyne 04/2019 – Sexuelle Störungen nach sexueller Gewalt

  • 14. Februar 2020
  • Gyne

Gyne 04/2019

Sexuelle Störungen nach sexueller Gewalt

Autorin:

  M. Büttner

          

Einleitung

Sexuelle Gewalt ist häufig und bildet regelmäßig die Grundlage für die Entwicklung von schweren Störungen der Sexualität. Der Beitrag beschreibt typische sexuelle Beschwerden von Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen und gibt neben Empfehlungen für ein traumasensibles Vorgehen in der gynäkologischen Anamnese und Untersuchung auch Hinweise dazu, wo Betroffene
spezialisierte Beratungs- und Therapiemöglichkeiten finden.
Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, das in der gynäkologischen Praxis bislang wenig Aufmerksamkeit erfährt. Dabei ist davon auszugehen, dass jede vierte bis fünfte Frau in Europa in der Vergangenheit körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt hat [1]. Jede achte Frau in Deutschland wurde außerdem als Jugendliche oder Erwachsene unter Anwendung von körperlichem Zwang oder Drohungen sexuell misshandelt [2]. Und jede 13. Frau hat vor dem 16. Lebensjahr sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt erlitten [3].
Während die zumeist männlichen Täter bei sexuellem Missbrauch im Kindesalter überwiegend aus der Familie (49 %) oder dem Bekanntenkreis (27,3 %) stammen [3], wird sexuelle Gewalt in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter vor allem durch Dating- [4] oder Intimpartner [5] verübt. So war jede vierte Frau in Deutschland bereits mindestens einmal im Leben körperlicher oder sexueller Gewalt in der Partnerschaft ausgesetzt [6].
Viele Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, sind darüber hinaus als Kind emotional und/oder körperlich misshandelt und vernachlässigt worden. Diese Betroffenen fallen oft Sexuelle Störungen nach sexueller Gewalt durch sexuelle Beschwerdebilder von besonderer Schwere auf, sodass die Annahme naheliegt, dass sich die Effekte der unterschiedlichen Traumatisierungen auf die Störungsgenese addieren [7].
Im Moment des Übergriffs empfinden viele Betroffene völlige Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein. Sie werden von Ohnmacht, Ekel, Scham, Angst – mitunter bis hin zur Todesangst – oder Schmerzen überwältigt. Ihr wehrloser Körper ist wie erstarrt und gelähmt. Selbst wenn die Betroffenen verabscheuen, was geschieht, werden nicht selten reflektorisch körperliche Erregung oder Orgasmen ausgelöst.
Bei einem Teil der Betroffenen setzt schließlich einMechanismus ein, der sie vor dem verstörenden Erleben bewahren soll – die Dissoziation. Die Wahrnehmung verändert sich, schafft Distanz zu dem Geschehen oder blendet es ganz aus.Was passiert, erscheint unwirklich. Der Körper spürt nichts mehr, ist wie betäubt oder wird als nicht mehr zugehörig empfunden. Manchmal besteht hinterher eine Amnesie für Teile des Erlebten, die die Betroffenen vor einer Überflutung mit unerträglichen Erinnerungen schützt.
Frauen, die diese Seite von Sexualität kennengelernt haben, haben später oft mit ganz erheblichen Problemen in ihrer eigenen Sexualität zu kämpfen – und zwar umso eher, je häufiger es zu Übergriffen gekommen ist und je schwerer sich diese gestalteten [8, 9]. So gilt sexuelle Gewalt mit Penetration in Vagina, Anus oder Mund als besonders schädigend und auch wenn die Übergriffe sehr früh im Leben erfolgten, es womöglich sogar die ersten Erfahrungen mit Sexualität überhaupt waren, sind die Folgen für die Sexualität oft besonders tiefgreifend.

Posttraumatische Belastungsstörung im Bereich der Sexualität („Sexuelle PTBS“)

Für viele betroffene Frauen ist Sexualität nach dem Trauma untrennbar mit den überwältigenden Erfahrungen der Gewaltereignisse verknüpft. Bei jeder erneuten Konfrontation mit Sex werden die Erinnerungen daran lebendig – nicht selten in einer Intensität, als würde gerade wieder ein Übergriff stattfinden. Sex heute fühlt sich an „wie damals“, unabhängig davon, wie lange das Ereignis schon vorüber ist. Jedes Mal aufs Neue werden die Betroffenen von schwer zu ertragenden Gefühlen, Gedanken und Körperempfindungen erfasst. Neben Ekel und Abscheu sind es Angst, Panik, Ohnmacht
oder Wut, die es den Betroffenen schwer machen, Sexualität als angenehm zu erleben. Filme und Bilder von den Gewalthandlungen versetzen sie zurück in die traumatische Situation. Körpernahe Erinnerungen fühlen sich so an, als seien die Betroffenen noch immer im Intimbereich verwundet oder vom Sperma des Täters beschmutzt [10].
Eine Überaktivierung des autonomen Nervensystems ist vermutlich mitverantwortlich für eine Stress und Schutzreaktion, die wie „freeze, flight, fight, or fright“ [11] anmutet. Das Herz rast, der Atem wird flach und die Muskulatur spannt sich stark an, um den Körper auf eine Reaktion vorzubereiten. Da Flucht und Kampf jedoch in der Regel keine Option sind, erstarren viele Betroffene angstvoll und fühlen sich unfähig zu handeln oder sich zu bewegen.
Ist der Beckenboden von der muskulären Verspannung betroffen, kann es unter anderem zu anhaltenden Unterbauchschmerzen, Schmerzen bei der Penetration und auch zu Vaginismus oder  Vulvodynie kommen. Blasen- und Darmentleerungsstörungen sind keine seltene Begleiterscheinung [12, 13]. Tatsächlich sind Beckenbodendysfunktionen [14],Dyspareunie [15, 16] und Vaginismus
[15, 17] bei Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen häufiger anzutreffen als bei anderen.

Fallbeschreibung 1
Ende 30-jährige Patientin, sexuelle Gewalt in der Kindheit:

„Ich habe schon lange mit Schmerzen im Unterleib zu tun, vor allem beim Sex. Ich war damit bei verschiedenen Gynäkologinnen, aber gefunden wurde nie etwas. Mit meinem Freund zu schlafen, geht schon lange nicht mehr – nicht nur, weil es weh tut. Ich empfinde dabei so viel Ekel und Angst, dass es mich lähmt. Wenn er mich im Intimbereich berührt, bekomme ich außerdem große Angst. Manchmal kann ich wie ein Roboter alles mitmachen, bin dabei aber ganz weit weg und spüre mich nicht. In letzter Zeit laufen auch immer wieder Filme von dem Missbrauch in meinem Kopf ab. Mein Freund weiß, was damals passiert ist. Er ist sehr verständnisvoll und will mich nicht überfordern, aber ich weiß, dass er den Sex vermisst. Ich frage mich, wie lange das gut gehen kann. Wahrscheinlich trifft er irgendwann eine andere Frau, die ihm das erfüllen kann.“

Das Denken betroffener Frauen ist oftmals geprägt durch starke Selbstablehnung und Machtlosigkeit. „Ich bin selbst schuld, dass ich missbraucht wurde“, „Ich habe es nicht verdient, gut behandelt zu werden“, „Ich bin schlecht“ sind nur einige von vielen typischen Überzeugungen, die es ihnen schwermachen, sich selbst verständnisvoll zu begegnen und dem Ohnmachtserleben etwas entgegenzusetzen.
Bei einem Teil der Betroffenen kommt es beim Sex außerdem zu Dissoziation. Derealisation („Was gerade geschieht, ist nicht wirklich“), Depersonalisation („Mein Körper gehört nicht zu mir“) und Abwesenheitszustände mit anschließender Amnesie („Ich habe wohl abgeschaltet. Was genau passiert ist, weiß ich nicht“) stellen Versuche des Gehirns dar, Distanz zu dem überfordernden Erleben
zu schaffen.
Körperlich äußert sich Dissoziation darin, dass bestimmte Körperteile wie etwa das Genital, das Becken, die Brüste, die Hände oder Bereiche im Gesicht als gefühllos oder taub empfunden werden. Oft zeigt sich, dass dieMuster dieser körperlichen Selbstwahrnehmung Körperbereiche betreffen, die in den sexuellen Gewalthandlungen eine bedeutende Rolle gespielt haben. Das Nicht-Spüren schützt vor einer Konfrontation mit einer Vielzahl von Auslösereizen, die mit diesen Körperregionen in Verbindung stehen und belastendes Wiedererleben auslösen können [10].

Fallbeschreibung 2
Mitte 30-jährige Patientin, sexuelle Gewalt in der Kindheit:
„Ich konnte ja noch nie richtig Sex haben, weil ich diesen Vaginismus habe. Eine Gynäkologin hat mal versucht, mich mit Vaginaldilatatoren zu behandeln. Sie hat sich viel Zeit genommen, hat mir genau erklärt, wie ich damit üben muss. Ich konnte die Übungen aber nicht machen, weil ich jedes Mal zu zittern begann und nicht mehr richtig atmen konnte. Heute weiß ich, dass das Panikattacken waren. Trotzdem habe ich es ein paarmal versucht, bis plötzlich so ein Ekelgefühl in mir aufkam. Zuerst war es nur eine Ahnung, aber dann habe ich glasklar meinen stöhnenden Großvater vor Augen gesehen – und seine geöffnete Hose.“

Ein fehlendes Verlangen nach Sex, Erregungsstörungen und Orgasmusprobleme sind bei Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen zwar besonders häufig, längst nicht jede Betroffene fühlt sich hierdurch jedoch beeinträchtigt. Körperliche Zeichen sexueller Reaktionen werden von einigen Betroffenen nämlich als Beweis dafür gewertet, dass sie den Missbrauch gewollt und selbst verschuldet haben – und zwar vor allem dann, wenn währenddessen unwillkürlich Erregung und Orgasmen ausgelöst wurden. Ähnlich geht es ihnen, wenn sich erregende Missbrauchs- oder Gewaltfantasien in die Wahrnehmung drängen, was bei einem Teil der Betroffenen regelmäßig geschieht [10].

Fallbeschreibung 3
Mitte 40-jährige Patientin, sexuelle Gewalt in der Kindheit:
„Das Schlimmste ist, dass ich diese abscheulichen Bilder nicht einfach wegschalten kann, sondern dass sie was mit einem Körper machen. Mein Mann freut sich zwar, wenn ich komme – und das passiert dann meistens sehr schnell – aber ich ekle mich anschließend vor mir selbst. Das ist doch pervers!“

Um nicht jedes Mal wieder mit dem überfordernden Erleben konfrontiert zu werden, vermeiden viele Betroffene Sexualität. Während ein Teil von ihnen sogar ganz auf sexuelle Beziehungen verzichtet, lassen sich andere Betroffene zwar auf Partnerschaften ein, gehen sexuellen Begegnungen aber so weit wie möglich aus dem Weg. Oft ist es die Angst, eines Tages vom Partner verlassen zu werden, die sie dazu bewegt, trotzdem Sex mitzumachen. Um die Belastungen, die für sie mit Sex verbunden sind, aushalten zu können, nehmen einige von ihnen vorher Alkohol, Beruhigungsmittel oder Drogen zu sich. Manche Betroffene kontrolliert das sexuelle Miteinander sehr stark, um Auslösereize zu umgehen. So kann es sein, dass sie einige Berührungen, Sexpraktiken oder Stellungen tolerieren können,
während sie auf andere aversiv reagieren [10].
Viele der hier beschriebenen Beschwerden lassen sich unter der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) zusammenfassen, die als Reaktion auf ein sexuelles Trauma innerhalb der Sexualität zu Tage tritt ( Abb. 1). Je nach Ausprägung des Symptombilds können nach Ausschluss organmedizinischer Ursachen zusätzlich die ICD-10-Kriterien eines oder mehrerer der folgenden Störungsbilder erfüllt sein:
– Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41)
– Nichtorganische Dyspareunie (F52.6) bzw. Vaginismus (F52.5), nach ICD-11 zukünftig sexuelle Schmerzstörung
– Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung (F44.6)
Für feste Partnerschaften bedeutet die sexuelle PTBS einer traumatisierten Frau oft eine große Herausforderung. Ihre Partner oder Partnerinnen sind oft verunsichert, wie sie sich bei sexuellen Begegnungen verhalten sollen, leiden unter den Einschränkungen für die gemeinsame Intimität und Sexualität oder sind hilflos, weil sie merken, dass sie wenig dazu beitragen können, dass sich die Situation verändert. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es mit der Zeit zu ernsthaften Krisen oder auch Trennungen kommt.

Sexuelles Risikoverhalten

Einige Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen setzen sich in der Sexualität ernsthaften Bedrohungen aus. Ungeschützter Sex mit wechselnden und wenig bekannten Partnern, riskante Sexualpraktiken, Alkohol- und Drogenkonsum vor dem Sex oder währenddessen tragen dazu bei, dass die Betroffenen sich leicht mit einer sexuell übertragbaren Erkrankung anstecken, ungewollt schwanger werden, sich verletzen oder erneut Opfer von sexueller Gewalt werden. Waren sie in der Kindheit sexuellem Missbrauch ausgesetzt, so lassen sie sich häufiger als andere Frauen schon in sehr jungem Alter auf Sex ein und gehen später öfter der Sexarbeit nach.

Fallbeschreibung 4
Ende 20-jährige Patientin, sexuelle Gewalt in der Kindheit und Adoleszenz:
„Ich weiß gar nicht, wie ich anders in Kontakt gehen soll als über Sex. Sonst bin ich doch nichts wert für einen Mann. Ich versuche, die Männer für mich einzunehmen, indem ich alle ihre Wünsche beim Sex erfülle. Ich trete sehr aufgeschlossen auf, mache auch Sachen mit, zu denen ich mich erstmal überwinden muss – aber es geht dann schon. Einer wollte mich kürzlich fisten (Anm. der Autorin: Dabei wird die ganze Hand in die Vagina oder den Anus eingeführt und dann zur Faust geballt). Das hat richtig weh getan. Aber manchmal muss man eben auch etwas aushalten. Ein anderer hat mich mal ziemlich heftig gewürgt, bis ich schließlich bewusstlos geworden bin. Manchmal habe ich auch ein mulmiges Gefühl, weil ich meistens ohne Kondom Sex habe. Aber wenn die Männer nicht danach fragen, sage ich auch nichts. Ich will ja niemanden verärgern.“

Viele dieser Betroffenen geraten deshalb immer wieder in riskante Situationen, weil sie Schwierigkeiten damit haben, ihre persönlichen Bedürfnisse und Grenzen wahrzunehmen und gegenüber einem Partner zu vertreten. In der sexuellen Gewalterfahrung – und oft auch durch körperliche, emotionale und Vernachlässigungstraumatisierungen in der Kindheit – haben sie gelernt, sich unterzuordnen
und zu tun, was von ihnen verlangt wird, wenn sie Beachtung erfahren und Strafe vermeiden wollen. Dass selbst ihre intimsten Grenzen von anderen überschritten werden, ist für sie „etwas Normales“. Es ist ihnen vertraut, gehört nach ihrer Erfahrung zu Beziehungen dazu und veranlasst sie nicht, sexuelle Forderungen zurückzuweisen, selbst wenn diese ihnen nicht guttun. Zu groß sind das Bedürfnis nach Zuwendung und Zuneigung und die Angst, beides zu verlieren, wenn sie den Erwartungen des anderen nicht nachkommen. Auch Impulse, sich selbst zu verletzen oder zu bestrafen, können eine Rolle spielen. Werden Alkohol, Drogen oder Beruhigungsmittel eingenommen, verstärkt sich das Problem zusätzlich [18].

Sexsucht (nicht-paraphile hypersexuelle Störung)

Gelegentlich trifft man auch auf Frauen, die nach einer sexuellen Gewalterfahrung unter einer Impulskontrollstörung leiden, die sich in der Sexualität äußert. Starke, schwer kontrollierbare Impulse steuern das sexuelle Verhalten und führen zu einem ständigen Drang, Sex zu haben oder Erregung und Orgasmen zu erleben. Während einige Betroffene ständig masturbieren oder Pornos und Cybersex konsumieren, brauchen andere viele direkte Kontakte mit einem oder mehreren wechselnden Sexpartnern. Eine solche Impulskontrollstörung kann suchtartige, zwanghafte oder dissoziative Züge tragen [19] und ist oft Ausdruck eines innerseelischen Versuchs, depressive Verstimmungen oder belastende Gefühle zu regulieren [20]. Nicht nur sexuelle Gewalt, sondern auch andere traumatische Erfahrungen, wie z.B. Vernachlässigung [21] und körperliche oder emotionale Gewalt in der Kindheit [22] gelten als Risikofaktoren für die Entwicklung solcher Beschwerdebilder.

Auswirkungen auf die sexuelle Orientierung

In der psychotraumatologischen Arbeit begegnet man regelmäßig betroffenen Frauen, denen eine Partnerschaft mit einem Mann aufgrund ihrer traumatischen Gewalterfahrungen mit männlichen Tätern als zu bedrohlich erscheint, die aber dennoch nicht auf eine feste Beziehung verzichten möchten. Mit einer Frau als Lebensgefährtin können sie sich ausreichend sicher fühlen. Ein Teil dieser Frauen lebt auch Sexualität mit ihren Partnerinnen, andere haben daran kein Interesse. Belastungen können z. B. im Zusammenhang mit Identitätsverunsicherungen oder Coming-out-Prozessen auftreten.

Fallbeschreibung 5
Mitte 40-jährige Patientin, sexuelle Gewalt in der Kindheit:
„An bestimmten Männern komme ich auf der Straße kaum vorbei. Sie müssen etwas Ruppiges und Mieses an sich haben, dann will ich sie ansprechen. Manche lassen sich überreden, mit mir mitzukommen. Dann will ich es schnell und hart.Wenn ich keinen Orgasmus hatte, weiß ich nicht wohin mit meinen Gefühlen – Frust, Verzweiflung, Wut. Das geht schon so seit ich 13 bin. Eine Beziehung hat deshalb noch nie geklappt. Das erträgt ja keiner.“

Traumasensible Gesprächsführung und Untersuchung in der gynäkologischen Praxis

Vor allem wenn Schmerzen bei der Penetration, chronische Unterbauchschmerzen oder Vaginismus eine Rolle spielen, steht für traumatisierte Frauen der Gang in die gynäkologische Praxis an. Für manche Betroffene ist dies jedoch mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil in der gynäkologischen Untersuchung Erinnerungen an das Trauma hervorgerufen werden können. Einige Veränderungen im Gesprächs- und Untersuchungsablauf können viel dazu beitragen, psychischer Überforderung, dem Wiedererleben von belastenden Erinnerungen an das Trauma und Dissoziation vorzubeugen. Ein solcher traumasensibler Umgang mit gynäkologischen Patientinnen kann u. a. die folgenden Elemente enthalten:

Screening auf traumatische Vorerfahrungen: Patientinnen mit traumatischen Erfahrungen in der Vergangenheit berichten im Kontakt mit Ärzten selten spontan hiervon. Auch sexuelle Probleme, die infolge einer Traumatisierung bestehen können, werden i. d. R. nicht angesprochen. Mithilfe eines behutsamen Screenings lässt sich eine erste Orientierung darüber gewinnen, ob eine Traumatisierung in der Vorgeschichte besteht.

Im Aufnahmebogen: Ein Aufnahmebogen, der sich u. a. auch nach traumatischen Erfahrungen in der Vergangenheit erkundigt, signalisiert betroffenen Patientinnen unaufdringlich, dass eine besondere Sensibilität für das Thema besteht. Zu sehen, dass auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen wird, kann es traumatisierten Patientinnen erleichtern, sich anzuvertrauen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hierfür genügt schon ein kurzer Hinweis, z. B.: „Manchen Frauen fällt es schwer, sich gynäkologisch untersuchen zu lassen, weil sie in der Vergangenheit besondere Belastungen erlebt haben, wie z. B. Sexualität gegen ihren Willen (Missbrauch, Vergewaltigung) oder andere Formen von Gewalt. Bitte sprechen Sie Ihre Ärztin/Ihren Arzt an, wenn dies auf Sie zutrifft.Wir helfen
Ihnen gerne, die Untersuchung möglichst angenehm zu gestalten und beraten Sie bei Bedarf auch zu weiteren Hilfsangeboten.“

Im Anamnesegespräch: Die oben vorgeschlagene Formulierung für den Aufnahmebogen kann in verkürzter Form auch für ein Screening im Anamnesegespräch verwendet werden.

Nicht in jedem Fall ist ein Trauma jedoch bewusst erinnerbar. Regelmäßig finden sich Betroffene, die PTBS-artige Beschwerden zeigen, ohne jedoch von einer traumatischen Erfahrung in ihrer Vergangenheit zu wissen. Doch auch in solchen Fällen können implizite Erinnerungsfragmente vorhanden sein, die sich z. B. als belastende Gefühle, körperliche Reaktionen oder Dissoziation bemerkbar machen können. Sollten also trotz leerer Traumaanamnese im Gespräch oder in der Untersuchungssituation Symptome zu Tage treten, die wie eine posttraumatische Reaktion anmuten, ist ein traumasensibles Vorgehen in jedem Fall von Vorteil.

Screening auf Traumafolgestörungen und traumabedingte sexuelle Probleme:
– „Haben Sie den Eindruck, dass das belastende Ereignis sich noch immer auf Ihr Leben auswirkt?“
– „Leiden Sie unter einer seelischen Erkrankung wie z. B. Depressionen oder starken Ängsten?“
– „Müssen Sie immer wieder an das belastende Ereignis denken, obwohl Sie das gar nicht möchten?“
– „ErlebenSieProblemeinder Sexualität?“

Vor der gynäkologischen Untersuchung: In medizinischen Untersuchungssituationen benötigen traumatisierte Patientinnen oft ein erhöhtes Maß an Mitbestimmung und Kontrolle, um sich nicht erneut ohnmächtig, ausgeliefert und hilflos zu fühlen. Mit den folgenden Fragen und Interventionen kann man traumatisierte Frauen unterstützen, ein ausreichendes Sicherheitsgefühl zu entwickeln:
„Wäre es hilfreich für Sie,wenn …
– … ich Ihnen den Untersuchungsstuhl und die Instrumente vorher zeige?“
– … ich Ihnen die Untersuchungsschritte ankündige und erkläre, bevor ich sie durchführe?“
– …wir ein Stopp-Zeichen vereinbaren für den Fall, dass Sie eine Pausebrauchen(z. B. rechte Hand heben, laut „Stopp“ sagen)? Wir können jederzeit zwischendurch unterbrechen, wenn es Ihnen zuviel wird.“
– … wir anschließend gemeinsam entscheiden, ob wir nach der Pause weitermachen oder ob wir lieber einen neuen Termin vereinbaren und nochmal Anlauf nehmen (sofern es sich nicht um eine Untersuchung handelt, die zwingend zum gegebenen Zeitpunkt durchzuführen ist)?“

Einige Betroffene kennen Wege, sich selbst zu regulieren. Unter Umständen haben sie in einer Therapie bereits Techniken zur Entspannung, Selbstberuhigung und Verankerung im Hier und Jetzt kennengelernt oder verfügen über antidissoziative Skills (Igelball, Gummibänder, Notfallkoffer etc.). Die Kompetenzen der Patientin können in der Untersuchungssituation hilfreich sein: „Gibt es etwas, das Ihnen helfen könnte, die Untersuchung zu bewältigen?“

Auch die Frage danach, wie sich die untersuchende Person verhalten sollte, falls es zu Wiedererleben oder Dissoziation kommt, ist oft aufschlussreich. Die Patientinnen können sich dazu äußern, ob Sie z. B. angesprochen oder auf eine bestimmte Weise berührt werden wollen oder ob es eine andere Hilfestellung gibt, die angeboten werden kann. Die Darbietung eines harmlosen, aber starken sensorischen Reizes wie z. B. eines Ice-Packs, Eiswürfels oder auch eines sehr intensiven Geruchs wie Ammoniak hilft einigen traumatisierten Patienten dabei, sich schneller wieder mit der Gegenwart zu verbinden.

Während der Untersuchung: Fortlaufend in enger Abstimmung und verbalem Kontakt mit einer traumatisierten Patientin zu stehen, ermöglicht dieser nicht nur, sich über das zu orientieren, was geschieht, es trägt auch dazu bei, dass die Patientin besser in der Gegenwart bleiben kann, anstatt in belastende Erinnerungen an das Trauma abzugleiten. Zusätzlich kann die Patientin Vertrauen
zu ihrer Ärztin oder ihrem Arzt aufbauen, weil sie erleben kann, dass diese ihre Sicherheitsbedürfnisse versteht und darauf eingeht.
– Berührungen ankündigen und ggf. vorher um Zustimmung bitten: „Ist es o.k., wenn ich jetzt das Spekulum einführe?“
– Während jedes Untersuchungsschritts erklären, was genau geschieht und wie es sich möglicherweise anfühlt.
– Zustimmung für den nächsten Untersuchungsschritt einholen: „Können wir weitermachen oder brauchen Sie noch einen Moment?“
– Auf die Zunahme von körperlichen Stressreaktionen achten, wie z. B. Zittern, starke muskuläre Anspannung (u. a. im Beckenbodenbereich), Schmerzen bei der Untersuchung, Blässe, Schwitzen oder eine flache, stockende Atmung. Dies kann ein Zeichen dafür sein, dass die Belastung ansteigt, die Patientin aber nicht in der Lage ist, sich zu Wort zu melden. Ggf. nachfragen, wie es der Patientin geht, und anbieten, eine Pause zu machen.

Wenn starkes Wiedererleben oder Dissoziation auftreten: Einige Maßnahmen können helfen, der Patientin Sicherheit zu vermitteln und den Zustand zügig zu beenden. Falls vorab Maßnahmen vereinbart wurden (s. o.), diese anwenden. Die Patientin
– … mit ruhiger Stimme beim Namen nennen und erklären, wo Sie sich befindet: „Frau X, ich bin es, Frau Dr. Y. Sie sind in meiner Praxis.“
– … bitten, Sie anzublicken: „Bitte schauen Sie mich an.“
– Unterleib mit einem Tuch bedecken
– … in eine sitzende Position bringen.
– … ggf. behutsam an der Hand, am Unterarm oder am Fuß berühren, nachdem dies angekündigt wurde: „Ich werde jetzt vorsichtig mit meiner Hand Ihren Unterarm berühren. Können Sie das spüren?“
– … bitten zu benennen, was Sie im Untersuchungszimmer alles sehen kann, um sie vollständig zurück in die Gegenwart zu bringen.
– … fragen, was ihr jetzt guttun würde und was es braucht, damit sie in der Gegenwart bleiben kann.
– …fragen, ob sie mit der Untersuchung fortfahren kann oder ob sie lieber zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal in die Praxis kommen möchte (sofern die Umstände der Untersuchung es zulassen, s. o.).
– Empfehlung, nach dem Besuch in der Praxis noch eine Weile an der frischen Luft spazieren zu gehen, um wieder ganz „im Hier und Jetzt anzukommen“.

Weitervermittlung in eine spezialisierte Beratung oder Therapie

Mittlerweile gibt es ein breites Beratungs- und Therapieangebot für traumatisierte Menschen.

Beratung:
– Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“
– telefonische und Online-Beratung für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder aktuell noch erleben: www.hilfetelefon.de oder 08000 116 016.
– Traumaambulanzen: Beratung zu traumatherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten. Traumaambulanzen gibt es in verschiedenen Städten, zumeist angliedert an eine psychosomatische oder psychiatrische Klinik.
– Lokale Beratungsstellen, z. B. Frauennotrufe, Wildwasser oder Traumahilfezentren.

Verzeichnisse von qualifizierten Traumatherapeuten:
– Website der Deutschen Gesellschaft für Psychotraumatologie: www.degpt.de.
– Website des Fachverbands für Anwender der psychotherapeutischen Methode Eye Movement Desensitization and Reprocessing: www.emdria.de.

Bestehen traumabedingte sexuelle Probleme und wünscht die Patientin eine Behandlung hierfür, so empfiehlt sich je nach Fragestellung und Verfügbarkeit eine der folgenden Therapiemöglichkeiten:
– traumaorientierte Psychotherapie unter Berücksichtigung der sexuellen Probleme,
– traumaorientierte sexualmedizinische oder sexualtherapeutische Behandlung,
– traumaorientierte Beckenboden-Physiotherapie.

Auch Traumaambulanzen und Sexualberatungsstellen (z. B. ProFamilia) können unter Umständen den Weg in eine geeigneteWeiterbehandlung vermitteln.

Zusammenfassung

Gynäkologinnen und Gynäkologen können einenwichtigen Beitrag in der Erkennung von sexuellen Problemen nach sexueller Gewalt leisten und Betroffenen Wege in eine traumaorientierte Behandlung aufzeigen. Ein traumasensibles Vorgehen erleichtert traumatisierten Patientinnen die Bewältigung der gynäkologischen Anamnese und Untersuchung.

Schlüsselwörter: Sexuelle Gewalt, Sex nach Gewalterfahrung, Traumafolgestörungen, sexuelle PTBS, traumasensible Behandlung, traumaorientierte Behandlung

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Melanie Büttner
Sprechstunde für sexuelle Störungen
Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
Langerstraße 3
81675 München
kontakt@melanie-buettner.de

Slide Sexuelle Störungen nach sexueller Gewalt Gyne 04/2019

Literatur:

1. European Union Agency for Fundamental Rights. Violence against Women: an EUwide survey. In: Publications Office of the European Union Luxembourg 2014
2. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland (BMFSFJ). Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Interdisziplinäres Zentrum für Frauen und Geschlechterforschung der Universität Bielefeld. 2004
3. Stadler L, Bieneck S, Pfeiffer C. Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN). 2012
4. Rickert VI, Wiemann CM. Date rape among adolescents and young adults. J Pediatr Adolesc Gynecol 1998; 4:167–75
5. Testa M, VanZile-Tamsen C, Livingston JA. Prospective prediction of women“s sexual victimization by intimate and nonintimate male perpetrators. J Consult Clin Psychol 2007; 1: 52–60
6. Schröttle M, Müller U. Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. BMFSFJ 2004
7. Seehuus M, Clifton J, Rellini AH. The role of family environment and multiple forms of childhood abuse in the shaping of sexual function and satisfaction in women. Arch Sex Behav 2015; 6: 1595–608
8. ClassenCC, Palesh OG, Aggarwal R. Sexual revictimization: a review of the empirical literature. Trauma Violence Abuse 2005; 2: 103–29
9. Lemieux SR, Byers ES. The sexual wellbeing of women who have experienced child sexual abuse. Psychol Women Q 2008; 2: 126–44
10. Büttner M. Hyposexuelle Störung oder „sexuelle PTBS“? In: Sexualität und Trauma. Hrsg.: Büttner, M. Schattauer Stuttgart 2018; 60–67
11. Gray JA. The Psychology of Fear and Stress. 2nd ed. New York, NY: Cambridge University Press 1988
12. Paschinger K, Büttner M. Traumaassoziierte Körperbeschwerden und Sexualität. In: Sexualität und Trauma. Hrsg.: Büttner, M. Schattauer Stuttgart, 2018; 68–88
13 Ramakers MJ, van LunsenRHW. Psychosoziale Einflüsse. In: Carrière B (Hrsg). Beckenboden: Physiotherapie und Training. Stuttgart: Thieme 2003; 102–12
14. Postma R, Bicanic I, Vaart H, Laan E. Pelvic floor muscle problems mediate sexual problems in young adult rape victims. Journal Sex Med 2013; 10: 1978–87
15. Lampe, A., Söllner,W. Pelvipathie bei Frauen. Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung. U. Egle, P. Joraschky, A. Lampe, I. Seiffge-Krenke and M. Cierpka. Stuttgart, Schattauer 2015; 426–440

Vollständige Literatur unter: medizin.mgo-fachverlage.de/gynaekologie/gyne.html

Gyne 03/2019 – Kreativtherapien fördern Heilungsprozesse bei gynäkologischen Patientinnen

Gyne 03/2019

Kreativtherapien fördern Heilungsprozesse bei gynäkologischen Patientinnen

Autoren:

  Adak Pirmorady              Jalid Sehouli

        

Einleitung

Unter Kreativtherapien werden alle expressiven Therapieformen zusammengefasst, bei denen das Erleben von Emotionen und Gedanken im Mittelpunkt steht. Sie sind demnach im Gegensatz zu den Gesprächstherapien erlebnisorientiert und ermöglichen in einem geschützten Rahmen die Verinnerlichung von neuen Beziehungserfahrungen, die wiederum stabilisierend und selbstwirksamkeitsfördernd wirken können.

Zu den häufigsten eingesetzten Kreativtherapien gehören: Die Mal- oder Kunsttherapie, die Musiktherapie und die Körperwahrnehmungstherapie. Es gibt jedoch eine Vielzahl weiterer Therapieformen, welche man unter Kreativtherapien zusammenfassen kann, wie Tanztherapie, Theatertherapie, Schreib-/Poesietherapie, Bibliotherapie, Trommel-Therapie, therapeutisches Singen, Eurythmietherapie, therapeutische Sprachgestaltung − um nur einige davon aufzuzählen. Zu betonen ist aber, dass die Übergänge der einzelnen Therapieformen fließend sein können und es inhaltliche Überschneidungen geben kann. So kann beispielsweise beim kreativen Schreiben auch der Einsatz von Farben oder gar kurzen Malübungen eingebaut werden, ohne dass dieser Prozess in Konkurrenz zum Schreiben stehen müsste.

Kreativtherapien in der Praxis

Prinzipiell ist ein direkter bzw. indirekter Umgang mit Kreativtherapien für den Frauenarzt möglich. Zum einem kann er Aspekte von Kreativtherapien für die Arzt-Patientin-Kommunikation nutzen, um beispielsweise einen Zugang zu den Ängsten der Patientin zu bekommen, die von der Patientin selbst abgewehrt werden müssen und nicht in den direkten Kontakt mit dem Arzt gebracht werden. Der Frauenarzt kann aber auch an Spezialtherapeuten und damit an Dritte delegieren. Ein in regelmäßigen Abständen durchgeführter interdisziplinärer Austausch ist hierbei sehr ratsam – vorausgesetzt, die Patientin stimmt dem zu.

Anwendung finden Kreativtherapien vor allem in Rehabilitationseinrichtungen, aber auch in psychosomatischen Kliniken, psychiatrischen Kliniken und in der Arbeit mit Kindern oder geriatrischen Patienten. Vereinzelt gibt es auch somatische Stationen, die Kreativtherapieangebote in ihrer Einrichtung anbieten. In einem Pilotprojekt der Frauenheilkunde der Charité beispielsweise wird das kreative Schreiben für Patientinnen, die an einer Eierstockkrebserkrankung leiden, seit 2017 angeboten. Für seinen Erfolg spricht der große Zuwachs an Teilnehmerinnen − zwischen 12 und 15 Frauen nehmen inzwischen an den Sitzungen, die zwei Mal im Monat stattfinden, wahr. Im Gruppengefüge entsteht ein unglaublicher Zusammenhalt in einer stabilisierenden, vertrauten Atmosphäre, der einen großen Zugewinn für die teilnehmenden Frauen bedeutet.

Anamnese ist das A & O

Es gibt eine Vielzahl an Angeboten, wenn es um den Erwerb der Fähigkeit zum Kreativtherapeuten geht. Hierbei ist die persönliche Affinität desjenigen, der sich mit einem der kreativen Bereiche auseinandersetzt, von großer Bedeutung. Beim Einsatz von Kreativtherapien ist der wichtigste Aspekt sicherlich, für jeden Patienten individuell das richtige Verfahren zu finden. Hierbei geht es besonders um die fundierte und detaillierte Anamneseerhebung. Dabei sollte der Behandler feinfühlig erspüren, bei welchem Thema die Patientin sich in ihrem Denken frei bewegen und artikulieren kann. Die Patientin kann so plötzlich zu einer im Erstkontakt zuvor nicht dagewesenen Sicherheit und Vertrautheit finden. Sie berichtet von ihrem Erlebnis und ihrer Erfahrung in einem bestimmten Feld und wirkt dabei frei.

Indem die Patientin durch einen intrinsischen Drang einer Aktivität nachgeht, von der sie so überzeugt ist, dass es keine Zweifel, keine Einschränkungen gibt, kann sie einen meditativen Rhythmus mit sich selbst finden. Solche Zustände haben Kinder und Heranwachsende, die sich frei von Bewertung, von Zeitempfindung oder ökonomischen Druck mit einer Sache beschäftigen, die sie begeistert.

Dieses Gefühl sollte vom Therapeuten erfragt und erspürt werden, um dann im Heilungsprozess genutzt zu werden. Hilfreich kann dies auch im Sinne der Resilienz sein, die versucht, stabilisierende Erfahrungen für die traumatische Auseinandersetzung im Rahmen von Krankheiten zu nutzen. Dies können, je nach sozialem Hintergrund und individuellen Erfahrungen, alle Arten des kreativen Wirkens und Erleben sein, sei es Musik, Tanz, Malen oder Schreiben.

Authentischer Dialog zur Art-Patientinnen-Bindung

Hierzu sollte der Therapeut oder der Behandler mit den Patientinnen versuchen, die Wege einzuleiten, dieses Verfahren oder Teile davon zu etablieren. Es ist sicher hilfreich, die Patientin mehrfach zu sehen, um wiederholt nach den kreativen Quellen und der Umsetzung zu fragen oder auch die Patientin in das gewohnte selbstwertfördernde Gefühl aus der bekannten kreativen Aktivität zurückzuführen. Auch wenn es erst einmal fast nur über die Imagination geht, da der Behandler in den seltensten Fällen selber die Kreativtherapien bei seinen Patientinnen anwenden wird. Aber er könnte es anbieten und sollte auch damit experimentieren. Dabei ist es durchaus möglich, seine kreativen Vorlieben einzubauen. So kann ein authentischer Dialog entstehen, der angstfrei zu einer intensiveren Arzt/Patient-Beziehung, zu einem besseren Gefühl für Patientin und Behandler, zu einer stärkeren Compliance und damit einem erhöhten Therapie-Outcome führen kann. Mitunter kann eine kreativtherapeutische Ausbildung z. B. zum kreativen Schreib-, Kunst-, oder Musiktherapeuten auch für den Behandler selbst einen wichtigen protektiven Schritt bedeuten.

Interessant ist jedoch die Unterstützung des Heilungsprozesses durch die Kreativtherapien. Das abgebildete Schema (Abb. 1) zeigt einen besonderen Aspekt der Kreativtherapien: Zu der Beziehung zwischen Patient und Therapeut kommt in der Kreativtherapie etwas Neues − „ein Drittes“ − hinzu. Es entsteht also eine trianguläre Beziehung. Das Dritte kann ein Text, ein Bild, ein Instrument, die Stimme oder auch der Prozess an sich sein. Dieser Moment kann für beide Seiten einen befreienden, entlastenden Charakter haben und somit zu einer Art unaufdringlichem Raum werden, in dem Therapeut und Behandler in festgesetzten Grenzen an Übertragungen und Projektionen arbeiten können. Ängste, aber auch andere aversive Affekte wie Scham oder Aggressionen dürfen in diesem Raum gelebt und erlebt werden. So kann es letztlich zur Verinnerlichung neuer Erlebnisse und Beziehungserfahrungen kommen, welche mitunter für einen Perspektivwechsel sorgen können.

Das Schema zeigt des Weiteren, welche Elemente des Selbst in der Kreativtherapie jeweils gefördert oder ausgebaut werden können. Die aufgeführten Anteile münden letztlich in einem stabilen Selbstwert der Patientinnen. Die gynäkologische Behandlung umfasst grundsätzlich sowohl präventive als auch akute Behandlungssituationen und die Nach(Für)- sorge bei Patientinnen mit gynäkologischen Malignomen. Patientinnen mit gynäkologischen Karzinomerkrankungen und nach Behandlung ihrer Erkrankung leiden signifikant häufiger an Schlafstörungen, Fatigue Syndrom, einer problematischen Sexualität, neurologischen Symptomen und Depressionen [1]. Der Anteil der Langzeitüberlebenden nach beispielsweise dem Ovarialkarzinom liegt bei ca. 31 % [2]. Dies zeigt den Behandelnden auf, dass es gerade auch um Aspekte der Lebensqualität gehen muss, um diese Zeit in einer zufriedenen Art genießen zu können. Insbesondere das Fatigue Syndrom, aber auch die Polyneuropathie können über Kreativtherapien − hierzu zählen Bewegung, Tanz und Yoga − positiv beeinflusst werden, auch wenn die wissenschaftliche Datenlage hierzu noch ungenügend ist. In den Leitlinien für onkologische Patientinnen werden die Kreativtherapien daher empfohlen.

Leider sind die Kreativtherapien ausschließlich in komplexen Fallpauschalen enthalten. Eine ambulante Kostenerstattung durch die Krankenkasse ist noch nicht möglich, wäre jedoch eine denkbare Ergänzung zu herkömmlichen Therapieangeboten. Kreativtherapien sollten häufiger zur Anwendung kommen, wobei Standards und Qualitätsindikatoren definiert werden müssen, um eine tragbare Diskussion zu Indikation und Nutzen führen zu können. Dies steht nicht im Widerspruch des Wunsches nach einer individuellen Begleitung von Frauen mit gynäkologischen Tumoren.

Fazit

Kreativtherapien stellen eine wichtige Möglichkeit der Förderung  des Heilungsprozesses dar. Sie sind nonverbale Erlebnis- und Handlungsorientierte Therapieverfahren, welche genutzt werden sollten, um Prozesse wie die freie Assoziation, Projektionen oder Übertragungen aufzudecken, um mit diesen prozesshaft zu arbeiten. Mehr von der eigenen Struktur, der Persönlichkeit, dem Ureigenen zu verstehen, kann zu einer enormen Kraftentwicklung führen. Diese Kräfte sollten genutzt und eingesetzt werden.

Schlüsselwörter: Tanztherapie, Theatertherapie, Schreibtherapie, Bibliotherapie, Trommel-Therapie, therapeutisches Singen, Eurythmietherapie

 

Korrespondenzadressen:

Dr. med. Adak Pirmorady
Vorsitzende der Künstlergilde für Medizin und Kultur
Praxis für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie − Dr. med. Torsten Müller
Kleiststrasse 34
10787 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 95 61 39 29
adak.pirmorady@aol.de

Prof. Dr. med. Jalid Sehouli
Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Charité – Universitätsmedizin Berlin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 450 564 002
jalid.sehouli@charite.de

Slide Kreativtherapien fördern Heilungsprozesse bei gynäkologischen Patientinnen Gyne 03/2019

Literatur:

  1. Westin SN, Sun CC, Tung CS, et Survivors of gynecologic malignancies: impact of treatment on health and well-being. J Cancer Surviv. 2015; 10(2): 261−70
  2. Cress R, Chen YS, Morris CR, Characteristics of Long-Term Survivors of Epithelial Ovarian Obstetrics & Gynecology 2015: 126 (3): 491–497

 

Gyne 02/2019 – PMS und PMDS – Behandlungsmöglichkeiten in der Frauenarztpraxis, wenn die psychischen Symptome im Vordergrund stehen

Gyne 02/2019

PMS und PMDS – Behandlungsmöglichkeiten in der Frauenarztpraxis, wenn die psychischen Symptome im Vordergrund stehen

Autorin: Anke Rohde

 

Einleitung

Zyklusabhängige Beschwerden körperlicher Art bzw. Beschwerdekomplexe, die als Prämenstruelles Syndrom (PMS) zusammengefasst werden können, sind häufige Beratungsanlässe in der Frauenarztpraxis; auch entsprechende Behandlungsstrategien gehören zur alltäglichen Praxis. Schwierig kann es werden, wenn die psychische Symptomatik mit ausgeprägten affektiven Symptomen (z. B. Gereiztheit, Wut, Anspannung, Stimmungslabilität, Depressivität) im Vordergrund steht.

In Abgrenzung vom „klassischen“ PMS kann man die Prämenstruelle Dysphorische Störung (PMDS) als die schwerste Form eines PMS bezeichnen, bei der zudem die ausgeprägten psychischen Beschwerden im Vordergrund stehen und den Leidensdruck verursachen.

Behandlung der PMDS auch in der Frauenarztpraxis – kein Hexenwerk!

Aktuell muss davon ausgegangen werden, dass zwischen 3−8 % aller Frauen im gebärfähigen Alter unter der Prämenstruellen Dysphorischen Störung (PMDS), der schwersten Form eines PMS, leiden [1]. Rechnet man sehr konservativ 3 % PMDS bezogen auf die 15,3 Millionen Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren in Deutschland [2], dann sind dies über 450.000 Betroffene, die pro Zyklus mehrere symptomatische Tage erleben. Es ist einfach nachzurechnen, dass sich das wiederum im Laufe der Reproduktivität zu mehreren Jahren aufaddiert. Grund genug also, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen.

Frauen, die sich im Internet über PMS bzw. zyklusabhängige psychische Probleme informieren, stoßen bald auf den Begriff „Prämenstruelle Dysphorische Störung“ (PMDS) und auf Angaben zur Behandlung dieses Symptomenkomplexes mit Antidepressiva vom SSRI-Typ. Weil der Einsatz von Antidepressiva nicht zur frauenärztlichen Grundkompetenz gehört, mag es zu Unsicherheiten führen, wenn eine Patientin sich mit diesem Anliegen vorstellt, und vielleicht auch dazu, dass Frauen nicht behandelt werden.

Im vorliegenden Artikel* soll deshalb der Schwerpunkt auf der Diagnosestellung der PMDS und der Behandlungsmöglichkeiten der psychischen Symptome, insbesondere mittels medikamentöser (antidepressiver) Strategien stehen, was aus Sicht der Autorin durchaus im Rahmen der frauenärztlichen Möglichkeiten liegt und befürwortet wird. Dafür sprechen mehrere Gründe:

  • Frauen mit reiner PMDS (ohne sonstige psychiatrische Erkrankung) gehören auch nicht zur typischen Klientel von Psychiatern
  • Nach der bisher gültigen ICD-10- Klassifikation, in der es keine Diagnosekategorie PMDS gibt (in der ICD-11 wird sich das voraussichtlich ändern) lässt sich die PMDS nicht eindeutig klassifizieren, und vor diesem Hintergrund kann die Gabe von Antidepressiva in solchen Fällen auch für Psychiater eine Off-label-Behandlung sein (was aber ja nicht gegen deren Einsatz spricht)
  • Aufgrund der mehr oder weniger regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen besteht in der Frauenarztpraxis eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Frauen dieses „zyklusabhängige“ Thema irgend- wann ansprechen und Hilfe erwarten.

Zyklusabhängige Verschlechterungen von somatischen / psychischen Erkrankungen

Bei manchen Frauen finden sich zyklusabhängige Verschlechterungen bzw. Exazerbationen somatischer oder psychischer Störungen; zu nennen sind hier beispielsweise Asthma, Migräne oder Epilepsie bei den somatischen Erkrankungen, Depressionen, Angststörungen, aber auch Psychosen bei den psychischen Störungen. Berichtet die Patientin über zyklusabhängige Schwankungen einer solchen Erkrankung, empfiehlt sich zunächst die Führung eines Zyklustagebuches (€ Abb. 1,31), um den Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus zu verifizieren.

Ergeben sich Hinweise auf zyklusabhängige Symptomschwankungen, sollte gemeinsam mit dem Behandler der psychischen Grunderkrankung überlegt werden, ob beispielsweise eine zyklusmodifizierte Therapie (z. B. Erhöhung der Dosis des jeweiligen Medikamentes für den betreffenden Zeitraum) oder die Zugabe  einer  „Pille“,  evtl.  auch  im Langzyklus, hier Abhilfe schaffen kann. Umstellungen in der Medikation sollten immer von der Führung eines Zyklustagebuches (€ Abb. 1,31) begleitet werden, um den Effekt zu dokumentieren.

Das „klassische“ Prämenstruelle Syndrom (PMS)

Psychische und körperliche Veränderungen werden von vielen Frauen in der zweiten Zyklushälfte, besonders in der Woche vor der Menstruation, wahrgenommen. Nur etwa ein Viertel der Frauen im gebärfähigen Alter bemerkt überhaupt keine Änderungen der Befindlichkeit, das heißt im Umkehrschluss, dass etwa 75 % aller Frauen prämenstruelle Symptome zumindest wahrnehmen, häufig auch darunter leiden [3]. Die körperlichen Veränderungen sind dabei nicht immer von der Dysmenorrhoe abzugrenzen, insbesondere, wenn es sich um Beschwerden im Bereich des Unterleibes handelt (Bauchschmerzen, Gefühl des Aufgeblähtseins, etc.). Nicht nur durch körperliche Symptome, sondern auch durch psychische prämenstruelle Symptome fühlen sich Frauen beeinträchtigt. Diese können in ihrer Ausprägung sehr vielfältig sein; Verstimmungszustände, Konzentrationsstörungen und vermehrte Ungeduld bzw. Gereiztheit sind häufig.

Ein erster wichtiger Schritt ist die Selbstbeobachtung der Patientin mittels Zykluskalender (€ Abb. 1), weil ihr damit Zusammenhänge mit der Menstruation, aber auch mit besonderen Belastungen, Stress etc. deutlich werden und sie selbst Möglichkeiten der Verhaltensänderung und Entlastung erkennen kann. Die kurze Instruktion dazu kann Teil der psychosomatischen Beratung sein. Bei leichteren Beschwerden sind pflanzliche Präparate (z. B. Nachtkerzenöl, Mönchspfeffer), Vitamine (z. B. Vitamin B6) oder Empfehlungen zur Änderung des Lebens- und Ernährungsstiles durchaus empfehlenswert.

Vom PMS zur PMDS (Prämenstruelle Dysphorische Störung)

Aus psychiatrischer Sicht besteht das Problem  mit  der  Diagnose  „Prämenstruelles Syndrom“ darin, dass in der Vergangenheit darunter viele verschiedene Symptome subsumiert wurden und fast jede Studie zu therapeutischen Strategien ihre eigenen Kriterien verwendete. Insofern finden sich je nach Definition PMS- Häufigkeiten zwischen 25 und 50 % [3]. Ein wichtiger Wendepunkt war im Jahr 1987 die Etablierung von Forschungskriterien in der DSM (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen), dem Diagnosesystem der American Psychiatric Association (APA) − zunächst noch verortet in einer Kategorie für „Diagnosen, die weiterer Forschung bedürfen“. Es folgte eine intensive gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskussion darüber, ob es sich tatsächlich um eine behandlungsbedürftige Störung, also um eine Krankheit handelt, oder ob damit normale Abläufe des weiblichen  Körpers  „medikalisiert“  werden. Ein wichtiger Meilenstein war im Jahr 2000 die Zulassung des Antidepressivums Fluoxetin durch die FDA (Federal Drug Administration) in den USA zur Behandlung der PMDS. Die sich schrittweise durchsetzende allgemeine Anerkennung als behandlungsbedürftige Störung führte dann 2013 schließlich zur Aufnahme der PMDS als eigenständiges Krankheitsbild mit klar definierten Kriterien in die 5. Revision der DSM (DSM-5) [4].

Aus Sicht der Autorin war die Etablierung der PMDS als eigenständiges Störungsbild richtig und notwendig, da nur damit die Aussicht besteht, dass betroffene Frauen in ihrem erheblichen Leidensdruck richtig wahr- genommen und behandelt werden.

Die typische PMDS: Dr. Jeykill und Mrs. Hide

Typisch für die PMDS ist das Auftreten verschiedener psychischer Symptome in der zweiten Zyklushälfte, oft auch nur in der Woche oder wenige Tage vor Beginn der Menstruation, die mit Eintreten der Blutung oder kurz danach wieder abklingen. Typisch sind Reizbarkeit, Anspannung und Affektlabilität mit der Tendenz zu unkontrollierten Wutausbrüchen, was häufig zu interpersonellen Konflikten führt. Am ehesten treten diese im familiären Umfeld auf, aber auch im beruflichen Umfeld oder bei anderen sozialen Kontakten (z. B. beim Umgang mit Behörden) können daraus Probleme resultieren. Im Einzelfall kommt es sogar zu fremdaggressiven  Handlungen  („Türenknallen“, tätliche Auseinandersetzungen mit dem Partner). Frauen leiden besonders darunter, wenn ihre problematischen Verhaltensweisen die Kinder betreffen, wenn sie diese ungerecht behandeln, sie anschreien oder wenn ihnen sogar „die Hand ausrutscht“. Auch prämenstruelle Depressivität mit Suizidalität kommt vor, bis hin zu Suizidversuchen.

Betroffene Frauen beschreiben sich selbst immer wieder „wie Dr. Jeykill und Mrs. Hide“. Sie berichten darüber, dass sie in dieser Zeit das Gefühl haben, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und dass sie Verhaltensweisen zeigen, die sie normalerweise inakzeptabel finden.

Diagnosekriterien der PMDS

Die Kernsymptome der PMDS sind dem affektiven Bereich zuzuordnen; das sind im einzelnen Affektlabilität, Reizbarkeit/Wut, depressive Verstimmung und Anspannung. Außer den körperlichen Manifestationen (zusammengefasst in einem Kriterium) betreffen auch die übrigen Symptome psychische Erlebnisweisen und Ausprägungen.

Nach DSM-5 liegt eine PMDS vor, wenn sich eine deutliche Beeinflussung der beruflichen Leistungsfähig- keit oder Konflikte durch die Symptome, mit Störung sozialer und familiärer Beziehungen, feststellen las- sen (€Tab. 1).

Für die Abrechnung gemäß ICD-10 sollten  die  Ziffern  F38.8  („Sonstige nicht näher bezeichnete affektive Störungen“) in Kombination mit N94.3 („Prämenstruelle Beschwerden“) angegeben werden, solange eine eigene Diagnose „PMDS“ nicht existiert.

ICD-10 und PMDS Diagnosesicherung durch Zyklusdokumentation

Die zur Diagnosebestätigung ausdrücklich geforderte prospektive Erfassung der Symptome über zwei symptomatische Zyklen hat sich für uns auch in der Praxis bewährt, da differentialdiagnostisch infrage kommende andere Störungen (wie etwa Stimmungsinstabilität, chronische Depressionen über den gesamten Zyklus, z. B. im Rahmen einer „Borderline-Störung“, etc.)  damit gut abgrenzbar sind. Die betroffene Frau profitiert ihrerseits von der Dokumentation, da sie mithilfe des Zyklustagebuches feststellen kann, ob ihre Probleme tatsächlich einen zeitlichen Bezug zur Menstruation haben oder ob doch andere Faktoren für ihre Beschwerden verantwortlich sind. Auch für die Verlaufsdokumentation unter Behandlung ist die Führung des Zyklustagebuches unbedingt zu empfehlen.

Inzwischen gibt es verschiedene Apps, die Frauen die Dokumentation ihres Zyklus und aller damit verbundenen Symptome auf Mobilgeräten erleichtern. Für die Dokumentation einer PMDS empfehlen wir die speziell auf die o.g. Kriterien abgestimmte Download-Version einer vor langer Zeit in der Gynäkologischen Psychosomatik in Bonn entwickelten Version eines Zykluskalenders (zum Ausdruck als Papier- und Stift-Variante auf [6]; dort findet sich auch ein Informationsblatt für Betroffene zum Herunterladen.

Therapie mit Hormonen / Kontrazeptiva im Langzyklus

Zunehmend häufiger kommen beim ausgeprägten prämenstruellen Syndrom Kontrazeptiva im Langzyklus zum Einsatz, was durch die weitgehende Ausschaltung der hormonellen Schwankungen die Symptomatik verbessert [7, 8]. Bei ausgeprägter PMDS-Symptomatik kann auch eine Kombination von Kontrazeptivum und SSRI sinnvoll sein. Erfolgt eine Neueinstellung auf ein Kontrazeptivum, würde sich aus psychiatrischer Sicht ein Präparat mit hohem Östrogen-Anteil empfehlen, da Östrogene per se positive Effekte auf die Stimmungslage haben können.

Therapie mit Antidepressiva vom SSRI-Typ – kontinuierlich oder intermittierend?

Seit Einführung der Diagnosekriterien für eine PMDS wurden eine Reihe doppelblinder, placebokontrollierter Therapiestudien zur Behandlung dieser Störung durchgeführt, die alle zum Ergebnis hatten, dass Antidepressiva aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), (Fluoxetin, Citalopram, Sertralin, Paroxetin) wirksam sind [9, 10]. Darüber hinaus konnte auch für andere serotonerg wirkende Antidepressiva wie Venlafaxin (SNRI) oder Clomipramin (Trizyklikum) ein Wirksamkeitsnachweis vorgelegt werden.

Prinzipiell kann man zwei Formen der Verabreichung der SSRI unterscheiden: die kontinuierliche (über den gesamten Zyklus) und die intermittierende Gabe (nur in der zweiten Zyklushälfte). Für beide Darreichungsformen konnte in kontrollierten Studien die Wirksamkeit nachgewiesen werden, unabhängig von der Substanz; allerdings mit etwas besserer Wirksamkeit bei der kontinuierlichen Gabe.

Für den Beginn der Behandlung empfiehlt sich oft die durchgehende Gabe, da die Patientin damit zunächst einmal den Fokus ihrer Aufmerksamkeit vom Zyklusgeschehen weglenken kann. Wenn eine Beruhigung eingetreten ist, kann der Versuch der intermittierenden Gabe gemacht werden. Diese kann auch sinnvoll sein, wenn eine Verminderung der Libido eintritt, eine der typischen Nebenwirkungen eines SSRI.

In der eigenen Praxis hat sich eine Kombination beider Strategien bewährt, nämlich durchgehend eine niedrige Dosis zu geben und − falls trotzdem Symptome auftreten − in der zweiten Zyklushälfte die Dosis zu erhöhen bis zur Maximaldosis des Präparates. Die Patientin kann damit individuell auf ihre jeweilige Situation reagieren, was auch ihr subjektives Gefühl von Kontrolle wieder stärkt.

Wenn eine Medikation erfolgreich ist, kann nach einem 3/4 bis 1 Jahr ein Absetzversuch gemacht werden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens der prämenstruellen Symptomatik hoch ist, kann eine Therapiepause vorgenommen werden, wenn sich durch den guten Therapieerfolg und vor allem die andere Bewertung der Problematik die familiäre Situation stabilisiert hat. Alle Beteiligten können die Zusammenhänge erkennen und einordnen, so dass sie besser mit den Symptomen umgehen können.

Wünscht die Betroffene keine Therapiepause, spricht aus ärztlicher Sicht nichts gegen eine längerfristige  (d. h. auch jahrelange) Einnahme eines Antidepressivums.

Dosierungsvorschläge für SSRI / Off-Label-Behandlung

Da die Gabe von Antidepressiva in der frauenärztlichen Praxis wahrscheinlich nicht zur Routine gehört, werden in der Tabelle (unterhalb dieses Beitrags) einige Dosierungsvorschläge gemacht, die auf der praktischen Erfahrung der Autorin beruhen. Selbstverständlich ist in jedem Einzelfall die Frage eventueller Kontraindikationen oder Kontrolluntersuchungen zu berücksichtigen (wie etwa EKG-Kontrolle bei Frauen mit Hinweisen auf Herzerkrankungen, um eine QT-Verlängerung auszuschließen, Labor-Kontrollen, z. B. Leberwerte).

Aus Sicht der Verfasserin ist es sinnvoll, zunächst mit ein oder zwei Substanzen Erfahrungen zu machen (wie etwa Fluoxetin, falls etwas dagegen spricht, Sertralin) und mit niedrigen Dosierungen zu beginnen. Erfahrungsgemäß sind dabei die Nebenwirkungen sehr gering. Langsam können so eigene Erfahrungen mit der Verordnung dieser Substanzen gemacht werden.

Wenn die Patientin trotz der niedrigen Dosierungen sehr empfindlich reagiert, gibt es außerdem die Möglichkeiten, das Medikament in flüssiger Form Tropfen für Tropfen einzudosieren (verfügbar für Citalopram, Escitalopram, Paroxetin und Sertra- lin als Zoloft®).

Noch ein Hinweis zur „Off-Label-Behandlung“. Die meisten der hier erwähnten Medikamente sind für eine Reihe von Indikationen zugelassen: Depressionen, Angststörungen, einige auch für Zwangsstörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen – alles Störungsbilder, bei denen die einzelnen beim PMDS auftreten- den Symptome vorkommen. Allerdings gibt es − wie bereits oben erwähnt − in Deutschland kein speziell für die PMDS zugelassenes Psychopharmakon; möglicherweise wird sich das auch lange nicht ändern. Nach dem Gemeinsamen Bundesausschuss ist der Off-Label-Use, der „zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels“, grundsätzlich erlaubt [12]. Als Kassenleistung ist nach dem Gemeinsamen Bundesausschuss eine Off-label-Behandlung dann möglich, wenn „damit eine schwerwiegende … die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung behandelt wird, für die keine andere Therapie verfügbar ist und bei der aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann„; zitiert wird ein Bundessozialgerichts-Urteil [13].

Es sollte gut dokumentiert sein, dass andere Therapiestrategien nicht hilfreich waren und dass die Patientin über die Off-Label-Behandlung informiert ist (sie muss aber u. E. nicht unterschreiben, dass sie das auf eigene Verantwortung einnimmt).

Wenn Sie sich trotz allem nicht dazu entschließen können, eine Patientin mit einem Antidepressivum zu behandeln, bleibt noch die Möglichkeit, sie mit den entsprechenden Empfehlungen zu ihrem Hausarzt zu schicken, der sehr viel häufiger solche Präparate einsetzt – viele Patienten mit Depressionen werden ausschließlich vom Hausarzt behandelt. Die Behandlung können Sie trotzdem begleiten, den Effekt beobachten und vielleicht dann beim nächsten Mal selbst die Verordnung vornehmen.

Sind Psychotherapie und Entspannungsverfahren sinnvoll?

Für die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) konnten durch randomisierte kontrollierte Studien gute Effekte für die milderen Varianten des PMS nachgewiesen werden [14]; besonders die Kombination von KVT und SSRI erwies sich als wirkungsvoll [15].

Bei der KVT werden vor allem Gedanken, Denkmuster und Überzeugungen im Zusammenhang mit Gefühlen und daraus resultierendem Verhalten überprüft und verändert. Der Umgang mit Konflikten in der Familie kann zusätzlich in der Psychotherapie systematisch eingeübt werden. Gerade bei solchen Maßnahmen ist die Einbeziehung des Partners hilfreich, da sich oft durch die bereits jahrelange Symptomatik die Konflikte chronifiziert und verhärtet haben und beide Partner von einer Neubewertung profitieren.

Das Erlernen von Entspannungstechniken (Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training, Yoga) kann Frauen im Umgang mit einem ausgeprägten PMS bzw. PMDS unterstützen – auch wenn die Kernsymptomatik Reizbarkeit, Affektlabilität etc. damit meist kaum beeinflusst wird.

Letzten Endes ist schon die Zyklusbeobachtung und -dokumentation mittels Zyklustagebuch als Verhaltensbeobachtung und damit erster Schritt der Verhaltenstherapie zu werten, denn dadurch lernen betroffene Frauen, den Einfluss von Stress und sonstigen Faktoren zu erkennen.

Antworten auf typische Fragen von Patientinnen

Auch oder gerade wenn Patientinnen sich selbst vorher informiert haben, treten immer wieder Fragen auf, die am ehesten mit dem Verlauf bzw. der Prognose und der Medikation zu tun haben. In  Tabelle 3 (S. 35) sind zahlreiche typische Fragen zusammengestellt und beantwortet, die Frauen nach unserer praktischen Erfahrung stellen.

Fazit für die Praxis

  • Bei der Prämenstruellen Dysphorischen Störung (PMDS) als schwerster Form des PMS stehen psychische Symptome wie Reizbarkeit, Wut, Anspannung, Stimmungslabilität, Depressivität und die daraus resultierenden interpersonellen Konflikte im Vordergrund. Frauen mit PMDS haben oftmals einen erheblichen Leidensdruck, insbesondere durch die Auswirkungen im familiären Bereich.
  • Auch wenn der Einsatz dieser Medikamente nicht zu den Kernkompetenzen in der Frauenarztpraxis gehört, spricht aus Sicht der Verfasserin nichts dagegen, wenn Gynäkologinnen und Gynäkologen bei einer durch Zyklusdokumentation gesicherten PMDS Antidepressiva vom SSRI- Typ einsetzen. Diese sind i. d. R. gut verträglich, vor allem wenn mit niedrigen Dosierungen be- gonnen wird. Den Frauen kann damit eine Behandlungsoption an die Hand gegeben werden, die ihnen das Gefühl der Kontrolle auch in den prämenstruellen Tagen zurückgibt.
  • Nach den eigenen Erfahrungen der Autorin gehört die Behandlung einer PMDS zu den einfach durchzuführenden und in der überwiegenden Zahl der Fälle rasch erfolgreichen Therapien, die auch die eine oder andere Ehe bzw. Beziehung retten kann.

Zusammenfassung

Zyklusabhängige Beschwerden körperlicher Art bzw. Beschwerdekomplexe, die als Prämenstruelles Syndrom (PMS) zusammengefasst werden können, sind häufige Beratungsanlässe in der Frauenarztpraxis; auch entsprechende Behandlungsstrategien gehören zur alltäglichen Praxis. Schwierig kann es werden, wenn die psychische Symptomatik mit ausgeprägten affektiven Symptomen
(z. B. Gereiztheit, Wut, Anspannung, Stimmungslabilität, Depressivität) im Vordergrund steht. In Abgrenzung vom „klassischen“ PMS kann man die Prämenstruelle Dysphorische Störung (PMDS) als die schwerste Form eines PMS bezeichnen, bei der zudem die ausgeprägten psychischen Beschwerden im Vordergrund stehen und den Leidensdruck bestimmen.

Zahlreiche kontrollierte Studien konnten die Effektivität der Behandlung mit Antidepressiva vom SSRI-Typ zeigen, sowohl für die kontinuierliche Gabe über den gesamten Zyklus als auch intermittierend (nur in der zweiten Zyklushälfte). Die Gabe von SSRI ist sinnvoll,wenn andere Therapiestrategien (wie etwa ein Kontrazeptivum im Langzyklus) nicht effektiv oder kontraindiziert sind.
Im vorliegenden Artikel werden neben den diagnostischen Kriterien der PMDS ausführliche Hinweise zur Behandlung mit Antidepressiva vom SSRI-Typ sowie Antworten auf häufige bzw. typische Fragen von Patientinnen gegeben.

Schlüsselwörter: PMS, PMDS, Antidepressiva, SSRI, Zyklustagebuch

* Enthält Auszüge aus dem Buch „Psychosomatik in der Gynäkologie. Kompaktes Wissen – Konkretes Handeln“ vonARohde,AHocke,ADorn (2017). Mit freundlicher Genehmigung des
Schattauer-Verlages.

Literatur unter: https://medizin.mgo-fachverlage.de/gynaekologie/gyne.html

Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Anke Rohde
FÄ f. Psychiatrie u. Psychotherapie
Gynäkologische Psychosomatik
Universitätsfrauenklinik Bonn
53105 Bonn
anke.rohde@ukbonn.de

Dosierungsvorschläge für SSRI bei der PMDS nach [11], modifiziert.

Slide PMS und PMDS – Behandlungsmöglichkeiten in der Frauenarztpraxis, wenn die psychischen Symptome im Vordergrund stehen (Artikel als PDF zum Download) Gyne 02/2019

Gyne 01/2019 – Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch – (wie) geht das in meiner Praxis?

Gyne 01/2019

Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch – (wie) geht das in meiner Praxis? 

Autorinnen: Jana Maeffert, Christiane Tennhardt

Einleitung

Ungeplante Schwangerschaften gehören zur Lebensrealität von Frauen, Paaren und damit auch ihrer Gynäkologen und Gynäkologinnen. Etwa die Hälfte aller jemals schwangeren Frauen werden mindestens einmal in ihrem Leben unbeabsichtigt schwanger, etwa ein Drittel davon ungewollt [1].

In Deutschland entscheiden sich im Jahr etwa 100.000 Frauen pro Jahr zu einem Schwangerschaftsabbruch (SAB) [2]. Damit gehört der SAB in der BRD zu den häufigen gynäkologischen              Fragestellung. Auf 1.000 Frauen im fertilen Alter kommen etwa 5–6 SAB, auf 8 Geburten ein SAB [2] Damit liegt Deutschland im unteren europäischen Bereich. In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der Einrichtungen und Praxen, die einen SAB durchführen, von etwa 2.000 auf etwa 1.200 zurückgegangen, das entspricht einem Rückgang um 40 %.

Ein SAB gehört zu den „kritischen Lebensereignissen“ und es wurde in großen Studien untersucht, wann er sich negativ auf die seelische Gesundheit der Frau auswirkt [3, 4, 5, 6]. Risiken für langfristige Probleme sind: äußerer Druck, der eine freie Entscheidung der Frau verhindert, moralische Verurteilung durch die Umgebung, Zwang zu Verheimlichung, fehlende Unterstützung durch nahestehende Menschen und eine schlechte Behandlung durch Beraterinnen und medizinisches Personal.

Für die Verarbeitung eines SAB ist neben der Art der Betreuung auch die Wahlfreiheit der Methode wichtig [7]. Unsere Erfahrung zeigt, dass es für Frauen entlastend ist, wenn der SAB von der Gynäkolog*in durchgeführt wird, zu der sie schon jahrelang Vertrauen hat. Das ist u. a. möglich durch den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch (mSAB), den jede gynäkologische Praxis anbieten kann. Allerdings scheitert ein breiteres Angebot bislang oft an fehlendem Wissen bzw. dem befürchteten Aufwand.

  • Frauen mit reiner PMDS (ohne sonstige psychiatrische Erkrankung) gehören auch nicht zur typischen Klientel von Psychiatern
  • Nach der bisher gültigen ICD-10- Klassifikation, in der es keine Diagnosekategorie PMDS gibt (in der ICD-11 wird sich das voraussichtlich ändern) lässt sich die PMDS nicht eindeutig klassifizieren, und vor diesem Hintergrund kann die Gabe von Antidepressiva in solchen Fällen auch für Psychiater eine Off-label-Behandlung sein (was aber ja nicht gegen deren Einsatz spricht)
  • Aufgrund der mehr oder weniger regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen besteht in der Frauenarztpraxis eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Frauen dieses „zyklusabhängige“ Thema irgend- wann ansprechen und Hilfe erwarten.

Die aktuelle Situation in Deutschland

Im Jahr 1999 wurde in der Bundesrepublik der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch (mSAB) mit Mifepriston und Misoprostol neben der operativen Methode (opSAB) zugelassen. Seitdem steigt der Anteil der mSAB nur sehr langsam. Im Bundesdurchschnitt liegt er aktuell bei ca. 20 %, mit sehr großen regionalen Unterschieden (Berlin ca. 30 %, Bremen ca. 3 %). Zum Vergleich: Im Nachbarland Schweiz (Zulassung ebenfalls 1999) liegt er bei ca. 65 %, in Schweden bei ca. 80 %.

Der mSAB ist eine international anerkannte, sichere und wirksame Methode, die in Deutschland bis zum Ende der 9. SSW zugelassen ist. Seit 2015 ist auch der sogenannte „Home-use“, bei dem die Blutungsinduktion zu Hause erfolgt, von der DGGG als sicher und empfehlenswert eingestuft worden [8]. Dass diese Methode von den meisten Frauen bevorzugt wird, ist durch mehrere internationale Studien belegt [9].

Die Erfahrungen von Blutung und Schmerz beim mSAB entsprechen in etwa denen bei einem spontanen Frühabort. Die Beschwerden werden von den meisten Frauen zu Hause gut toleriert, insbesondere wenn sie eine prophylaktische Gabe von Analgetika und Antiemetika erhalten.

Die Zahl der Praxen in Deutschland, die den SAB in ihrem Leistungsspektrum haben, geht zurück. Die Gründe dafür lassen sich nur vermuten und sicher spielt es neben der eigenen moralischen Einstellung, der gesellschaftlichen Bewertung und Akzeptanz des SAB eine erhebliche Rolle, wie viel Aufwand es bedeutet, diese Methode in der eigenen Praxis anzubieten.

Außerdem steht der SAB im Strafgesetzbuch und ist nur straffrei, wenn gewisse Vorgaben eingehalten werden. Dies lässt eine gefühlte Bedrohungssituation entstehen, insbesondere, da in den letzten Jahren die Anzeigen gegen Ärzt*innen wegen Verstößen gegen den § 219a („Werbungsparagraphen“) durch Einzelpersonen zugenommen haben.

Besonders im ländlichen Bereich bedeutet dieser Rückgang, dass betroffene Frauen lange Wege zurücklegen müssen und dass insbesondere in Bezug auf die Ärztin oder den Arzt in und Methode keine Wahlmöglichkeit besteht. Für etwa 80 % der Frauen ist es aber sehr wichtig, die Methode wählen zu können und 50–70 % würden sich für den medikamentösen SAB entscheiden – wenn sie die Wahl hätten [7].

Psychische Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs

Die psychisch schwierigste Phase des SAB ist die Zeit vor der Durchführung. Eine ungeplante Schwangerschaft stellt für jede Frau eine Ausnahmesituation dar. Es stürmen Gedanken, Gefühle und Fragen auf sie ein und brauchen Klärung. Die erste Informationsquelle ist für die meist jungen Frauen das Internet. Gerade hier findet sich aber eine Fülle von Fehlinformationen, die die Frauen eher belasten und verunsichern können.

Aufgrund der befürchteten moralischen Bewertung wird der Konflikt weniger mit Freundinnen, Familie und dem Partner geteilt als bei anderen Problemen. Daher bekommt der oder die behandelnde Gynäkolog*in eine wichtige Rolle als Vertrauensperson, der die Schwangerschaft bestätigt und das Wissen besitzt, wie ein Abbruch abläuft.

Nach unserer Erfahrung ist es sehr entlastend für Frauen, wenn der SAB von der bzw. dem vertrauten Gynäkolog*in durchgeführt wird, der eventuell schon vorherige gewünschte Schwangerschaften betreut oder sie in anderen Situationen begleitet hat. Ein „Wegschicken“ zu einer anderen Ärztin oder einem anderen Arzt bedeutet neben dem Zeitverlust häufig eine Stigmatisierung und einen möglichen Vertrauensbruch. Es signalisiert entweder eine moralische Missbilligung oder aber eine fehlende fachliche Kompetenz und impliziert damit eine gewisse Gefährlichkeit oder Kompliziertheit. Auch wenn die Frauenärzt*in einen Schwangerschaftsabbruch moralisch ablehnt, muss sie die Patientin neutral und professionell beraten und empathisch begleiten. Wir erleben immer wieder, dass Frauen nicht möchten, dass ihre vertraute Frauenärztin oder ihr vertraute Arzt vom SAB erfährt oder dass sie nach dem Eingriff die Praxis wechseln, weil sie sich in ihrer Notsituation nicht angenommen gefühlt haben.

Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass die stärkste psychische Belastung durch die moralische Bewertung von Dritten ausgelöst wird [10]. Dazu gehören neben Verwandten und Freunden auch die
Versuche der Anti-Choice-Bewegung, Einfluss auf betroffene Frauen zu nehmen. Es ist äußerst belastend, wenn sie z. B. Gehsteigbelästigungen vor den Konfliktberatungsstellen mit Bildern von Föten
oder Kreuzen ausgesetzt werden. Die gesetzlichen Vorgaben beinhalten Fristen und das Aufsuchen von unterschiedlichen Stellen. Dadurch müssen mehrere Termine vereinbart werden, dies kann durch lange Wege und eingeschränkte Öffnungszeiten einen enormen Zeitverlust bedeuten. Ein SAB ist aber kein elektiver Eingriff, der warten kann.

Es erhöht die Belastung zusätzlich, wenn neben der Beratungsstelle auch noch eine weitere gynäkologische Praxis gesucht werden muss, die den SAB durchführt. Dort trifft die betroffene Frau wieder auf eine neue Person, der ihre Geschichte erzählt werden muss.

Der Zeitverlust kann bedeuten, dass die medikamentöse Methode nicht mehr gewählt werden kann. Viele Praxen haben nur einen Tag, an dem sie operative Eingriffe vornehmen und einige Ärzt*innen operieren nur bis zu einem bestimmten Schwangerschaftsalter. Schlimmstenfalls kommt es dadurch zum Versäumen der Frist von 13+6 SSW (p.m.). Viele Frauen haben bis zum SAB große Angst, dass dies passieren könnte und stehen dadurch zusätzlich unter Stress.

Eine große amerikanische Studie hat gezeigt, dass Frauen, denen ein SAB aufgrund des fortgeschrittenen Schwangerschaftsalters verweigert wurde und die dadurch die Schwangerschaft austragen mussten, ein hohes Risiko hatten, psychische Probleme zu bekommen. Dagegen zeigten die Frauen, bei denen der SAB durchgeführt wurde, kein erhöhtes Risiko und 95 % hielten auch nach 5 Jahren ihre Entscheidung für richtig [11].

Die Vorstellung, ein „Schwermachen“ des SAB und eine verpflichtende Bedenkzeit könnte eine Frau dazu bewegen, die Schwangerschaft auszutragen, offenbart die Annahme, Frauen seien zu einer
verantwortungsvollen Entscheidung nicht allein fähig.

Moralische oder rechtliche Sanktionen verhindern keinen Schwangerschaftsabbruch, sie beeinflussen aber in hohem Maße die Bedingungen, unter denen Frauen, Männer und Ärzt*innen mit dieser Situation umgehen können.

Leitfaden: „Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in der gynäkologischen Praxis“

Es gibt viele Fragen, Hürden und Mythen, die dazu führenas,sdGynäkolog*innen, die den mSAB in ihrer Praxis anbieten möchten, vor der Aufnahme in ihr Leistungsangebot zurückschrecken. Schon allein die Abrechnung über die Kostenübernahme, die Bestellung von Mifegyne® oder die Unklarheit über den Paragraphen § 219a können dafür verantwortlich sein, dass sie ihre Patientinnen lieber zu Kolleg*innen schicken, anstatt ihnen in der Situation der ungewollten Schwangerschaft ärztlich beiseite zu stehen.

Dies hat uns als Gruppe Berliner Gynäkologinnen dazu gebracht, einen Leitfaden zum mSAB zu schreiben. Das Handbuch soll den niedergelassenen Ärzt*innen die Aufnahme des mSAB in das Leistungsangebot erleichtern. Sehr praxisnah und ausführlich werden medizinische, rechtliche und organisatorische Aspekte erläutert. Außerdem werden Komplikationen, besondere Situationen, Kontraindikationen und der genaue Ablauf behandelt. Im Anhang finden sich hilfreiche Dokumente wie Aufklärungen, Checklisten und weiterführende Links. Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Informationen aus dem Leitfaden.

Welche Bedingungen gibt es für die Praxis?

Einige gesetzliche  Grundlagen
Die gesetzlichen Grundlagen sind im Strafgesetzbuch unter den Paragraphen §§ 218/219 geregelt und unterscheiden sich für den mSAB nicht zum opSAB [12]. Lediglich die Zulassung gilt für den mSAB in Deutschland nur bis zum Ende der 9. SSW. In anderen europäischen Ländern ist Mifepriston auch für ein späteres Schwangerschaftsalter zugelassen.

Etwa 96 % aller Fälle finden nach der Beratungsregelung statt, daher soll in diesem Artikel nicht auf die Besonderheiten der kriminologischen und medizinischen Indikation eingegangen werden.

Vor der Durchführung eines mSAB sind für die behandelnde Ärzt*in drei Bedingungen einzuhalten:

  1. Vorliegen eines Beratungsscheins einer staatlich anerkannten Konfliktberatungsstelle
  2. Einhalten der 3-tägigen Bedenkzeit zwischen Beratung und SAB
  3. Das Beratungsgespräch und der SAB dürfen nicht in der gleichen Einrichtung/Praxis stattfinden

In vielen Bundesländern gibt es keine Bedingungen für die Durchführung des mSAB und es reicht die Facharztprüfung für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Bestimmungen für die einzelnen Bundesländer und der Bestellungsweg können bei der Firma NORDIC, die Mifegyne® vertreibt, erfragt werden. Dort muss sich die Praxis registrieren lassen.

Die Methode des mSAB
Zunächst wird das Antigestagen Mifepriston (Mifegyne®) eingenommen. Die Einnahme erfolgt unter ärztlicher Aufsicht.
In der Zulassung von Mifegyne® ist die Gabe von 600 mg (im Handel sind 3 Tabletten à 200 mg oder 1 Tablette à 600 mg) vorgeschrieben. Weltweit – auch von der WHO empfohlen – hat sich die 200 mgDosis (1 Tablette à 200 mg) durchgesetzt. Internationale Studien haben keine Unterlegenheit in der niedrigeren Dosierung gefunden [13]. Auch die DGGG hat die Option von 600 mg bzw. 200 mg den durchführenden Ärzten überlassen [8].

24–48 Stunden nach Einnahme erfolgt die Blutungsinduktion mit einem Prostaglandin. Auch hier gibt es unterschiedliche Behandlungsschemata. International hat sich die vaginale oder buccale Anwendung von Misoprostol (Cytotec®, MisoOne®) in einer Dosierung von 400–800 mg je nach Schwangerschaftsalter bewährt. Eine präventive Gabe von Antiemetika und Analgetika wird empfohlen.

1–2 Wochen nach der Blutungsinduktion sollte eine Ultraschalluntersuchung zur Bestätigung der erfolgreichen Beendigung der Schwangerschaft erfolgen.

Für die Durchführung des mSAB ist es nicht erforderlich, dass eine Fruchthöhle mit Dottersack gesehen wird. Auch nach der Bestätigung einer Schwangerschaft allein durch HCG im Urin kann der mSAB durchgeführt werden. Da Mifepriston eine Extrauteringravidität nicht beendet, bedarf es einer genauen Aufklärung der Frau mit besonderer Wichtigkeit der Kontrolluntersuchung. In diesen Fällen muss zum Zeitpunkt der Mifegyne®-Einnahme der Serum HCG-Spiegel bestimmt und nach etwa 5 Tagen kontrolliert werden. Der Abfall des Serum-HCG schließt die EUG aus und bestätigt die erfolgreiche Durchführung des mSAB. Analog zum opSAB und Frühaborten wird nach deutschen Richtlinien eine Rhesusprophylaxe durchgeführt.

In internationalen Leitlinien wird eine prophylaktische Gabe von Antibiotika empfohlen. Für Deutschland gibt es keine Daten über die Häufigkeit von infektiösen Komplikationen. Nach der „screen-andtreat“-Methode sollte durch die vaginale pH-Messung und ein Nativpräparat eine bakterielle Vaginose ausgeschlossen bzw. behandelt werden. Außerdem sollte ein Chlamydientest angeboten werden, der – wie bei allen schwangeren Frauen – von den Krankenkassen übernommen wird.

Kontrazeption nach  dem mSAB
Es sollte möglichst keine Frau ohne Beratung über eine weitere Verhütung aus der Praxis gehen.

Eine gewünschte hormonelle Verhütung, auch der Vaginalring, kann am Tag der Misoprostol-Gabe, bzw. innerhalb von 48 Stunden beginnen. Die Einlage eines IUD kann bei komplikationslosem Verlauf bei der Nachuntersuchung oder bei der ersten Menstruation nach dem mSAB erfolgen.

Abrechnung
Ein SAB nach der Beratungsregelung ist keine Leistung der Krankenkassen. Es werden aber Kosten wie Feststellung des Schwangerschaftsalters, Bestimmung der Blutgruppe, Chlamydientest, Maßnahmen zur Behandlung von Komplikationen u.a. übernommen. Sie können wie üblich als Leistungsziffern gegenüber der KV abgerechnet werden. Der Großteil der Kosten wird als Selbstzahlerleistung oder über eine Kostenübernahme abgerechnet. Frauen, die in Deutschland gemeldet sind und über ein geringes Einkommen verfügen, können eine Kostenübernahme vor der Durchführung des SAB bei der jeweiligen Krankenkasse beantragen.

§ 219a
Seit November 2017 ist der § 219a als „Werbungsparagraph“ durch die Verurteilung einer Giesener Ärztin verstärkt in Medien und Öffentlichkeit diskutiert worden. Eine Streichung bzw. Neuregelung wird derzeit im Bundestag verhandelt. Der bei Redaktionsschluss vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, dass zumindest darüber informiert werden darf, dass in der Praxis SAB durchgeführt werden. Bis dato verbietet § 219a eine direkte Information z. B. auf der Homepage, dass in der Praxis SAB durchgeführt werden. Dieses Verbot gicihlttnfür die Information von Kolleg*innen (Zuweiser*innen),  Beratungsstellen oder für die Veröffentlichung in Fachinformationen. In einigen Bundesländern (z.B. Berlin, Hamburg) gibt es Listen der anbietenden Praxen, die vom Senat öffentlich im Internet zugänglich gemacht werden.

Bedingungen für die Ausstattung in der Praxis
Wenn der mSAB nur im „Homeuse“ angeboten wird, gibt es keine besonderen Bedingungen. Es muss dabei aber gewährleistet sein, dass am Tag der Blutungsinduktion zu Hause eine erwachsene Person zugegen ist. Bei Sprachbarrieren, sehr ängstlichen Patientinnen oder eingeschränkter Compliance empfiehlt sich die Blutungsinduktion in der Praxis. In diesem Fall ist es ideal, einen kleinen, abgetrennten Raum mit einer Liege und einer Sitzgelegenheit anzubieten. Die meisten Frauen bevorzugen aber für das Abbluten die vertraute Umgebung zuhause. Der mSAB, insbesondere im „Home-use“ liegt stärker in der Hand der Frau als der opSAB. Für viele Frauen bedeutet dies, dass sie dadurch die Kontrolle über das behalten, was passiert und erleben dies als positiv. Andere Frauen bevorzugen gerade die Abgabe der Kontrolle und Verantwortung an medizinisches Personal beim opSAB. In jedem Fall werden Blutung und meistens auch Schmerzen beim mSAB stärker erlebt als bei der operativen Methode. Darüber muss die Patientin sachlich aufgeklärt werden, damit sie selbst entscheiden kann, welche Methode für sie die richtige ist.

Wie auch beim ambulanten Operieren üblich sollte es die Möglichkeit der telefonischen Erreichbarkeit während und außerhalb der Praxisöffnungszeiten geben. Viele Praxen nutzen dafür ein eigenes Notfalltelefon, dass von einer erfahrenen MFA oder der Ärzt*in selbst bedient wird. In der Regel sind bei guter Aufklärung Anrufe eher selten.

Muss die Möglichkeit zur OP bestehen?
Um den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in der Praxis durchzuführen, muss in der Regel keine Zulassung zum ambulanten Operieren bestehen. Einige Bundesländer bestehen darauf, u.a. Bayern. Die Kooperation mit einer Klinik, die Patientinnen mit Komplikationen empfohlen werden kann, ist von Vorteil. Die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs ist selten.

Berufshaftpflicht
Die Berufshaftpflichtversicherung muss informiert werden, wenn der mSAB in das Leistungsangebot aufgenommen wird.

Da Cytotec® im „off-label-use“ verwendet wird und auch die Dosierung von 200 mg Mifepriston als „off-label-use“ gilt sollte dies angegeben werden. Beide Medikamente sind im „off-label-use“ in Fachkreisen in dieser Dosierung und Gebrauch anerkannt. Uns sind keine Erhöhungen der Versicherungsbeiträge durch das Aufnehmen des mSAB bekannt.

Mit MisoOne® gibt es seit 2018 auch ein zugelassenes Misoprostol-Präparat, so dass der mSAB mit 600 mg Mifegyne® und MisoOne® auch zulassungskonform durchgeführt werden kann. Allerdings gilt die Zulassung für MisoOne® nur bis zum 49. Tag p.m. und nur für die orale Anwendung.

Die App “Medabb”

Zusätzlich zum Leitfaden wurde die App „Medabb“ entwickelt. Sie soll Frauen helfen, die Methode im „Home-use“ richtig anzuwenden, Sicherheit während des Prozesses vermitteln und adäquates Verhalten während der Durchführung unterstützen. Sie kann kostenlos heruntergeladen werden und hat drei Funktionen.

  1. Es werden zu definierten Zeitpunkten erklärende und beruhigende Nachrichten geschickt. Diese Nachrichten sind mit einer freundlichen Figur illustriert und sollen immer wieder vermitteln „alles läuft ganz normal“.
  2. Die App hält eine umfangreiche FAQ Liste parat.
  3. Über einen Notfallbutton wird eine Verbindung zu der Telefonnummer aufgebaut, die beim Download als Notfallnummer eingegeben wurde.

Eine Evaluation, die im Frühjahr 2018 in 5 verschiedenen Praxen durchgeführt wurde ergab, dass alle Frauen die App als hilfreich empfunden und gut benotet haben. Unsere Erfahrung zeigt, dass insbesondere jüngere Frauen und Frauen mit Sprachbarrieren von der App profitieren. Sie kann Sicherheit vermitteln, ohne dass die Hürde eines Anrufs überwunden werden muss.

Die App kann im GooglePlayStore (Android) und im AppStore (iOS) kostenlos heruntergeladen werden. Es kann zwischen 6 Sprachen gewählt werden (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Polnisch).

Schlussbemerkung

Kaum eine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch. Mehr als die Hälfte der Betroffenen sind bereits Mütter und wissen, was die Verantwortung für ein Kind bedeutet. Die Entscheidung zum Fortführen oder Abbrechen einer ungeplanten Schwangerschaft wird nach einem verantwortungsvollen Abwägen der potenziellen Konsequenzen getroffen. Die Einschätzung derer kann nur die betroffene Frau vornehmen. Wir sollten diese Patientinnen genauso empathisch, respektvoll und fachlich kompetent begleiten wie die, die ihre Schwangerschaft austragen.

Literatur:

  1. BZgA “frauen leben“ 3. Online unter www.forschung.sexualaufklaerung.de
  2. Statistisches Bundesamt.Schwangerschaftsabbrüche. Online unter www.destatis.de
  3. TFMHA. American Psychological Association, Report of the Task Force on Mental Health and Abortion. Washington DC: American Psychological Association 2008
  4. AMRC. Academy of Medical Royal Colleges. Induced abortion and mental health:a systematic review of the mental health outcomes of induces abortion, including their prevalence and associated factors. London: Academy of Medical Royal Colleges 2011; 18−19;58−60
  5. Munk-Olsen et al. Induced First-Trimester abortion and Risk of Mental Disorder. N Engl J Med 2011; 364:332−339
  6. Vignetta C.E. et al. Abortion and longterm mental health otucomes : a systematic review of the evidence. Contraception 78(2008)436-450 7) Howie FL, Henshaw RC, Naji SA, Russell IT, Templeton AA. Medical abortion or vacuum aspiration?Two year follow up of a patient preference trial. Br J Obstet Gynaecol. 1997 Jul;104(7):829−33.
  7. 218. Stellungnahme DGGG vom 9.6.2015
  8. Hemmerling A, Siedentopf F, Kentenich H. Emotional impact and acceptability of medical abortion with mifepristone: a German experience. J Psychosom Obstet Gynaecol 2005; 26(1): 23–31.
  9. Foster D.Effect of abortion protesters on women´s emotional response to abortion. Contraception 87 (2013) 81−87
  10. Turnaway study. Foster et al. Www.ansirh. org/research/turnaway
  11. Originaltext §§218/219 dejure.org/gesetze/StGB/218.html
  12. Kulier R,Kapp N,Gülmezoglu AM,Hofmeyr GJ,Cheng L, Campana A. Medical methods for first trimester abortion. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 11. Art. No.: CD002855.

Korrespondenzadressen:

Dr. med. Jana Maeffert
Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
mig-zentrum Berlin
Schloßstraße 28
12163 Berlin
Tel.: +49 (0)30/7908600
janamaeffert@web.de und

Dr. med. Christiane Tennhardt
Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Gemeinschaftspraxis Frauenärztinnen Köpenick
Mahlsdorfer Str.106/107
12555 Berlin
Tel: +49 (0)30/ 6572969
info@praxis-tennhardt.de

(Ansprechpartnerin zu Fragen und zur Bestellung des Leitfadens „Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in der gynäkologischen Praxis“)

Slide Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch - (wie) geht das in meiner Praxis? Gyne 01/2019

Gyne 08/2018 – Die ältere Patientin in der gynäkologischen Sprechstunde – das Potenzial nutzen!

Gyne 08/2018

Die ältere Patientin in der gynäkologischen Sprechstunde – das Potenzial nutzen!

Autorin: Annegret Gutzmann

 

Einleitung

Mit der älter werdenden Gesellschaft wird auch die Klientel in der gynäkologischen Praxis älter. Nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Ansprüche der älteren Frau an die Lebensqualität sind gestiegen. Die sogenannten „jungen Alten“ zwischen dem 65. und 75. Lebensjahr sind heute aktiver, mobiler und ökonomisch unabhängiger als jede vergleichbare Altersgruppe zuvor. Dennoch ist gleichzeitig eine tiefe Verunsicherung wegen widersprüchlicher Rollenerwartungen und Rollenbilder gewachsen. Diese bewegen sich zwischen „forever-young“ und der sowohl empfundenen als auch realen gesellschaftlichen Marginalisierung und Entwertung, je älter die Frau wird.

Bedeutung des „Älterseins“

Zunächst sollte jedoch die Frage geklärt werden, wann eine Frau denn zu den älteren Frauen zählt? Würden ausschließlich ältere Frauen selbst befragt, kämen sehr unterschiedliche Antworten heraus, die das  „Ältersein“  irgendwo  in  einer Zeitspanne zwischen dem 65. und dem 85. Lebensjahr verorten [1]. In der Logik bedeutet dies, dass andere Faktoren als die Lebensjahre die Zuordnung zur älteren Frau bestimmen. Sozioökonomische Bedingungen (Bildung, Beruf, Lebensweise), die genetische Konstitution, der emotionale Umgang mit Problemen, Copingstrategien, chronische Er- krankungen, die Exposition mit Noxen (Tabak, Alkohol, Umwelteinflüsse) sind die Determinanten für die unterschiedliche Alternserfahrung und für das biologische Altern [2]. Die Lebensphase „Alter“ als Übergang, als kritische Phase mit all ihren Implikationen, krisenhaft und chancenreich in der Gestaltung, findet in der wissenschaftlichen Betrachtung lediglich im geriatrischen Kontext ausreichend Beachtung. Auch in der gynäkologischen Psychosomatik ist die ältere Frau – im Gegensatz zu allen anderen vorausgehenden Lebensphasen – selten Gegenstand wissenschaftlicher Forschung – trotz der Tatsache, dass entsprechend der allgemeinen Alterspyramide unserer Gesellschaft der Anteil älterer Frauen bei der gynäkologischen Konsultation kontinuierlich größer wird.

Alltägliche Realität in der Praxis

Wie sieht denn die alltägliche Realität mit älteren Frauen in der Praxis aus? Was führt sie zu einer gynäkologischen Untersuchung? Hat sich ihre Erwartung an den/die Gynäkologen/in im Laufe ihres Lebens verändert? Welche speziellen Kenntnisse und Umgangsformen muss sich der/die Gynäkologe/in in der Behandlung älterer Frauen aneignen? Trotz der hohen Relevanz der Fragen gibt es keine validen Studien zu den oben aufgeworfenen Fragen. Daher bezieht sich die Autorin in der folgenden Ausführung auf zwei eigene Erhebungen, die erstmalig 2008 und dann im Abstand vor acht Jahren erneut 2016 bei über 70-jährigen Patientinnen durchgeführt wurden [3]. Vorweggenommen sei gesagt, dass es trotz der großen Zeitspanne zwischen beiden Erhebungen keine signifikante Abweichung gab.

Die Basisdaten der Erhebungen

Befragt wurden 100 Patientinnen einer mittelgroßen gynäkologischen Praxis (5.700 Patientinnenkontakte im Jahr der Erhebung) in einer Großstadt. 725 von diesen waren älter als 70 Jahre (12,7 %). Über einen Zeitraum von 10 Wochen wurden anonymisierte semistrukturierte Fragebögen zu Gesundheitsverhalten, Motivation für die gynäkologische Konsultation und Erwartungen an den/die Gynäkologen/in ausgegeben. Nach 100 rückläufigen Bögen wurde ausgewertet. 74 % der Frauen waren 15 Jahre und länger Patientinnen der Praxis, von diesen kamen 62 % jährlich zur Untersuchung, 58 % hatten dabei eine Anreise von mehr als drei Kilometern. Die Auswertung erfolgte nach vier Clustern:

  1. Wertschätzung und Kommunikation
  2. Resilienz Salutogenese
  3. Körperlichkeit Sexualität
  4. Wunsch an Praxisausstattung Organisation

Ergebnisse

Cluster 1

Für die meisten Patientinnen spielte es eine große Rolle, die Ärztin schon lange zu kennen (85 %). Die vielen Jahre haben die Möglichkeit geboten, eine belastbare und überprüfte Beziehung aufzubauen. Das Vertrauen (in eine gute Behandlung, in einen respektvollen Umgang, in die Professionalität der Ärztin, in das Wiedererkanntwerden mit der eigenen Geschichte) als Grundlage der Beziehung muss nicht wechselseitig bei jedem Kontakt neu errungen werden, es ist als Erfahrung gewachsen. In diesen gemeinsamen Jahren ist auch die Gynäkologin für die Patientin in ihren Einstellungen und Haltungen transparent geworden.

Die Fragen, ob für die Patientin persönliche Anteilnahme und Wertschätzung seitens der Gynäkologin mit den Jahren wichtiger geworden sind, beantworteten 70 % mit sehr wichtig und wichtig (bei einer 6-stufigen Skalierung von sehr wichtig bis gar nicht wichtig). Die frei formulierten, exemplarisch aufgeführten Antworten der Erhebung zu den wichtigsten Gründen für die regelmäßige gynäkologische Konsultation, zeigen diesen Wunsch und das Bedürfnis nach Wertschätzung deutlich („menschliche  Unterstützung  und offenes, ehrliches Gespräch; symbolisch hilft es mir, ein altes Weib zu werden; Hilfe durch den Medizindschungel; weil sie an mir und meinem Leben persönlich interessiert ist; die moralische Unterstützung, weil das Leben schwieriger wird“). Wertschätzung von außen steigert das Selbstwertgefühl innen. Eine in dieser Form vertraute und vertrauensvolle Beziehung gestattet einen viel direkteren, auch ehrlicheren Blick in die sozialen Ressourcen und Bewältigungspotenziale, die einer Patientin in Krisensituationen zur Verfügung stehen. Ihre Krankheitskonnotationen z. B. zu einer Krebserkrankung werden durch die Kenntnis ihrer Lebensgeschichte (was mehr ist als die Sozialanamnese!) nachvollziehbar – und erleichtern es, ihre Therapie-Präferenzen zu respektieren und zu verstehen.

Cluster 2

Die Auswertung des 2. Clusters zeigte, dass die ältere Patientin eine hohe Bereitschaft zur aktiven Gesundheitsgestaltung hat. Der Wunsch nach Begleitung für die kommenden Lebensjahre und in Krisenzeiten hatte im Vergleich zu jüngeren Jahren eine deutlich höhere Relevanz (49 % zu 24 %) erhalten, der Wunsch nach intensiver medizinischer Begleitung hingegen hatte an Relevanz für die Konsultation verloren (noch 31 % gesamt). Auch die Motivation „Angst vor Krankheit“ ist im Altersvergleich zurückgetreten (41 % gesamt) hinter das Selbstbewusste: „Weil ich es mir wert bin“, also der Selbstfürsorge und Selbstwertschätzung (68 % im Alter zu 45 % in jüngeren Jahren). Erstaunlich war, dass keine Anti-Aging-Methoden nachgefragt wurden, obwohl dieser Begriff medial so popularisiert  wird.  „Gutes Altwerden“ war der Wunsch.

Cluster 3

Bei dem Rücklauf der Fragebögen wurden zum Bereich Sexualität/Erotik die wenigsten Angaben gemacht. Die Unterscheidung in „junge“ und „betagte“ Alte spielt hier sicher eine große Rolle. Für die erste Gruppe hat sich das gesellschaftliche Bild deutlich geändert. Von einem zugewiesenen asexuellen Leben früherer Generationen hin zu einer geradezu selbstverständlichen Erwartung an eine praktizierte Sexualität. Für die betagten alten Frauen hat das negative gesellschaftliche Altersstereotyp keine Sexualität mehr vorgesehen. Valide Daten beschränken sich oft nur bis zu einem Alter von 70 Jahren [4]. Diese zeigen, dass die sexuelle Zufriedenheit und die Zufriedenheit mit der Beziehung sich gegenseitig beeinflussen, ebenso gibt es eine deutliche Korrelation der sexuellen Zufriedenheit mit der Bewertung der eigenen körperlichen Attraktivität. Je größer das Selbstwertgefühl ist, desto größer ist auch die Freude an Sexualität.

Aber: Gut drei Viertel der über 65- jährigen Männer und nur gut ein Drittel der Frauen vergleichbaren Alters leben in einer festen Partnerschaft [5]. So prägt weiterhin das Bild des asexuellen Alters die gesellschaftliche Wahrnehmung der Frau; Männern wird noch am ehesten ein sexuelles Leben zugestanden. Dass auch im weit fortgeschrittenen Alter das sexuelle Interesse und die sexuellen Bedürfnisse völlig erlöschen, betrifft nur die wenigsten Frauen [4, 6]. Zwischen schamhaft unpassend und medial befördertem Leistungsdruck muss sie sich zurechtfinden. Wenn Sexualität nicht zur Sprache kommt, heißt es ja nicht, dass das Bedürfnis danach nicht existiert. In der wissenschaftlichen Literatur wird unter praktizierter Sexualität in der Regel die Kohabitation in heterosexuellen Beziehungen angeführt. Es gilt auch, die normativen Grenzen einer so wirklichkeitsfernen und eng verstandenen Sexualität zu thematisieren [4, 2]. Mit wem sonst , wenn nicht mit der vertrauten Gynäkologin, kann eine alte Frau über ihr Begehren sprechen?

Cluster 4

Der Wunsch nach besonderen Praxiseinrichtungen wurde von den Patientinnen in der Erhebung nicht geäußert, sie wurden sogar eher abgelehnt, da sie mit Gebrechlichkeit konnotiert wurden. Allerdings sind Vorkehrungen wie ausreichend vorhandene Haltegriffe in der Patiententoilette und der Umkleide, eine intime Atmosphäre für die Umkleide mit angenehmer Geräumigkeit und einer ausreichend großen Sitzgelegenheit, ein langer Schuhlöffel, Hygienetücher, Brillenablage usw. selbstverständlich. Betont wurde erneut, dass nicht die Ausstattung von Relevanz ist, sondern der wertschätzende Kontakt mit der Gynäkologin [23].

Psychosomatik

Trotz der dünnen Datenlage wird deutlich, was sich die ältere Patientin in der Praxis wünscht: das Gespräch, die Beziehung. Für eine psychosomatisch ausgerichtete Sprechstunde, die auf der bio-psycho-sozialen Anamnese basiert, sind die eminente Bedeutung des Gesprächs und der Beziehung keine Überraschung. Dennoch ergibt sich für die ältere Patientin eine neue Akzentuierung. Es ist die explizit zum Ausdruck gebrachte gesuchte Wertschätzung durch die Gynäkologin. Für das Kohärenzempfinden eines Menschen, eine der wesentlichsten Voraussetzungen für seelische Gesundheit, ist die Erfahrung von Wertschätzung unabdingbar. Und zwar Wertschätzung ungeachtet von Normzuschreibung, also auch Wertschätzung des gealterten, nach den gängigen Schönheitsnormen nicht mehr „ansehnlichen“  Körpers,  wenn  er  bei der Konsultation „angesehen“ wird.

44,9 % der Frauen leben in einem Einpersonenhaushalt [5]; außer bei der gynäkologischen Untersuchung sehen sie sich selten unbekleidet mit fremden Blicken konfrontiert. Entsprechend gaben bei der Erhebung auch mehr als 75 % der Frauen an, dass es ihnen im Alter schwerer als früher fällt, sich nackt zu zeigen. Die wertschätzende Haltung bei der gynäkologischen Konsultation beinhaltet auch die Einbeziehung all dessen, was zu einer sogenannten Lebensleistung der Patientin beitrug, d.h., die Schwangerschaften oder Interruptiones oder die schmerzlich verarbeitete Kinderlosigkeit, die Pflege von Angehörigen und die vermissten oder gescheiterten Partnerschaften, welche die Gynäkologin in den vielen Jahren begleitet hatte; geglückte oder gescheiterte Lebenspläne. All dies bedarf nicht langer Gespräche, die gynäkologische Praxis ist sicher nicht primär der Ort der Seelsorge, aber die Patientin sollte dort Anerkennung, Wiedererkennung und das gute Aufgehoben-Sein all dieser Ereignisse empfinden können. Ein Ausdruck von Resonanz also. „Resonanz ist der Ausdruck der Beziehung zur Welt, der Verbundenheit mit den anderen und dem Anklang, der Anerkennung, den ein Subjekt (eine Patientin) in dieser Welt erfahren kann“. Das Beziehungs-Motiv vieler älterer Patientinnen, oft von weit her noch immer zur „Vorsorge“ zu kommen, ist genau diese Suche nach Resonanz, an der es für sie in einer an Jugendlichkeit orientierten Welt mangelt [7]. Sie sind reich an Erfahrungen, werden aber kaum mehr wahrgenommen.

Das Bedürfnis, so lange wie möglich eigenständig und unabhängig zu leben und dafür selbst so viel wie möglich beizutragen, war aus der Erhebung deutlich abzulesen. Darauf sollte sich die Gynäkologin fokussieren [8]. Die salutogenetische Blickrichtung ist hierbei mehr gefordert als die kurative, also, wie ist möglich, trotz bestehender Erkrankung ein relativ eigenständiges Leben führen zu können. Es wäre hierbei hilfreich, die Kriterien für ein gutes Altern, von Paul Baltes in seinem SOC-Modell des erfolgreichen Alterns vorgestellt (Selektion, Optimierung, Kompensation) [9], zu kennen. Sie sind eine exzellente Richtschnur, um das beschwerlich gewordene Jetzt zu modifizieren. Zwar bedarf es ausreichender Gesprächszeit, um dieses bewährte und von selbstgestellten Anforderungen entlastenden SOC-Model in die Alltagswirklichkeit der Patientin zu übersetzen, sie ist jedoch geringer als vermutet. Und das Ergebnis ist ausgesprochen befriedigend.

In der Summe sollte unter psychosomatischem Verständnis idealerweise die gynäkologische Konsultation für die ältere Patientin folgende Aspekte beinhalten: Sie sollte supportiv [1] sein durch anteilnehmende Begleitung und Beratung in alterungsbedingten Krisen- und Schwellensituationen. Sie sollte edukativ [1] in der Beratung und Unterstützung für ein gutes Altern sein, um eine mög- lichst lange Unabhängigkeit zu ermöglichen und auch um Selbstwirksamkeit erfahrbar zu machen. Sie sollte integrativ das soziale Umfeld im Konkreten ventilieren, denn dies kann für einen Therapieverlauf, z. B. bei einer Chemotherapie, von großer Bedeutung sein.

Auch vergangene Lebensereignisse sollten in die Entscheidungsprozesse mit aufgenommen werden, da sie die Krankheitskonnotationen mitbestimmen. Sie sollte kurativ gemäß der Präferenz der Patientin sein und nach salutogenetischen Kriterien handeln.

Krankheitsbilder

Was sind die häufigsten Krankheitsbilder, welche eine besondere gynäkologische Fachkompetenz betreffen? Die AG Geriatrische Gynäkologie Campus Virchow Klinikum Berlin hat 2012 retrospektiv erste Hilfe Fälle der Ambulanz ausgewertet [10]. Es waren Beschwerden mit der Harnblasenfunktion (Nykturie, BI, OAB, Dys- urie), Beschwerden im Bereich der Vulva und Vagina, Beschwerden in- folge eines Descensus, vaginale Blutung und „Knoten“. Bemerkenswert jedoch war, dass es bei ca. 50 % der älteren Frauen über 65 Jahre, die sich in der Ambulanz notfallmäßig vorstellten, keine gynäkologischen Ursachen für die Beschwerden gab.

Für die niedergelassene Gynäkologin verlangt daher die Behandlung älterer Patientinnen insbesondere in folgenden Bereichen intensivierte Kenntnisse [11]:

  1. Zu jeder Form der Inkontinenzdiagnostik und Inkontinenztherapie (Harn- und Stuhlinkontinenz) und zwar sowohl die konservativen Behandlungsformen der Pessartherapie (Wann sind Sieb-, Ring-, Würfel-, oder Pelottenpessare indiziert?) als auch die medikamentösen (oral, lokal) und operativen Therapien betreffend [17]. Die Harninkontinenz bedeutet eine schwere Beeinträchtigung des psycho-sozialen Funktionsnieneaus. Bei einer Analinkontinenz ist die Beeinträchtigung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens noch größer. Wegen Scham, Selbstekel und Fatalismus  („da  kann man ja doch nichts tun“) thematisiert die ältere Patientin diese Problematik eher beiläufig oder gar nicht. Es ist die Gynäkologin, die diese Funktionsstörung ansprechen muss, offen direkt, aber mit respektvollem Taktgefühl. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Physiotherapeutinnen ist unabdingbar, denn sie unterstützt und verbessert sowohl das Bedürfnis der älteren Frau nach Selbstwirksamkeit, als auch deutlich jegliches therapeutisches Outcome [16].
  2. Zur Vulvadiagnostik und zur Therapie vulvärer Erkrankungen, insbesondere des Lichen sclerosus, des Morbus Bowen, Morbus Paget, der Dermatitis und chronischen Dermatosen.
  3. Zur Therapie onkologischer Erkrankungen, denn ein therapeutischer Nihilismus ist ebenso unangemessen wie eine für die ältere Patientin eventuell letal gefährdende Regeltherapie. Ob für eine ältere Patientin eine Chemotherapie oder/und eine radikale Operation die angemessene und zumutbare Behandlung darstellt,kann erst wirklich nach einem onkologisch-geriatrischem Assessment beurteilt werden. In der Klinik bleibt dafür oft nicht ausreichend Zeit. Außerdem gibt vor fremden Ärzten in der Anonymität einer Klinik kaum eine Patientin ihre Schwäche preis; ihr gilt, so gut wie möglich, die Fassade der Souveränität aufrecht zu erhalten. Vor Therapiebeginn jedoch muss geklärt werden, ob die organisatorischen und therapeutischen Implikationen einer Therapie verstanden werden können: Der Funktionszustand muss geklärt werden, die kognitiven Fähigkeiten und psychischen Faktoren.
  4. Zu frühen Erscheinungsformen der Mangelernährung mit möglicher nachfolgender Sarkopenie. Kein anderes Fachgebiet bietet so frühzeitig die Möglichkeit, diese unterschätzte Gesundheitsgefährdung zu erkennen, da sich die Patientin bei der Untersuchung völlig entkleiden muss. Obwohl diese Fehl- und Mangelernährung vorwiegend die hochbetagte Patientin be- trifft, zeigt sich die Tendenz dazu schon deutlich früher. Die Folgeerscheinungen wie Muskelabbau, allgemeine Schwäche, Gangunsicherheit und Schwindel schränken die Mobilität der älteren Frau deutlich ein. Sie sind zusammen mit der Einnahme von Psychopharmaka die häufigsten Ursachen für Stürze und in deren Folge Hüft- und Oberschenkelfrakturen [12, 13]. So sollte auch der Osteoporose mit all ihren Frühformen in der Behandlung der älteren Patientin besondere Beachtung gelten.
  5. Zur Interaktion einzelner Medikamente sowie deren altersbezogenen, pharmakologischen Besonderheiten. Die PRISCUS-Liste [8,14,15] gibt dazu eine gute Entscheidungsgrundlage, obwohl sie zuletzt 2011 aktualisiert wurde.

Warum stellt die ältere Frau in der gynäkologischen Praxis eine Herausforderung dar?

Der Faktor Zeit
Eine gynäkologische Praxis, ob als Einzelpraxis oder in Gemeinschaft, ist ein betriebswirtschaftlich zu führendes Klein-Unternehmen. Es lässt sich exakt kalkulieren, wie viele Patientinnen an einem Tag behandelt werden müssen, um die Praxis wirtschaftlich gesund zu führen. Wie dem oben Gesagten zu entnehmen ist, benötigt ein adäquater Umgang mit der älteren Patientin wesentlich mehr Konsultations-Zeit als es in der Regel mit einer jungen Frau erforderlich ist. Zu dieser ökonomischen Erwägung kommt die Frage der Praxisorganisation. Wenn der Einbestellmodus eine 15-minütige Taktung vorsieht, um einen reibungslosen Ablauf zu ermöglichen, müssen die Termine für alte Patientinnen anders vergeben werden, zum Beispiel am Ende der Sprechstunde, auch sollte weitere Assistenz bei der Umkleide oder am Stuhl sollte angeboten werden können.

Die eigene Haltung dem Alter gegenüber
Die Gynäkologin muss ihre eigenen Alterskonnotationen und eventuelle Voreingenommenheiten, aber auch Idealisierungen reflektieren. Sich mit der älteren Patientin zu befassen, bedeutet auch immer, sich mit dem eigenen Altern zu befassen. Wenn die eigenen Assoziationen zum Alter vorwiegend negativ und aversiv sind, kann sie auch keine authentisch positive, wertschätzende Haltung zu der alten Patientin zeigen [1, 6].

Warum ist die ältere Frau eine Bereicherung für die gynäkologische Arbeit?

Die Betreuung älterer Patientinnen in der gynäkologischen Praxis birgt ein enormes gesundheitspolitisches Potential. Entgegengesetzt zu dem gewohnheitsmäßigen Narrativ, dass sie nur Kosten verursachen und eine wirtschaftliche Belastung darstellen, steht ihre hohe Bereitschaft, Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Ihre Präferenz liegt bei der wertschätzenden Begleitung im Altwerden, bei der Schmerzfreiheit im Krankheitsfall und der Unterstützung im Sinne der Salutogenese [18], nicht in der Nutzung aller medizinischer Möglichkeiten. Die gynäkologische Konsultation kann damit ein idealer Rahmen für die Primär- und Sekundärprävention darstellen: medizinisch durch frühzeitige Intervention z. B. bei beginnender Osteoporose, psychisch durch Unterstützung ihres ganz individuellen Weges, sich als alte Frau ein robustes Selbstwertgefühl zu erhalten; ihr die Überlappung von körperlichen und psychischen Komponenten transparent machen [19] und sozial durch Förderung der Mobilität und gesellschaftlichen Teilhabe [18]. Sicherlich ist der Modus der klassischen „Krebsvorsorge“ nicht mehr adäquat und gut, dass er nun abgeschafft wird. Die aufgezeigten vielfältigen Chancen, die in der regelmäßigen gynäkologischen Konsultation liegen, sollten aber in einem anderen Setting und damit auch in entsprechender  Honorierung gewahrt bleiben. Nicht nur für die alte Patientin ist die Erfahrung von Resonanz beglückend und im weitgehenden Sinne heilsam, auch für die Gynäkologin bietet sie eine sehr befriedigende Burn-out-Prophylaxe [20−22]. Mit der Behandlung der alten Frauen in der gynäkologischen Praxis kann sich das gesamte Potenzial einer psychosomatisch ausgerichteten Gynäkologie realisieren.

Schlussfolgerungen aus der Befragung

  1. der Wunsch nach altersunabhängiger Behandlung bleibt bestehen; eine altersadaptierte Behandlung wird von den Wenigsten gewünscht
  2. der Wunsch nach Wertschätzung/persönlicher Anteilnahme nimmt im Alter zu
  3. im Krankheitsfall wird die größte Unterstützung im Bereich der Kommunikation (Zuspruch, Anteilnahme, Ehrlichkeit) gewünscht und nicht nach medizinischer Intervention
  4. der Wunsch nach intensivierter medizinischer Intervention ist häufig gekoppelt an gemutmaßte fehlende Wertschätzung des Alters (Mammografiescreening)
  5. kurative Aspekte nehmen ab
  6. Hilfewunsch zum Erhalt bzw. Wiederherstellung der Autonomie und sozialen Integration nehmen zu
  7. die bio-psycho-soziale Anamnese und ihre Beachtung als Mittel der Resilienzförderung nutzen.

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Annegret Gutzmann
Röntgenstrasse 12
50823 Köln
anne.gutzmann@t-online.deFrauenärztin / Psychotherapeutin / Psychoonkologin, Sexualtherapeutin; 28 Jahre in eigener gynäkologischer Praxis tätig.

Slide Die ältere Patientin in der gynäkologischen Sprechstunde – das Potenzial nutzen! Gyne 08/2018

Literatur

Literatur:

  1. Korzilius Altern ist keine Katastrophe. Demografischer Wandel. Dtsch Ärztebl 2012; Jg. 109 :1860–1861
  2. Fesenfeld Das Alter-Bilder und Realitäten. Clio 2011; Jg. 36: 4 −7
  3. Gutzmann Die ältere Frau in der gynäkologischen Praxis. Erhebung an 100 Frauen über 70 Jahre. 2009, 2017; Erhebung und Ergebnisse bei der Autorin
  4. Schultz-Zehden B. Sexualität im bpb. APuZ 2013
  5. Information und Technik Nordrhein-West- Statistik kompakt 11/2017. Alleinlebende in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse des Mikrozensus. 2017
  6. Sydow K, Seiferth A. Sexualität in Paarbeziehungen. Praxis der Paar- und Familientherapie. Band 8. Hogrefe; 2011: 25−27
  7. Rosa H. Resonanz. Eine Soziologie der Suhrkamp Verlag Berlin; 2016: 19−26
  8. Wiedmann A, Kirschner-Hermanns Ein Umdenken in der Versorgung ist gefragt. Gynäkologie und Geburtshilfe 2016; 21: 21−24
  9. Baltes P, Mayer Die Berliner Altersstudie. Akademie Verlag.1996
  10. AG Geriatrische Gynäkologie Campus-Virchow-Klinikum Berlin. Chen F: Ärztliche Praxis Gynäkologie 6/12
  11. Chih-Kang Chen Die Gynäkologie der älteren Patientin. Ärztliche Praxis Gynäkologie 2012(6): 18−25
  12. Jahn K, Kressig R W, Bridenbaugh S A, Brandt Schwindel und Gangunsicherheit im Alter. Ursachen, Diagnostik und Therapie. Dtsch Ärztebl 2015; Jg 112. Heft 23: 387−393

Vollständige Literatur einsehbar unter: medizin.mgo-fachverlage.de/gyne

Gyne 07/2018 – Psychosomatische Aspekte bei Frühgeburtlichkeit – Perspektiven aus der klinischen Praxis

Gyne 07/2018

Psychosomatische Aspekte bei Frühgeburtlichkeit – Perspektiven aus der klinischen Praxis

Autorin: Judith Rothaug

 

Trotz bester medizinischer Versorgung Schwangerer steigt die Zahl der Frühgeburten in Deutschland [1]. Ca. 75.000 der jährlich 850.000 Neugeborenen in der Schweiz, Österreich und Deutschland kommen zu früh zur Welt [2]. Die Fortschritte in der neonatologischen Versorgung sind auch bei frühen Frühgeborenen (unter 28 SSW) mit einer verbesserten Überlebensrate verbunden. Dennoch versterben von den in der Woche Geborenen noch  94,9 %, während die Mortalitätsrate bei in der 28. Woche geborenen Kindern nur noch bei 7,8 % liegt [3]. In Anbetracht dieser beträchtlichen Differenzen kann auch die psychische Belastung der werdenden oder zu früh gewordenen Mutter nur in Abhängigkeit vom Gestationsalter sinnvoll betrachtet werden. Lehrbücher der Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe weisen darauf hin, dass erhebliche seelische Belastungen der Mütter, seltener auch bei Vätern, mit der Frühgeburt assoziiert sein können [4, 5].

Psychische Risikofaktoren – die “black box“

Neben den potenziellen medizinischen Auslösern einer Frühgeburt (Infektionen, plazentaassoziierte Erkrankungen wie fetale Wachstumsrestriktion oder Präeklampsie, vorzeitige Wehentätigkeit, vorzeitiger Blasensprung etc.) werden auch psychische Risikofaktoren als auslösendes Moment diskutiert [6]. Jede Schwangerschaft stellt nicht nur eine körperliche Herausforderung für die werdende Mutter dar, sondern auch eine z. T. beträchtliche psychosoziale Anpassungsleistung an gravierende Veränderungen im Leben. Für einen komplikationsreichen Schwangerschaftsverlauf inkl. Frühgeburtlichkeit werden häufig psychosoziale Belastungen und Stress mit verantwortlich gemacht. Hinter diesen Schlagworten können sich unterschiedlichste Phänomene verbergen: Partnerschaftskonflikte, psychische Vorerkrankungen der Mutter, finanzielle Nöte, fehlende familiäre Unterstützung, Abhängigkeitserkrankungen der Mutter/Eltern, hohe berufliche Belastung, Leistungsdruck, schwieriges soziales Umfeld und Ähnliches. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Moderierend auf das Ausmaß des ausgelösten Stresses wirkt sich immer die Bewältigungskompetenz der Schwangeren, ihr Coping, aus. Empirisch gesicherte Zusammenhänge zwischen psychosozialen Belastungen und Frühgeburt sind schwer auffindbar und bewegen sich eher an der Signifikanzgrenze gegenüber den klar identifizierbaren medizinischen und verhaltensbedingten  (z. B. Rauchen) Risiken [7].

Ohne konkrete Zahlen benennen zu können, bestätigen sich die in der Literatur diskutierten psychosozialen Belastungsfaktoren im Arbeitsalltag unserer Klinik. Unter den stationären Patientinnen mit drohender Frühgeburt finden sich überproportional häufig Frauen, die sich in einer beruflich stark belasteten Situation befanden, die gerade einen Umzug zu organisieren hatten, die Partner- schaftskonflikte auszutragen hatten, die eine seelische Vorerkrankung aufweisen und Ähnliches. Vor Verallgemeinerungen ist dennoch zu warnen. Einerseits finden sich die „gestressten“ Schwangeren ohne Komplikationen nicht in unserem Patientinnenkollektiv. Zum anderen wird es sich bei drohender Frühgeburt immer um ein multifaktorielles Geschehen handeln, das kaum auf einen alleinigen Auslöser zurückführbar sein wird. Ein zu starkes Abheben auf psychosoziale Ursachen kann bei der betroffenen Schwangeren verstärkt Versagens- und Schuldgefühle auslösen, die zur weiteren Bewältigung der Situation eher dysfunktional sein werden.

Das Damoklesschwert der drohenden Frühgeburt

Fallbeispiel: Frau Hope — Der Wunsch nach Leben siegt über die Angst

Frau Hope (Name von der Autorin geändert) ist eine 37-jährige Patientin, verheiratet, im ländlichen Raum lebend, beruflich und sozial gut integriert, die bereits 2010 und 2012 in ihren Schwangerschaften an einer schweren Präeklampsie erkrankte. Tochter H., entbunden 2010 in der SSW, verstarb nach vier Wochen neonatologischer Intensivbehandlung, Tochter J. verstarb 2012 in der SSW intrauterin. Im Januar 2018 ist sie erneut schwanger, das Risiko einer erneuten Präeklampsie steht im Raum. Ab der 16. SSW wird Frau Hope von der klinikinternen Psychologin mitbetreut. Zunächst sind Ängste um die aktuelle Schwangerschaft im Vordergrund, doch im Verlauf der Gespräche, die mit den ambulanten geburtshilflichen Kontrollterminen kombiniert werden konnten, tauchen zunehmend die unverheilten seelischen Wunden der beiden ersten tragisch geendeten Schwangerschaften auf. Frau Hope berichtet von den schweren Jahren, die den beiden verstorbenen Kindern folgten. Auch nach 2012 habe sie versucht, mit ihrem Leben weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Das ging eine Zeit lang gut, sie habe funktioniert, auch beruflich. Dann habe es einen Tag gegeben, an dem die Kollegin mit ihrem Neugeborenen die Arbeitskollegen besucht habe. Da kam der Erdrutsch. Man könne es einen Nervenzusammenbruch nennen, meinte Frau Hope. Sie habe sich weinend in der Toilette eingesperrt, sei untröstlich gewesen, nichts sei mehr gegangen. Der folgende stationäre Klinikaufenthalt in einer psychiatrischen Klinik habe ihr geholfen, ihr zerbrochenes Selbst Stückchen für Stückchen wieder zusammenzufügen. Dennoch sei ein Gefühl geblieben, als fehle ein Stück der eigenen Seele, als sei es mit den verstorbenen Kindern mitgegangen. Die anschließende tagesklinische Behandlung habe ihr so viel Stabilität vermitteln können, dass das Leben weitergehen konnte. Auch ihre Beziehung zum Partner habe sich nach einer tiefen Krise wieder stabilisiert, sie seien sich als Paar heute näher denn je.

Drohende Frühgeburt in einem Gestionsalter vor der extrauterinen Lebensfähigkeit des Kindes löst bei nahezu allen betroffenen Müttern starke Sorgen und Ängste um das Kind aus. In den meisten Fällen wird diese Situation mit einem stationären Klinikaufenthalt verbunden sein, der bei der Patientin nicht immer auf Gegenliebe stößt. Besonders, wenn bereits Kinder vorhanden und Zuhause zu betreuen sind, stellt die Zeit in der Klinik die werdenden Mütter vor emotionale und logistische Herausforderungen. An dieser Stelle wird häufig auch ein Schlaglicht auf die Qualität der Paarbeziehung geworfen: Ist der Partner in der Lage, emotional Trost zu spenden? Wird ihm zugetraut, die Lage zu Hause alleine unter Kontrolle zu halten, die anderen Kinder adäquat zu versorgen? Fehlende Unterstützung wird in der Literatur als ein psychosozialer Risikofaktor für die seelische Gesundheit der werdenden Mutter gewertet und kann in extremen Fällen Konsequenzen bis zum Einbezug des Jugendamtes haben. Bei zu versorgenden Geschwisterkindern bietet sich häufig die Unterstützung durch den Sozialdienst der Klinik an, um die Situation Zuhause abzusichern und der Schwangeren einen ruhigeren Klinikaufenthalt zu ermöglichen.

Die psychologische Betreuung konzentriert sich abhängig von der Prognose für den weiteren Schwangerschaftsverlauf auf die Reduzierung der Ängste. Außerdem wichtig ist die Bearbeitung von häufig auftretenden Schuldgefühlen und Versagensgefühlen, die in der Regel gut für kognitive Umstrukturierungen zugänglich sind. Im schlimmsten Fall muss die Vorbereitung des Ab- schiednehmens und Trauerbegleitung bei Versterben des Kindes erfolgen. Mit zunehmender Dauer des Klinikaufenthaltes löst sich zumeist die psychische Anspannung, insbesondere, wenn die Schwangerschaft bereits den Bereich der Lebensfähigkeit des Kindes erreicht hat. Bei vorbestehenden mütterlichen Psychopathologien bleibt die weitere psychologische Betreuung ein wichtiger Baustein in der Versorgung der werdenden Mutter. In diesen Fällen sollte zusätzlich eine enge Kooperation mit den betreuenden Psychiatern angestrebt werden. Möglich ist dies mit einer Klinik für Psychiatrie wie unsere, die in Jena mit ihrer Spezialsprechstunde “peripartale psychische Erkrankungen“ ihren stationären Mutter-Kind-Einheiten und der neueröffneten Mutter-Kind-Tagesklinik eine hilfreiche Anlaufstelle für psychisch erkrankte Mütter darstellt.

Frühe Frühgeburt – die Achterbahn des Hoffens und Bangen

Entbindungen vor der 29. SSW gelten als sehr frühe Frühgeburten. Das Risiko schwerer Komplikationen oder des Versterbens des Kindes sinkt mit steigender Reife. Wie gut die psychologische Betreuung der betroffenen Eltern gelingt, hängt unter anderem davon ab, ob bereits vorgeburtlich beim stationären Aufenthalt der Mutter eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung aufgebaut werden konnte. In diesen Fällen kann die Weiterbetreuung für die Eltern in der Neonatologie eine wichtige Ressource werden. Bestand vorab kein Kontakt zur Psychologin (das ist häufig der Fall, wenn bei unaufhaltsamer Frühgeburt das Kind sofort aus dem Kreißsaal auf die Neonatologie verlegt wird), ist es für die meisten Eltern ein zu großer seelischer „Kraftaufwand“, in der stark belasteten Situation noch ein zusätzliches Beziehungsangebot, welches die psychologische Gesprächsmöglichkeit immer darstellt, anzunehmen und sich darauf einzulassen [4]. Die meisten Eltern befinden sich nach der zu frühen Ankunft ihres Kindes im Modus des „Funktionieren-Müssens“, häufig auch noch in einem seelischen Schockzustand: Das Kind zieht alle Ressourcen und Aufmerksamkeit auf sich, das fremde Setting der neonatologischen Intensivstation (ITS) muss verarbeitet werden sowie der Schock des frühen Endes der Schwangerschaft, die körperlichen Belastungen durch die Sektio, teilweise auch geburtshilfliche Komplikationen von der Mutter verarbeitet werden müssen. Eine Fülle von Anpassungsleistungen ist von den Eltern gefordert, völlig herausgerissen aus allem, was vorher erwartet und erhofft wurde, weit weg von der rosaroten Wunschvorstellung v. a. mancher Erstgebärenden [8, 9].

Viele Eltern beschreiben einen Schrecken, wenn nicht sogar Schock, beim ersten Anblick ihres Kindes. „Es sieht aus wie etwas aus dem Aquarium Gefallenes!“ formulierte es eine Patientin. Gefühle von Angst, Überforderung und Hilflosigkeit sind eher die Regel als die Ausnahme. Gerade bei Müttern aus psychosozialen Risikopopulationen kann diese Überforderung ein Fernbleiben vom Kind auslösen. Wochenlang ausbleibende Besuche der Mutter beeinträchtigen das Gedeihen des Kindes. Vorwürfe und Abwertung der Mutter wären jedoch die falsche Strategie, gerade diese Mütter brauchen unsere volle Unterstützung, Wertschätzung und viel Zuspruch, um den Mut und die Kraft zu finden, sich adäquat um ihr Kind kümmern zu können.

Fallbeispiel Fortsetzung

Frau Hope wurde in der 22. SSW stationär in unserer Klinik für Geburtsmedizin aufgenommen. Die Frequenz regelmäßiger Gespräche mit der Psychologin konnte ab diesem Zeitpunkt bedarfsabhängig angepasst werden, phasenweise auf 2-3 Gespräche pro Woche. Im Zuge der psychotherapeutischen Gespräche gelang es, die übermächtige Angst um den ungeborenen Sohn zu reduzieren, durch hypnotherapeutische Techniken konnte die Trauerverarbeitung um die ersten beiden Kinder entscheidend verbessert werden und der “fortgegangene“ Anteil der eigenen Seele reintegriert werden. Sporadisch wird der Ehemann der Patientin in die Gespräche eingebunden, zunächst eher am Rande, später vertieft und auch in Einzelgesprächen. Die Entbindung musste aufgrund steigender Blutdruck- und Laborwerte in der 25.+4 SSW vorgenommen werden. Der beeindruckende Humor der Patientin wird an ihrem Zitat des Anästhesisten deutlich, der vor der Sektio die Bitte der Hebamme, die Patientin doch zuzudecken, weil sie so friere (erkennbar an ihrem Zittern) lakonisch treffend kommentierte: „Die Frau friert nicht. Die Frau hat Angst!“. Die ersten vier Wochen nach der Entbindung waren für beide Eltern extrem belastend. Die „magischen vier Wochen“, die Lebenszeit der ersten Tochter, standen im Raum. Auch der Vater des Kindes litt unter starken Angstattacken beim Betreten der neonatologischen Station, tendierte zu Vermeidungsverhalten („Mach du mal“, häufiger Kommentar zur Ehefrau, wenn es um Kontaktaufnahme mit dem Sohn ging) und Schlafstörungen. Der abendliche Anruf in der Klinik geriet für beide zur Mutprobe. Trotz der starken Ängste gelang es dem Paar, täglich einige Stunden bei ihrem Sohn zu verbringen. Der neonatologische Verlauf des kleinen Jungen war erwartungsgemäß komplex und schwierig (insgesamt drei Darm-OPs waren notwendig, Infektionen waren auszustehen). Entsprechend regelmäßig und engmaschig wurde die psychologische Betreuung des Paares gestaltet. Wieder stand Angstbewältigung im Zentrum, kombiniert mit der Stärkung eines vorsichtigen Optimismus und dem Öffnen einer positiven Zukunftsperspektive, ohne die Ambivalenz der Gefühle zwischen Hoffen und Bangen zu verdrängen. Auftauchende traumatische Erinnerungen an die erste Tochter wurden traumtherapeutisch bearbeitet und konnten gut integriert werden. Die Gespräche fanden abseits der neonatologischen Station, in einem ruhigen, ungestörten Raum statt, eine unabdingbare Voraussetzung für effektive Bearbeitung schwerer psychischer Belastungen.

Frühgeburt ab der 28. Woche – ein Spaziergang?

Auch wenn die Überlebensrate bei einer Entbindung in der 28. Woche bereits bei fast 92 % liegt, stellt diese Situation für die Mütter und Väter dennoch wie bei den frühen Frühchen ein einschneidendes Erlebnis dar. Die enttäuschten Erwartungen an die Geburt, das Wochenbett getrennt vom Kind, die Sorge um die weitere gesunde Entwicklung des Kindes, die Fremdheit der intensivmedizinischen Welt, in der das Kind versorgt wird — all das spielt in der Wahrnehmung der Eltern eine große Rolle. Auch ohne unmittelbare Lebensgefahr für ihr Kind gerät die Zeit nach der Entbindung für Frühcheneltern zu einer harten Belastungsprobe. Für erwachsene Intensivpatienten gibt es mittlerweile eine Fülle von Studien, die sich der extremen psychischen Belastung widmen, die durch das Setting Intensivstation (ITS) ausgelöst werden [10, 11]. Ca. 20 % der überlebenden Patienten leiden nach dem ITS-Aufenthalt am Vollbild einer posttraumatischen Be- lastungsstörung [10]. Auch für Angehörige, z. B. von transplantierten Patienten, konnte diese hohe psychische Belastung gezeigt werden [12]. Für neonatologische Intensivstationen liegen bisher keine vergleichbaren Zahlen vor. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass ähnlich hohe Belastungen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung bei den Eltern durch die Frühgeburt entstehen können. Entsprechend wichtig ist deshalb die Achtsamkeit für die psychische Verfassung der Eltern, deren Kind neonatologisch betreut wird. Schlimmstenfalls wird das Kind nach seiner Versorgung gesund entlassen, die Mutter, der Vater jedoch leiden an einer ausgeprägten, behandlungsbedürftigen seelischen Erkrankung, die im Zuge des Klinikaufenthaltes des Neugeborenen entstand. Über die seelische Verfassung des behandelten kleinen Patienten kann nur spekuliert werden.

Und danach “happily ever after“?

Langfristige Auswirkungen für die Eltern sind wenig untersucht. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Frühgeburt eines Kindes im Sinne eines unspezifischen Stressors das Auftreten einer seelischen Erkrankung begünstigt. Besonders betroffen dürften Eltern sein, deren Kind zwar überlebt hat, jedoch mit deutlichen Beeinträchtigungen leben muss. Interessenverbände Frühgeborener heben unter anderem die hohen materiellen Belastungen hervor, die ja nach Schweregrad bleibender Schädigungen einen hohen Aufwand von der Familie fordern. Je nach Dramatik der Frühgeburtlichkeit können die betroffenen Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein den Status des „Sorgenkindes“ in der Familie behalten, während die Eltern noch langfristig an den psychischen Folgen des Ereignisses leiden.

Fallbeispiel Fortsetzung

„Was?! Jetzt schon?!“ Die erste Reaktion des Paares auf die angekündigten Entlassungsuntersuchungen des Sohnes fiel so aus. Nach zwölf Wochen neonatologischer Behandlung zeichnete sich die Entlassung des Kindes ab. Die Eltern werden mit ihrem Sohn nach Hause gehen. Ganz fassbar scheint dieses Glück für sie noch nicht zu sein. Das Kinderzimmer ist noch nicht gekauft, kaum Vorbereitungen getroffen. „Turbo-Nestbau“ nennt es eine Kollegin, was jetzt ansteht. Die Angst um das Kind hatte diesen natürlichen Instinkt bisher fast im Keim erstickt. In Rekordzeit wird von den Eltern alles erledigt. Das Zuhause wartet auf den kleinen Jungen und seine leidgeprüften Eltern. Bald beginnt der Alltag als Eltern, der für dieses Paar wohl niemals so ganz alltäglich wie bei manch anderen Eltern werden wird.

Die Frühchen selbst haben nach dem zu frühen, schwierigen Start ins Leben häufig einen weiteren steinigen Weg vor sich. In Metaanalysen finden sich erhöhte Risiken für Entwicklungsstörungen, Mobbing in der Schule und psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter [13]. Im Säuglings- und Kleinkindalter muss vermehrt mit Fütter- und Schlafstörungen sowie Beziehungsstörungen gerechnet werden, wobei die Gruppe seelischer Störungen insgesamt im Säuglings- und Kleinkindalter noch beträchtliche Forschungslücken aufweist [14].

Korrespondenzadresse:

Dr. phil. Judith Rothaug, Dipl.-Psych., Psychoonkologin
Perinatalzentrum Universitätsklinikum Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena
Judith.Rothaug@med.uni-jena.de

Slide Psychosomatische Aspekte bei Frühgeburtlichkeit – Perspektiven aus der klinischen Praxis Gyne 07/2018

Literatur

  1. Bergmann RL, Dudenhausen JW. Prädikton und Prävention der Frühgeburt. Der Gynäkologe 2003; 36: 391–402
  2. Jorch G. Frühgeburt. Rat und Hilfe in den ersten Lebensmonaten. Urania, Freiburg im Breisgau 3. Aufl: 2013
  3. Patel RM, Kandefer S, Walsh MC et al. Causes and Timing of Death in Extremely Premature Infants from 2000 through 2011. N Engl J Med 2015; 372:331–340
  4. Rhode A, Dorn A. Gynäkologische Psychosomatik und Gynäkopsychiatrie. Schattauer, Stuttgart; 2007
  5. Weidner K, Rauchfuß M, Neises (Hrsg.). Leitfaden Psychosomatische Frauenheilkunde. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln; 2012
  6. Ehlert U. Einfluss von Stress auf den Schwangerschaftsverlauf und die Geburt. Psychotherapeut. 2004; 49: 367–376
  7. Dudenhausen JW, Kirschner R. Psychosoziale Belastungen als Risikofaktoren der Frühgeburt – Erste Befunde der Daten des BabyCare-Projektes. Zentralbl Gynakol 2003; 125: 112–122
  8. Panagl A, Kohlhauser C, Fuiko R, Pollak A. Belastungen von Eltern auf neonatologischen Intensivstationen – Selbsteinschätzung versus Fremdeinschätzung. Geburtsh Frauenheilk 2002; 62: 369–375
  9. Brisch KH, Buchheim A, Köhntop B et al. Präventives psychotherapeutisches Interventionsprogramm für Eltern nach der Geburt eines sehr kleinen Frühgeborenen – Ulmer Modell. Monatsschr Kinderheilkd 1996; 144: 1206–1212
  10. Jackson JC et al. Posttraumatic stress disorder and posttraumatic stress symptoms following critical illness in medical intensive care unit patients: assessing the magnitude of the problem. Critical care 2007; 11: R27
  11. Kapfhammer HP, Rothenhäusler HB, Krauseneck T et al. Posttraumatic Stress Disorder and Health-Related Quality of Life in Long-Term Survivors of Acute Respiratory Distress Syndrome. Am J Psychiatry 2004; 161: 45–52
  12. Krauseneck T, Rothenhäusler HB, Schelling G, Kapfhammer HP. Posttraumatische Belastungsstörungen bei somatischen Erkrankungen. Fortschr Neurol Psychiatr 2005; 73: 206–217
  13. Day KL , Schmidt LA, Vaillancourt T et al. Long-term Psychiatric Impact of Peer Victimization in Adults Born at Extremely Low Birth Weight. Pediatrics 2016; 137: e20153383; DOI: 10.1542/peds.2015- 3383
  14. S2k-Leitlinie 028/041 – Psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulter; aktueller Stand: 09/2015

Gyne 06/2018 – Pränataldiagnostik heute: Herausforderung und Grenzen der psychosomatischen Betreuung

  • 11. Oktober 2018
  • Gyne

Gyne 06/2018

Pränataldiagnostik heute:
Herausforderung und Grenzen der
psychosomatischen Betreuung

Autorin: Dr. Claudia Schumann

 

Immer ausgefeiltere Methoden erlauben immer detailliertere Aussagen über das Ungeborene – zu seinem Wohlergehen, aber auch zu Fehlbildungen und Chromosomenabweichungen. Das birgt Chancen, aber auch Risiken und stellt Eltern wie Betreuende vor besondere Herausforderungen. Es geht um medizinische Informationen, aber vor allem um den Umgang damit: Denn das Wissen hat unterschiedliche Konsequenzen! Damit komplizieren sich die Aufgaben für die psychosomatische Schwangerschaftsbetreuung in der Praxis.

Was ist eigentlich Pränataldiagnostik?

Seit es Schwangerschaft gibt, gibt es auch Pränataldiagnostik: Das Betrachten und Abtasten des wachsenden Bauchs, das Spüren der kindlichen Bewegungen, Fragen an die Mutter nach ihrem Befinden – das alles sind uralte vorgeburtliche (pränatale) Untersuchungen (Diagnostik) mit dem Ziel, mehr über das Ungeborene zu wissen. Wächst es gut? Wann wird es kommen? Wie liegt es? Geht alles gut oder stimmt etwas nicht? Die Fragen haben sich nicht geändert. Aber die Methoden. Lange konnte man nur von außen beobachten, wie eine Frau „guter Hoffnung“ war. Man bekam keine Informationen direkt über das Ungeborene, das im Mutterleib heranwuchs.

Das änderte sich erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts. 1819, vor knapp 200 Jahren, wurden zum ersten Mal die kindlichen Herztöne mit einem Stethoskop gehört. 1895 wurde schließlich von Pinard das heute gebräuchliche Hörrohr entwickelt. So ahnte man, wie es dem Kind geht. Aus der Aufzeichnung der Herztöne gleichzeitig mit den Kontraktionen (CTG) gewann man bessere Rückschlüsse auf sein Befinden. Seit etwa 1960 kann man mit Ultraschall in den Bauch „hineinsehen“ und die kindliche Entwicklung beobachten, seit ca. 1970 kann man die kindlichen Chromosomen in fetalen Zellen untersuchen, die man vorher mithilfe einer Amniozentese aus dem Fruchtwasser gewonnenen hat. In den 1980er-Jahren wurde der Triple-Test entwickelt, zur sog. Risiko- Abschätzung, der inzwischen nahezu abgelöst ist durch das Erst-Trimester- Screening (ETS). Eine entscheidende Wende bedeutet die 2012 eingeführte NIPD (nicht-invasive Pränataldiagnostik), eine ungefährliche und sichere Methode zur Beurteilung der fetalen Chromosomen.

Unter Pränataldiagnostik (PND) versteht man heute die in den letzten knapp 60 Jahren entwickelten modernen Methoden. Sie ermöglichen mehr Wissen und bedeuten mehr Chancen für die Gesundheit des Ungeborenen, aber sie sind gleichzeitig mit Belastungen und Risiken verbunden. Durch sie verändert sich die Zeit des hoffnungsvollen „Abwarten was- kommt“ in eine Zeit der kritischen Beobachtung und der Entscheidungen. Die Gesundheit des Kindes erscheint immer mehr machbar. Werdende Mütter/Eltern stehen vor neuen Möglichkeiten und Herausforderungen. Gleichzeitig stellen diese Methoden neue Anforderungen an die Kompetenz der begleitenden Fachleute (Ärztinnen/ Ärzte und Hebammen), an ihr Wissen und ihr kommunikatives Können. Und nicht zuletzt haben sie den gesellschaftlichen Umgang mit Schwangerschaft verändert.

Vorgeburtlicher Ultraschall: Untersuchung mit Januskopf

Mit Ultraschall (US) kann man Zahl und Größe des/der Feten beurteilen, Anlage und Entwicklung der Organe, die Lage im Mutterleib und den Sitz der Plazenta. Mit der Doppler- Untersuchung wird die Versorgung des Feten beurteilt, etwaige Risiken für seine Entwicklung lassen sich frühzeitig erkennen.

Gemäß geltenden Mutterschafts- Richtlinien wird Ultraschall als vorgeburtliches Screening allen Schwangeren angeboten; die Untersuchungen werden – wenn die Schwangere dem Angebot zustimmt – dreimal in der Schwangerschaft durchgeführt und als Kassenleistung abgerechnet. Ultraschall gilt als ungefährlich. Viele werdende Eltern genießen es als Baby- Fernsehen, sie wollen eher mehr als die drei vorgesehen Untersuchungen und sind auch bereit, sie als IGeL zu zahlen.

Mit Ultraschall kann ein ungestörtes Wachstum konstatiert werden, ebenso können Gemini und deren Versorgung früh erkannt werden, ein Herzfehler und eine Placenta praevia: alles wichtige Informationen für die weitere Betreuung und die Entbindung. Bestimmte Untersuchungsergebnisse, z. B. eine auffällige Kopfform oder mangelndes Wachstum, können aber auch erste Hinweise sein auf eine Chromosomenaberration und/oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung. So zeigt sich beim Ultraschall der Januskopf, die Doppeldeutigkeit der PND besonders deutlich: Die Untersuchung kann besorgte werdende Eltern beruhigen und sie kann zum Wohl des Kindes sein, etwa wenn es wegen des bekannten Herzfehlers in einer Spezialklinik zur Welt kommt und sofort neonatologisch versorgt werden muss. Aber Ultraschall birgt auch Gefahren: Auffällige Befunde können beunruhigen, weitere Untersuchungen nach sich ziehen, bis hin zur Fragestellung des Abbruchs bei der Feststellung einer schwerwiegenden Behinderung, der sich die Eltern nicht gewachsen fühlen.

Erst-Trimester-Screening (ETS): Suchtest mit fraglich-sicherer Aussage

Hinter der Idee des Erst-Trimester- Screening (ETS) steckt die Idee, in der frühen Schwangerschaft eine ungefährliche Methode anzubieten, um individuell – und nicht nur aufgrund der statistischen Alterswahrscheinlichkeit – das Risiko für das Auftreten einer Trisomie zu bestimmen. Aus den erhobenen einzelnen Daten (gemessene Nackenfalte, Blutwerte (PAPP-A, beta-HCG) wird unter Berücksichtigung des Alters der Mutter mithilfe eines Algorithmus errechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie (21/16/18) ist. Bei hohem Verdacht (Risiko > 1:300) wird der Schwangeren eine Amniozentese zur definitiven Klärung angeboten. Das ETS hat inzwischen den früher üblichen Triple-Test abgelöst, da die Aussagen genauer beziehungsweise die Entdeckungsraten höher sind.

Da es sich beim ETS um eine Untersuchung der genetischem Ausstattung des Feten handelt, fällt es unter das Gen-Diagnostik-Gesetz: Ärztinnen und Ärzte, die die Untersuchung durchführen, müssen eine Qualifikation zur genetischen Beratung nachweisen und die Schwangere ausführlich über die Untersuchung (Aussagekraft, mögliche Ergebnisse, mögliche Auswirkungen einer Aberration) informieren. ETS ist keine Kassenleistung, die Kosten liegen bei ca. 150 bis 300 Euro. Je nach Ergebnis ist die Schwangere durch das ETS beruhigt oder beunruhigt. Manche realisieren erst bei einem auffälligen Befund, worauf sie sich eingelassen haben und dass ihnen weitere Entscheidungen und eventuell gefährliche Untersuchungen bevorstehen

Amniozentese (AC), Chorionzotten- Biopsie (CVS): klare Aussage, gefährlicher Eingriff

Um das fetale Erbgut zu bestimmen, benötigte man bis vor wenigen Jahren fetale Zellen. Sie werden gewonnen mithilfe einer Amniozentese (AC) oder eine Chorionzotten-Biopsie (CVS), beides auch als „invasive PND“ bezeichnet. Die AC kann ab der 14./15. Schwangerschaftswoche gemacht werden, die CVS schon ab der 11./12. Schwangerschaftswoche. Nach entsprechender Aufbereitung/ Zellkultur können die kindlichen Chromosomen untersucht und sicher beurteilt werden. Bei der AC liegen zwischen Untersuchung und endgültigem Ergebnis 10 bis 14 Tage Wartezeit; ein vorläufiges Ergebnis innerhalb von 1 bis 2 Tagen bietet der sogenannte FISHTest (Aussagesicherheit 95 %). Nach CVS erhält man das Ergebnis innerhalb weniger Tage.

Beide Untersuchungen sind nicht ungefährlich. Das Abortrisiko liegt bei der AC zwischen 0,3 und 1 %, bei der CVS sogar bei bis zu 2 %, abhängig vor allem von der Erfahrung der Untersuchenden. Bei auffälligem Vorbefund (ETS, Ultraschall) oder bei höherem Alter der Mutter (> 35 Jahre) sind die Untersuchungen eine Kassenleistung. Ärztinnen und Ärzte müssen Frauen über 35 Jahre auf die Möglichkeit einer AC hinweisen. Eine genetische Beratung (wie beim ETS) ist auch vor AC/CVS verpflichtend.

Frauen, denen aufgrund ihres Alters oder einer auffälligen Voruntersuchung eine der Untersuchungen vorgeschlagen wird, stehen vor einer schwierigen Situation: Nur durch die Untersuchung bekommen sie Gewissheit – andererseits riskieren sie das Leben ihres vielleicht völlig gesunden Ungeborenen. Und die Gewissheit kann auch bedeuten, dass das Kind tatsächlich eine Chromosomen- Aberration hat und sie dann erneut vor einer noch größeren Entscheidung stehen: Abbruch oder Austragen der Schwangerschaft?

Nach einem auffälligen Befund haben Betroffene laut Gen-Diagnostik- Gesetz Anspruch auf eine ausgiebige ärztliche und psychosoziale Beratung; vor einem etwaigen Abbruch (aus medizinischer Indikation) muss eine Wartezeit von drei Tagen ein bzw. ausgehalten werden. Aus Studien ist bekannt, dass sich weit über 90 % der Frauen bei der Diagnose Trisomie für einen Abbruch entscheiden. Diese Entscheidung wird fast immer gegenüber der Umwelt verheimlicht, das tote Kind wird als „Fehlgeburt“ ausgewiesen und betrauert.

Nichtinvasive Pränataldiagnostik (NIPD): früh und sicher und ungefährlich – ein Fortschritt?

Die „Nichtinvasive Pränataldiagnostik“ (NIPD) ist eine grundlegende und entscheidende Änderung der PND: Sie ermöglicht frühe, ungefährliche und sichere Aussagen zum Erbgut des Kindes.

NIPD beruht auf der Möglichkeit, aus dem mütterlichen Blut die fetalen Chromosomen zu beurteilen. Daher die Bezeichnung „nichtinvasiv“, als Abgrenzung zu den oben dargestellten invasiven Methoden AC/CVS. Nach der Blutentnahme (möglich ab der 10. Schwangerschaftswoche) werden im Labor die im mütterlichen Blut schwimmenden zellfreien fetalen DNA-Fragmente isoliert, mit aufwändigen Methoden (next generation sequencing, Z-score-Berechnung) beurteilt und die chromosomale Ausstattung des Feten bestimmt. Auf das Testergebnis muss man drei bis fünf Tage warten; die beratende Ärztin/der beratende Arzt muss über eine genetische Kompetenz verfügen.

Bislang können festgestellt werden: fetales Geschlecht, Trisomie, geschlechtschromosomale Störungen (45 XO = Turner-Syndrom, 47 XXY = Klinefelter-Syndrom u. a.). Die Detektionsrate ist sehr hoch (für Trisomie 21 über 99%), die Falsch-Positiv- Rate sehr niedrig (0,1 %). Die Rate der Betroffenen (d.h. der Frauen, die ein positives Ergebnis für Trisomie 21 erhalten) hängt allerdings von der Prävalenz ab, also von der Vorab-Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie. Beratende müssen sich gut auskennen, um die Komplexität der unterschiedlichen Aussagekraft klar vermitteln zu können.

Die NIPD wurde 2014 in Deutschland eingeführt. Die Kosten fielen von anfangs etwa 1250 Euro auf jetzt 200 bis 450 Euro, je nach Labor und Umfang der gewünschten Untersuchung. Noch ist nicht entschieden, ob die NIPD als Kassenleistung eingeführt werden soll; entsprechende Anträge werden im G-BA beraten.

Von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) wird die NIPD empfohlen bei auffälligem ETS oder höherem mütterlichem Alter, also als Alternative zu den invasiven Methoden – nicht als Standard-Untersuchung für alle. Als Vorteil wird betont: Ohne Abort-Risiko kann so in den meisten Fällen der Verdacht auf eine Chromosomen-Veränderung ausgeschlossen werden. Bei positivem Befund der NIPD wird zur hundertprozentigen Sicherung noch eine AC empfohlen.

Natürlich müssen Schwangere sich nicht an diese Empfehlung halten: Jede Frau kann für sich entscheiden, ob sie eine NIPD machen lassen will, unabhängig von der Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomenveränderung. Und sie kann auch entscheiden, ob sie bei auffälligem Befund eine AC machen lassen will, das heißt: wenn das Ergebnis noch vor Ende der 12.SSW p.m. vorliegt, kann sie innerhalb der gesetzlichen Frist einen Abbruch vornehmen lassen. Auch hier wieder der Januskopf: Die NIPD kann gerade älteren Schwangeren Sicherheit geben, ohne Risiko für das Ungeborene, sie kann die Zahl der Amniozentesen und damit der ärztlich induzierten Fehlgeburten reduzieren – aber sie kann auch zu einer breitflächigen Anwendung von PND bis hin zu einem selbstverständlichen Screening auf chromosomale Gesundheit führen.

Ist die NIPD eine positive Weiterentwicklung, ein Fortschritt? Oder ein weiterer Schritt in Richtung Selektion, wie kritische Stimmen befürchten? Oft wird an diesem Punkt die gute Beratung angeführt als Chance und Voraussetzung für eine eigenständige Entscheidung der Schwangeren im Umgang mit PND.

Beratung zu PND und Shared decision making (SDM): ein Dilemma

Die Beratung zu der prinzipiellen Möglichkeit von PND ist laut Richtlinie verpflichtend für die ärztliche Betreuung in der Schwangerschaft. „Was wollen Sie von Ihrem Kind wissen?“ Das ist die entscheidende Frage, die der Frau früh gestellt werden und die sie für sich beantworten sollte. Auch auf die möglichen Konsequenzen sollten sie bzw. das Paar sich im Klaren sein: „Können Sie sich vorstellen, bei einer schweren Auffälligkeit in eine Situation zu kommen, bei der es um die Entscheidung für das Austragen oder den Abbruch der Schwangerschaft geht?“

Die Weichen werden früh gestellt. Frauen/Paare, die ein Kind ohne Wenn und Aber annehmen wollen und für die ein Abbruch in keinem Fall eine Option ist, brauchen weder NIPD noch ETS; es kann sein, dass sie sich für einen Organ-Ultraschall entscheiden in der 20. bis 22. Schwangerschaftswoche, um bei etwaigen Auffälligkeiten (Herzfehler, Spina bifida) gut vorbereitet zu sein. Diese Frauen zu beraten, ist aus meiner Sicht als Frauenärztin eher einfach. Allerdings sind nur die wenigsten werdenden Eltern über die möglichen Konsequenzen von PND informiert. Die meisten wollen einfach nur wissen, „dass alles in Ordnung ist“, und gehen davon aus: „Heute kann man doch eigentlich alles sehen.“ Dabei blenden sie mögliche belastende Konsequenzen der Untersuchungen aus; es ist nicht einfach, das in die Beratung einzubringen.

Zur Beratung über Pränataldiagnostik gehört zunächst die Information über die möglichen Untersuchungsmethoden, deren jeweilige Aussagekraft und die mit der Untersuchung verbundenen Gefährdungen. Es gilt, Begriffe wie „Risiko“ und „Wahrscheinlichkeit“ zu erörtern, ebenso wie „Fehlbildung“ und „Chromosomenabweichung“, und die jeweils resultierenden möglichen Folgen auf die kindliche Entwicklung. Angesprochen werden muss auch die eventuelle Durchführung eines späten Abbruchs der Schwangerschaft, also eine eingeleitete schmerzhafte lange Geburt. Ein Gespräch über Pränataldiagnostik verlangt viel an Wissen und vor allem an Empathie, es ist zeitaufwändig und kann für alle Beteiligten emotional belastend sein. Die Beratung muss sich nach dem Auffassungs- und Verständnisvermögen der Schwangeren richten, sie soll sie nicht erschrecken, und sie muss früh (in der 8./9. Schwangerschaftswoche) erfolgen, also in einer sowieso schon körperlich wie seelisch anstrengenden Phase der Schwangerschaft, die oft von Ambivalenz und Fragen geprägt ist. Denn nur eine frühe Beratung gewährt der Frau/dem Paar ausreichend Möglichkeit nachzudenken, sich eventuell zusätzlich zur ärztlichen noch eine psychosoziale Beratung zum Thema ETS oder NIPD einzuholen bzw. die Hebamme um Rat zu fragen. Beides kommt leider weiterhin sehr selten vor, wie beide Berufsgruppen berichten.

Ist es möglich, die Schwangeren/ werdenden Eltern in der ärztlichen Praxis so zu beraten, dass es wirklich zu einem „informed consent“ kommt, zu einer gemeinsamen belastbaren Entscheidung („shared decision making“)? Nach 30-jähriger frauenärztlicher Tätigkeit mit psychosomatischem Schwerpunkt bezweifle ich das. Die Informationsmenge ist so groß, die ethische Dimension so überwältigend, der (Zeit-)Druck kaum aushaltbar. Dazu kommt: Der oft gehörte Wunsch „Hauptsache es ist gesund!“ ist nachvollziehbar, und er erscheint machbar. Sehr oft habe ich in der Praxis im Lauf von Beratungsgesprächen eine große Verunsicherung erlebt, die sich ausdrückt in Fragen wie: „Was machen denn die meisten?“ Oder: „Was würden Sie uns raten?“ Alles zusammen mag dazu beitragen, dass viele Beratungsgespräche nicht so aufwendig verlaufen, wie eigentlich erforderlich. Was als Angebot der Selbstbestimmung gedacht ist, wird oft als Zumutung erlebt; für viele ist es eine Überforderung.

Was tun mit dem Dilemma?

Umgang mit den Herausforderungen durch Pränataldiagnostik: Mehr Information, mehr Diskussion, mehr Kooperation – Inklusion von Anfang an

Schon immer kam es vor, dass sich eine Schwangere grundsätzlich gegen ein Kind und damit für einen Abbruch entschied. In Deutschland sind das pro Jahr fast 100.000 Frauen. Neu ist seit ca. 50 Jahren, dass Frauen bzw. werdende Eltern sich aufgrund von speziellen Eigenschaften des Ungeborenen gegen ihr Kind entscheiden bzw. entscheiden können. Die Informationen erhalten sie durch die moderne Pränataldiagnostik. Diese Methoden werden immer raffinierter; die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen, die technischen Möglichkeiten werden sich weiter entwickeln. In Zukunft werden die Eltern in spe mit noch mehr möglichem Wissen konfrontiert werden.

Ein Kind großzuziehen, ist eine Herausforderung, das gilt noch mehr für ein „besonderes Kind“. Das kann überfordern, ebenso wie die Entscheidung für PND oder für bzw. gegen das Austragen eines Kindes mit bekannter Behinderung. Es steht niemandem zu, eine Frau zu verurteilen, die sich zu dem schweren Entschluss eines Abbruchs aufgrund einer befürchteten Behinderung durchringt. Nicht umsonst wird diese Entscheidung fast immer als Geheimnis behandelt, obwohl der Weg dahin, die immer präzisere Pränataldiagnostik, der Frau intensiv angeboten und als Fortschritt gefeiert wird. Die Schizophrenie der Situation, die Gefühle von Scham und Schuld, müssen die meisten Betroffenen alleine aushalten; die entsprechenden Beratungsangebote sind rar.

Eine realistische Lösung des Dilemmas sehe ich nicht; noch breitere Beratungsangebote für Schwangere sind sicher wichtig, aber kein Ausweg, ebenso wenig wie größere Hürden zum Zugang zur PND. Aus meiner Sicht geht es darum, mehr über mögliche Strategien des Umgangs mit dem neu-verfügbaren Wissen über Ungeborene nachzudenken. Dazu einige Vorschläge:

  1. Frühzeitige Information über PND, z. B. in Schulen, und damit verbunden eine ethische Diskussion über den Umgang mit dem werdenden Leben, über Begriffe wie „Gesundheit“ und „Leid“, „lebenswert“ und „Vielfalt“. Damit Menschen mit diesem Thema nicht erst in der Schwangerschaft konfrontiert werden, sondern sich schon vorher Gedanken machen und einen Standpunkt entwickeln können.
  2. Mehr öffentliche Diskussion (in Politik wie in Medien) zum Umgang mit Leben an seinem Anfang – genauso wie die gewohnte breite Diskussion über den Umgang mit Leben an seinem Ende. Wie gehen wir als Gesellschaft damit um, was sind unsere Wie sehr diese Diskussion die Gemüter beschäftigt, zeigt die gegenwärtige Diskussion um das sogenannte „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche (gemäß § 219a).
  3. Neben der ständigen Fortbildung über die Möglichkeiten und Grenzen von PND ist eine engere Kooperation aller Berufsgruppen erforderlich bei der Begleitung werdender Eltern. Nicht nur ÄrztInnen und Ärzte, auch Hebammen müssen in diesem Bereich auf dem Laufenden sein, auch wenn sie selbst keine Pränataldiagnostik anbieten können. Sie werden vielleicht gerade bei der ersten Weichenstellung für oder gegen PND eher angesprochen, als psychosoziale Beraterinnen, eben weil sie als Expertinnen für Schwangerschaft gelten. Die leider oft zu hörenden gegenseitigen Vorurteile – „Ärztinnen und Ärzte machen einfach so Ultraschall und PND und klären vorher nicht auf!“, „Hebammen haben wenig Ahnung von PND und sind immer dagegen!“ – sind eine Katastrophe für die Ratsuchenden und erschweren ihnen die Entscheidung.
  4. Last but not least: Was ist normal? Gesellschaftliches Umdenken tut not. Wenn Frauen gratuliert wird zu ihrer Entscheidung, ein „besonderes Kind“ zu bekommen, wenn sie zur Geburt einen besonders dicken Blumenstrauß erhalten, wenn Paare wissen, dass sie alle denkbare finanzielle und psychosoziale Unterstützung bekommen, und wenn sie darüber hinaus mit ihrem Kind von ihrer Umwelt wirklich akzeptiert werden, statt zu hören „So etwas muss es doch nicht mehr geben!“ – dann wird es ihnen leichter fallen, eine gute Entscheidung zu fällen, die sie aus aushalten können, in der einen oder anderen Richtung. Sie können „guter Hoffnung“ sein auch mit Pränataldiagnostik, denn sie können auf Verständnis und Akzeptanz rechnen.

Inklusion ist offiziell das Motto der Zeit. Sie sollte früh beginnen, möglichst schon im Mutterleib.

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Claudia Schumann
Frauenärztin / Psychotherapie
Vizepräsidentin der DGPFG
Hindenburgstr. 26
37154 Northeim
www.dr-claudia-schumann.de

Slide Pränataldiagnostik heute: Herausforderung und Grenzen der psychosomatischen Betreuung Gyne 06/2018

Gyne 04/2018 – „Ein bisschen Beckenbodengymnastik“ oder Die Physiotherapeutische Prävention und Therapie der Beckenbodendysfunktion?

  • 5. August 2018
  • Gyne

Gyne 04/2018

„Ein bisschen Beckenbodengymnastik“ oder Die Physiotherapeutische Prävention und Therapie der Beckenbodendysfunktion?

Autorin: Christiane Rothe

 

Einleitung

Die Prävention von Beckenbodenfunktionsstörung wird häufig gewünscht.

Die „Beckenbodenschule“ ist als Präventionsmaßnahme bei der Zentralen Prüfstelle für Prävention zertifiziert und wird bundesweit angeboten. Es werden die Elemente präventiven physiotherapeutischen Arbeitens dargestellt und die Abgrenzung zur Therapie verdeutlicht. Präventives Arbeiten begleitet eine Verhaltensänderung durch Gesprächsführung und Körperarbeit, eingebunden in eine Gruppensituation. Sie unterstützt die Klientinnen in der Einschätzung ihrer individuellen Gesundheitssituation, der daraus abzuleitenden Verhaltensanpassung und/oder des weiteren Therapiebedarfs.

Im Unterschied dazu steht die individuelle, befundorientierte konservative Therapie der Beckenbodendysfunktion in der Hand der Physiotherapie. Der Clinical-Reasoning-Prozess leitet die Physiotherapie durch den Behandlungsprozess, der im interdisziplinären Kontext gesehen werden kann. Spezialisierte Physiotherapie im Bereich Urogynäkologie ist für die Patientinnen ein kostengünstiger und wirkungsvoller Weg, die Symptomatik zu verbessern. Die geschützte Therapiebeziehung ist bei diesen schambesetzten Themen von hohemWert. Es werden Aspekte der spezialisierten Physiotherapie dargestellt, die die Patientin erwartet.

Im Kontext einiger konservativer und operativer Therapieoptionen bei den häufigsten Erkrankungen, die als Beckenbodendysfunktion beschrieben werden (Belastungsinkontinenz, Urge- Problematik, Organsenkungen des kleinen Beckens), wird retrospektiv häufig die Prävention der Beckenbodendysfunktion gefordert.

Primär- und Sekundär-Prävention und Therapie durch die spezialisierte Physiotherapie

Die Gesundheit des Beckenbodens unterliegt vielfältigen Einflussfaktoren. So kann das Erlernen des Miktionsverhaltens im Kleinkindalter, die Prägung in der Zeit erster Sexualerfahrung, die Geburtsbegleitung, das Sportverhalten, die Arbeitssituation bis zur Wirkung durch die Werbung auf die Beckenbodengesundheit Einfluss nehmen. Auch Ernährungsgewohnheiten, das Körpergewicht sowie das Körpergefühl und der Wissensstand beeinflussen diesen Funktionsbereich. Das wird in Biografien von Patientinnen mit Beckenbodendysfunktionen besonders deutlich. Epidemiologische Studien bestätigen diesen Eindruck [1].

Patientinnen, Ärzte und Mitglieder anderer Gesundheitsberufe fühlen sich häufig unzureichend über die Möglichkeiten von Prävention und Physiotherapie informiert. Betroffene suchen vielfach Unterstützung bei Prävention und Therapie [2].

Die Zentrale Prüfstelle hat im Rahmen des Gesetzes § 20 SGB V und des Präventionsleitfadens [3] die Verpflichtung, Präventionsangebote zu zertifizieren und damit für die Teilnehmerinnen teilweise eine Kostenübernahme zu ermöglichen. So soll Prävention einkommensunabhängig möglich werden, und so kommen die Krankenkassen ihrer Verpflichtung zum Angebot präventiver Maßnahmen nach. Die „Beckenbodenschule“ der AG GGUP/Physio Deutschland ist nach diesem aufwändigen Verfahren zertifiziert.

Gemäß der Ottawa-Charta sollen Menschen zur Erhaltung undWiederherstellung persönliche Kompetenzen entwickeln dürfen, z. B. mit körperlichen Veränderungen in verschiedenen Phasen des Lebens (u. a. auch mit chron. Erkrankungen) umgehen zu können [4, 5].

Gesundheitsbildungs- und Präventionsmaßnahmen sollen diese Möglichkeit schaffen. Ein Bewusstsein für einen aufkommenden individuellen Bedarf entsteht zu unterschiedlichen Lebensphasen und ist abhängig von der Familiensituation, dem Bildungsstand, dem Gesundheitssystem und der Persönlichkeitsstruktur.

Im Bereich der Beckenbodengesundheit entsteht bei Frauen in besonderen Lebensübergängen (Schwangerschaft, postpartal, Menopause, Eintritt in den Ruhestand, prä- und postoperativ bei Korrekturoperationen) ein erhöhte Sensibilität für das Thema. Gleichzeitig ist bekannt, dass bestimmte Gruppen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Beckenbodendysfunktion tragen. Auch aus diesen Gruppen kommt der Wunsch nach Prävention, die hier häufig auch eine Sekundärprävention ist.

So können die Klientinnen einer Präventionsmaßnahme eine breite Altersspanne und sehr inhomogene Gesundheitssituation aufweisen. Häufig ergeben genauere Nachfragen den Verdacht auf Diagnosen, die eindeutig zeigen, dass es sich hier nicht um Primärprävention handelt und eine Berechtigung zur individuellen Physiotherapie nach der Heilmittelverordnung vorliegt. Die Teilnahme an der Beckenbodenschule ist dadurch aber nicht ausgeschlossen. Eine zeitlich parallele Durchführung einer Präventionsmaßnahme nach § 20 ist neben einer Verordnung für Physiotherapie gemäß Heilmittelkatalog nicht erlaubt.

Die vorgeschriebene Eingangsevaluation zeigt die Motivation, an diesem Kurs teilzunehmen. Die Durchführung des Präventionsmodells „Beckenbodenschule“ ist sowohl aus pädagogischen Gründen als auch aus bewegungspädagogischen und trainingsbezogenen Parametern in sich aufbauend strukturiert. Orientiert nach dem 4-Phasenmodell nach Hilarion Petzold hat jede Stunde einen Aufbau, weswegen die Teilnahme auch aus Sicht der Krankenkasse verpflichtend sein sollte. Nur bei einer Teilnahme von mind. 80 % der Zeit wird eine rückwirkende Kostenübernahme mit einer Teilnahmebescheinigung möglich.

Der Erfolg der „Beckenbodenschule“ beruht auf derWechselwirkung von: Erhalt und Steigerung des Gesundheitswissens, physiotherapeutischer Körperarbeit, reflektierender Gesprächsführung durch die Kursleitung und der Wirkung des gruppendynamischen Prozesses.

Aufbau des Gesundheitswissens und physiotherapeutische Körperarbeit

Jede Stunde hat einen Schwerpunkt, der zunächst mit einem theoretischen Input, z. B. zur Anatomie des Beckenbodens, startet. Dann werden in verschiedenen Ausgangsstellungen, die Einfluss auf die Körperwahrnehmung des Beckenbodens nehmen, eingenommen und verschieden isolierte Anspannungs- und Entspannungsaufträge erarbeitet. Ständiges Feedback durch die Kursleitung hilft über Unsicherheiten hinweg und lässt zunehmend das interne Feedback wichtiger und sicherer werden, welches am Ende des Kurses klar von den Teilnehmerinnen rekapituliert werden kann. Die exakte Anleitung, die Korrektur von Ausgangsstellung und Ausführung sowie die Übungsauswahl orientieren sich an neuesten Erkenntnissen der Bewegungssteuerung und Re-Edukation von Beckenboden- und Bauchmuskulatur. Zunächst ist derWiedergewinn der Körperwahrnehmung der Beckenbodenmuskulatur, die Schulung der Anund Entspannung im Vordergrund, bevor Kraft und Kraft-Ausdauer geübt werden. Ziel ist eine reaktionsbereite Muskulatur, die in verschiedenen Lebenssituationen bewusst eingesetzt werden kann. Die sprachliche Interpretation der Muskelfunktion leitet hier verschiedene Aktivitäten ein. So kann von den Klientinnen der Unterschied zwischen „anspannen, umgreifen, lösen und mitschwingen“ zunehmend gespürt werden.

Die isolierte, an die Atmung angepasste, bewusste Aktivierung des Beckenbodens wird dann zunehmend mit der Aktivierung der Bauchmuskulatur, dem Haltungsbewusstsein, der Wirbelsäulen- und Hüftgelenksbeweglichkeit kombiniert (EAbb. 1). So erleben die Teilnehmerinnen eine Vielzahl von Übungsangeboten, aus denen sie sich, unterstützt durch die Kursleitung, ein individualisiertes Hausaufgabenprogramm entwickeln. Die Integration dieser komplexen, neu „wieder“ zu lernenden Körpererfahrungen findet dann auch in der Erarbeitung von Alltagssituationen statt. Auch hier ist die Suche nach den Bewegungsressourcen entscheidend, wodurch die Teilnahme von Frauen möglich wird, die z. T. bei Breitensportangeboten keinen Platz finden.

Die Gesprächsführung durch die Kursleitung ist patientenzentriert (nach Rogers). Vor allem in reflektierenden Gesprächssituationen unterstützt die Kursleitung die Einordnung in das individuelle Gesundheitserleben. Emotionale Erlebnisse, die zu Veränderungen der Beckenbodenfunktion geführt haben und jetzt verbalisiert werden, dürfen benannt werden. Die innere Haltung der Physiotherapeutin kann die Klientin dabei unterstützen, einerseits diese emotionale Verbindung zu sehen, schafft aber auch die Möglichkeit, mit dieser Körperregion neue Erfahrungen zu machen. So thematisieren Frauen die Geburtserlebnisse oder den Verlust des Uterus. Dieses häufig sehr pathogenetisch orientierte Denken der Klientinnen wird, begleitet durch die Kursleitung, in ein bio-psychosoziales Verstehen übergeführt [6]. Am Ende des Kurses wird idealerweise die Fähigkeit geschult, die eigenen Ressourcen der Beckenbodengesundheit zu erkennen und zukünftig zu pflegen und zu verbessern. So kann die Kompetenz wachsen, sich mit ungünstigen Einflussfaktoren in der Lebenswelt bezüglich der Beckenbodengesundheit aktiver auseinander zu setzten. Das entspricht dem salutogenetischen Denken und kann damit auch alle auf die Becken- Faktoren integrieren.

Die Rolle der Kursleitung wird im Laufe der 8 x 75 min Kurszeit als Orientierung weniger wichtig, da die Klientinnen zunehmend zur eigenen Expertin ihrer Beckenbodengesundheit werden.

Das Ableiten weiterer Schritte, z. B. ärztliche Beratung zur Operation, Unterstützung beim Erkennen psychotherapeutischer Therapiebedarfe, Anregung zur Wiederaufnahme von Sport oder die Anregung zu Gewichtsreduktion, können entstehen [7–11].

In der Prävention kann der Gruppenprozess den ressourcenorientierten Ansatz unterstützen: Die emotionale Anteilnahme durch die Gruppenmitglieder fördert die eigene Standortbestimmung und kann die Tabuisierung reduzieren. Durch die Bezugnahme untereinander entstehen Elemente der Bestätigung und Bestärkung. Das gemeinsame Reflektieren des Übungsverhaltens und des Einordnens von Körpererfahrungen erweitert das Spektrum der eigenen Bewegungsmöglichkeiten. Da die Klientinnen in die Verantwortung genommen werden, über ihr Übungsverhalten zu berichten, kann sich das Gelernte durch Wiederholung verdichten. Ganz besonders positiv verstärkend kann es erlebt werden, wenn das neu Gelernte im Alltag zur Verbesserung der Situation geführt hat und durch die anderen Gruppenmitglieder positiv (oft nonverbal) wahrgenommen wird.

Die Grenzen zwischen Prävention und Therapie sind für die Betroffenen fließend, formal sind sie klar vorhanden. Spezialisierte Physiotherapie verbindet physiotherapeutisches Handeln mit Wissen aus der Urogynäkologie und steuert den individuellen Therapieprozess.

Die vorherige Teilnahme an einer Präventionsmaßnahme oder klassischerweise die Rezeptierung gemäß Heilmittelkatalog durch Gynäkologen, Urologen, Proktologen und Hausärzte bringen die Patientinnen in die physiotherapeutische Spezialpraxis.

In der spezifischen Physiotherapie wird zunächst ein individueller Befund durchgeführt. Aufbauend auf ärztlichen Befunden (z. B. Uroflowmetrie, OP-Berichte) erhebt die Physiotherapie eine spezifische Anamnese, die dann wegweisend für weitere Assessments ist. Es werden dann mit (validierten) Fragebögen, strukturbezogenen Assessments (z. B. vaginalanorektale Untersuchung zur Struktur- Funktionsanalyse der Beckenboden- und Sphinktermuskulatur) [12], strukturbezogene Untersuchungen im Bereich Wirbelsäule, ISG, Becken sowie der Becken bzw. Bein umgebenden Muskulatur die physiotherapeutische Hypothese untermauert.

In Abstimmung mit den Patientenbedürfnissen und dem Rahmen, der durch die Verordnungsmenge definiert ist, wird ein individueller Behandlungsplan erstellt, mit physiotherapeutischen Therapiezielen differenziert und am Ende evaluiert. Auf Verlangen wird der Therapiebericht dem verordnenden Arzt zugestellt.

Hier kann nun das aktive Bewegungslernen, wie es auch in der Prävention umgesetzt wird, durch passive Maßnahmen unterstützt werden (EAbb. 2). Diese können im Gewebe die Durchblutung anregen, die Verschieblichkeit von Organen verbessern, Bandstrukturen entlastet und die neuromuskuläre Steuerung verbessern. Gleichzeitig kann durch individuelle Anregung der Propriorezeption das Bewegungslernen individuell unterstützt und durch Anpassung von Übungssituationen erweitert werden. So wird das Bewegungslernen hier individuell unterstützt und durch das Eigenübungsprogramm motivierend vertieft.

Gezieltes Training der Beckenbodenmuskulatur bei Belastungsinkontinenz ist effektiv und wird als Behandlungsmaßnahme in den Leitlinien mit Level of Evidence 1a, Empfehlungsgrad A, bewertet [13].

Die Erklärungsmodelle für die Beckenbodenfunktion sind geprägt durch dasWissen aus der funktionellen Anatomie, den theoretischen Modellen für operative Korrekturen und aus pathophysiologischen Erklärungsmodellen. Diese und die Einflussfaktoren für die Entstehung einer Belastungsinkontinenz sind funktionell gut verständlich und die Symptome durch Physiotherapie gut beeinflussbar [14–17].

Die Verbesserung der Koordination, der Ausdauer und der Kraft der kontinenzgebenden aktiven Strukturen können so erarbeitet werden, Synergisten mit eingebunden und Antagonisten funktionell eingepasst werden. Eine funktionsbereite Muskulatur, die auch gut relaxieren und den Tonus auf die individuellen Situationen (schweres Heben, körperliche Ruhe, gefüllte Blase, Geschlechtsverkehr …) anpassen kann, ist das Ziel (EAbb. 3, S. 22).

Die Feedbackfunktion durch die vaginal- anorektale Palpation bei der Physiotherapie wird empfohlen und von den Patientinnen als hilfreich erachtet [12]. Genau diese einzelnen Fähigkeiten werden durch vielfältige Aufträge und Spürhilfen erarbeitet und mit Bewegungen derWirbelsäule, der Hüftgelenke und aller Bewegungsabschnitte des Körpers kombi- niert. Elektrotherapie, Biofeedbackgeräte, funktioneller Ultraschall und Vibrationstherapie können diese Vorgehensweise ergänzen. Die Integration in die physiologische Haltung und die Übertragung in körperliche Belastungssituationen und den Alltag unterstützt die Physiotherapie [18–21]. Hierbei spielt auch die Erarbeitung von günstigen Positionen beim Husten, Niesen, Naseputzen und bei der Entleerung von Blase und Darm eine Rolle [22].

Auch in der Therapie der Belastungsund Urge-Inkontinenz sind Themen wie individuelle Copingstrategien, Veränderungen des Körpers in den verschiedenen Lebensphasen einer Frau sowie die Wechselwirkungen durch die sexuellen Beziehungen ständig präsent. Parallel zur Körperarbeit kann die Physiotherapie durch sensible Fragen und aktives Zuhören die Aufmerksamkeit auf mögliche Zusammenhänge und günstige oder weniger günstige Anpassungen lenken.

Wechselwirkungen mit Medikamenten, die Lebensstilberatung, die Berücksichtigung von Komorbiditäten (Apoplex, MS, M. Parkinson) lassen die Situation komplex werden und stellen auch für die Physiotherapie eine Herausforderung dar.

Die physiotherapeutische Begleitung einer Urge-Inkontinenz oder Urge- Problematik zeigt die Komplexität einer solchen Funktionsstörung auf [22–24]. Hier ist in besonderer Weise die Speicherfähigkeit der Blase irritierbar, und es zeigen die Erfahrung sowie einzelne Studien, wie sehr Bewältigungsstrategien für Drangprobleme, Entspannungsmethoden und eine reflektierende Gesprächsführung zur positiven Beeinflussung des Problems führen kann. Hier können die Patientinnen das ganz persönliche Erleben reflektieren und neu, z. B. mithilfe des Miktionsprotokolls, einordnen. Das Erkennen drangauslösender Situationen und deren behutsame Anpassung und Integration in den Alltag sind Ziel der Behandlung. Ergänzt wird dieser Veränderungsprozess mit Anregungen zur Durchblutungsverbesserung, z. B. durch passive Maßnahmen, besonders im Segment und der Brustund Lendenwirbelsäule, oder die manuelle Behandlung des Kiefergelenks. Die Physiotherapie hat hier viele Möglichkeiten der direkten und indirekten Einflussnahme über nervale, muskuläre und ligamentäre Strukturen.

Diese Einflussnahme kann auch günstig in der konservativen Therapie der verschiedenen Senkungsveränderungen wirken. Organsenkungen im kleinen Becken können durch gezielte Entlastungspositionen, Aktivierung der haltenden Strukturen, Entlastung der Bandstrukturen und Verhinderung weiterer belastendender Faktoren begleitet werden. Alltagssituationen, wie die Entleerung auf der Toilette, das Bück- und Hebeverhalten, können häufig angepasst werden, um die passiven und aktiven Strukturen nicht weiter zu belasten.

Häufig ist so die Physiotherapie die notwendige Ergänzung zur Pessartherapie und kann so Senkungsoperationen prä- und postoperativ unterstützen oder den Zeitpunkt der Operation verschieben. Letztlich kann der Patientin auch so eine Möglichkeit gegeben werden, die Symptome einzuordnen und für sich zu entscheiden, ob eine Operation – zur weiteren Verbesserung der Symptome – angestrebt wird oder nicht. Auch hier bewährt sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem überweisenden Facharzt. Dies unterstützt die Patientin in Ihrer Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Auch postoperativ hat die Physiotherapie die Möglichkeit, gemäß der Wundheilungsphasen die Funktion der Beckenstrukturen zu unterstützen und so die veränderte Körperlichkeit in das Bewegungserleben zu integrieren.

Die Autorin ist Physiotherapeutin (Physio Pelvica), Lehrkraft für Physiotherapie, Sozialtrainerin, integriert in die physiotherapeutische Arbeit Kenntnisse aus der Sexualberatung (DGFS) und Psychosomatik (DGPFG) und arbeitet in der Therapie, Prävention, Lehre und Weiterbildung. Sie ist Mitglied der AGGGUP/Physio Deutschland, der DKG und der DGPFG.

Slide „Ein bisschen Beckenbodengymnastik“ oder Gyne 04/2018 Die Physiotherapeutische Prävention und Therapie der Beckenbodendysfunktion?

Literatur

  1. Robert Koch-Institut, Statistisches Bundesamt. Harninkontinenz. Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2007; Heft 39.
  2. Franzkowiak, P. Prävention. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Hrsg. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden der Gesundheitsförderung. 4. Aufl. Schwabenheim a. d. Selz: Fachverlag Peter Sabo; 2004.
  3. Leitfaden Prävention. https://www.gkv-spitzenverband. de/krankenversicherung/praevention_ selbsthilfe_beratung/praevention_ unu_bgf/leitfaden_praevention/leitfaden_ praevention.jsp. Zugegriffen: 5.6.2018.
  4. Rolf Rosenbrock. Die Umsetzung der Ottawa Charta in Deutschland. Prävention und Gesundheitsförderung im gesellschaftlichen Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; 1998.
  5. Helferich C,Wimmer-Puchinger B. Die Bedeutung der Ottawa-Charta für die Gesundheit von Frauen. Prävention. 1996; 19 (2): 43–45.
  6. WHO. International classification of functioning, disability and health. http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/ 10665/43737/9789241547321_eng.pdf;sequence= 1. Zugegriffen: 5.6.2018.
  7. Subak LL.Weight loss to treat urinary incontinence in overweight and obese women. N Engl J Med. 2009 Jan 29; 360(5): 481–490.
  8. Steininger K, Buchbauer J. Funktionelles Kraftaufbautraining in der Rehabilitation. 5. Aufl. Urban und Fischer; 2004.
  9. Vandenboorn H, Romme K, Schellings C. Prävention in der Physiotherapie. Urban & Fischer; 2001.
  10. Hay-Smith J, Herbison P, Morkved S. Physical therapies for prevention of urinary and faecal incontinence in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2002; (2): CD003191.
  11. Gauruder-Burmester A, Kroencke T, Klink M, Tunn R. Gewichtsreduktion bei Übergewicht und Adipositas und deren Auswirkungen auf Sexualität, Harn- und Analinkontinenz, Descensus genitalis und Lebensqualität. Geburtshilfe Frauenheilk. 2007; 67: 866–872.
  12. www.urologenportal.de/fileadmin/ MDB/Images/Newsboard/Spezialisierte_ Physiotherapie_in_der_Urologie_V3.pdf.
  13. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 015005k_Belastungsinkontinenz_ 2013.pdf.
  14. Reisenauer C, et al. Interdisziplinäre S2e- Leitlinie für die Diagnostik und Therapie der Belastungsinkontinenz der Frau. Geburtsh Frauenheilkd. 2013: 1–50.
  15. Bo K, Berghmans B, Morkved S, van Kampen M, eds. Evidence-Based Physical Therapy for the Pelvic Floor. Churchill Livingstone; 2007.
  16. Dumoulin C, Hay-Smith EJ, Mac Habée- Séguin G. Pelvic floor muscle training versus no treatment, or inactive control treatments, for urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev. 2014 May 14; (5): CD005654.
  17. Dumoulin C, Hay-Smith EJ, Mac Habée- Séguin G. Pelvic floor muscle training versus no treatment, or inactive control treatments, for urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev. 2010 Jan 20; (1): CD005654.
  18. Baessler K, eds., et al. Pelvic Floor Re-education. Principles and Practice. 2. Aufl. London: Springer; 2008.
  19. Sapsford R. Rehabilitation of pelvic floor muscles utilizing trunk stabilization. Man Ther. 2004; 9 (1): 3–12.
  20. Sherburn M. Incontinence improves in older women after intensive pelvic floor muscle training: an assessor-blinded randomized controlled trial. Neurourol Urodyn. 2011 Mar; 30(3): 17–24.
  21. Sriboonreung T, et al. Effectiveness of pelvic floor muscle training in incontinent women at Maharaj Nakorn Chiang Mai Hospital: a randomized controlled trial. J Med Assoc Thai. 2011 Jan; 94(1): 1–7.
  22. Ashton-Miller JA, Delancey J. The Knack: use precisely-timed contraction can reduce leakage in SUI. Neurolurol Urodyn. 1996; 15(4): 392–393.
  23. Paterson J, Pinnock C, Marshall V. Pelvic floor exercises as a treatment for post-micturion dribble. Br J Urolog. 1997; 79(6): 892–893.
  24. Shafik A, Shafik I. Overactive bladder inhibition in response to pelvic floor muscle exercises. World J Urol. 2003 May; 20(6): 374–377.

Weiterführende Literatur:

Hsiu-Chuan H, Sheng-Mou H, Shu-Yun C, Ho- Hsiung L, Jau-Yih T. (2010) An alternative intervention for urinary incontinence: Retraining diaphragmatic, deep abdominal and pelvic floor muscle coordinated function. Z. Manual Therapie. 2010; Vol 15, Issue 3, June 2010, P. 273-

Madill, SJ,; McLean, L. (2006). Relationships between abdominal and pelvic floor muscle activation and intravaginal pressure during pelvic floor muscle contractions in health continent women. Neuroulogy and Urodynamics. 2006; 25(7): 722-730.

  1. ttgart 2012: 214–22

Gyne 03/2018 – Gynäkologische Onkologie in der Klinik – Zwischen Handeln und Halten

  • 5. August 2018
  • Gyne

Gyne 03/2018

Gynäkologische Onkologie in der Klinik – Zwischen Handeln und Halten

Autorin: Jessica Groß

 

Die Aufgabe als Kliniker in der onkologischen  Versorgung von Patientinnen  liegt primär im Bereich des medizinischen  Handels. Sinnvoll ist dies in  den Bereichen Diagnostik, Therapie  und palliative Versorgung. Oft führt  sie aber auch zu einer ärztlichen Haltung,  die wenig Raum für Emotionen  lässt. Im Gegensatz zu PsychoonkologInnen,  die in unterschiedlicher  Weise in die Versorgung der Patienten  eingebunden sind, liegt der Fokus  von ÄrztInnenn im praktischen  Diagnostizieren und Behandeln, sei  es medikamentös oder operativ. Darin  liegt sowohl eine Chance als auch  ein Risiko: Durch das körperliche Behandeln  entsteht eine besondere  Bindung zu den Patienten/innen; der  medizinische Aktivismus lässt jedoch  oft wenig Raum für Emotionen.

Psychoonkologische Versorgung 

Die psychoonkologische Betreuung  ist seit vielen Jahren im Klinikalltag  etabliert. Sie wird in erster Linie  durch speziell ausgebildete PsychoonkologInnen  geleistet. Praktiziert  wird dabei unterschiedlich: In manchen  Abteilungen begleiten die PsychoonkologInnen  die ärztlichen Visiten  und besuchen alle onkologischen  Patienten. Bei anderen behandeln  sie nur die mit Beratungswunsch  oder Patienten, bei denen  das ärztliche oder pflegerische Personal  eine Indikation sieht. Zudem  kann ein Screening auf Belastung  (Distress) mit unterschiedlichen standardisierten  Instrumenten durchgeführt  werden. Durch die Fachgesellschaften  und die S3-Leitlinien für  Brustkrebs und Psychoonkologie  wird ein standardmäßiges Screening  mit validierten Instrumenten gefordert  [1, 2]. Dieses muss für die Zertifizierung  von Brustkrebszentren  und gynäkologischen Krebszentren  nachgewiesen werden. Grundlage  für diese Vorgaben ist zum einen die  Prävalenz psychischer Belastung im  Sinne von klinisch relevanter Depression  oder Stimmungsbeeinträchtigung  bei onkologischen Krankenhauspatienten  in bis zu 40 %der Fälle  [3]. Zum anderen spielt die Evidenz  der Wirksamkeit psychoonkologischer  Interventionen, die mit messbareren  Effekten auf emotionalen  Distress und Lebensqualität assoziiert  sind, eine Rolle [4].

Dabei ist die Durchführung eines  Screenings und der Einsatz standardisierter  Messinstrumente auch in  der psychoonkologischen Fachdiskussion  umstritten: Die Evidenz, dass  Screening-Programme die Detektion  der Belastung von Patientinnen (Distress)  verbessern und dadurch ihr  Wohlbefinden steigern, ist inkonsistent  [5]. Es gibt Patienten ohne erhöhte  Distresswerte, die sich psychoonkologische  Betreuung wünschen,  während es deutlich belastete  Patientinnen ablehnen. Die Ergebnisse  von Screening-Instrumenten  sind auch davon abhängig, in  welchem Setting und von wem sie  angewendet werden. Darüber hinaus  ist bei der Diagnose von  „psychological disorders“ noch immer  unklar, welche Intervention hilfreich  ist [5]. Die Auffälligkeiten von  Patientinnen mit Mammakarzinom  in standardisierten Instrumenten  (Hornheider Fragebogen, Hospital  Anxiety and Depression Scale), das  von ihnen selbst geäußerte Bedürfnis  nach psychoonkologischer Unterstützung  sowie die Einschätzung  von ÄrztInnenn und anderen Mitgliedern  des Behandlungsteams  nach Unterstützungsbedarf, variiert  deutlich [6]. Auch in einer deutschlandweiten  Multicenterstudie von  4.020 Krebspatienten korrespondierten  die gemessenen Distresswerte  (Distress-Thermometer, Patient  Health Questionnaire) nicht mit dem  Wunsch nach psychoonkologischer  Unterstützung [7]. Die Inanspruchnahme  psychoonkologischer Unterstützung  ist darüber hinaus vom Geschlecht,  Bildungsgrad, Familienstand  und sozioökonomischen Faktoren  abhängig [7, 9]. Jüngere Frauen  mit höherer Bildung äußerten dabei  häufiger Unterstützungsbedarf und  es besteht ein deutliches Stadt-Land-  Gefälle. Menschen aus größeren  Städten erhielten insbesondere in  Krebsberatungsstellen doppelt so  häufig eine Versorgung wie Personen  aus kleineren Orten [9].

Persönliche klinische Interviews weisen  auf mehr Betroffene mit erhöhten  Distress, als durch Fragebögen  erfasst werden, hin [8]. Im Gegensatz  zu ambulanten Krebsberatungsstellen,  die die Patienten/innen  aktiv aufsuchenmüssen, konnten im  stationären Setting mehr und unterschiedlichere  Patientengruppen erreicht  werden [9].

Rolle von ÄrztInnenn 

Die professionelle psychoonkologische  Betreuung durch speziell weitergebildete  Psychologen in der Klinik  ist wichtig und hilfreich. Doch  auch die Rolle von ÄrztInnenn ist für  die emotionale Situation der Patienten/  innen zentral. Sie sind in der Regel  die wichtigsten Ansprech- und  Vertrauenspersonen im Behandlungsprozess.  Weiß et al argumentiert  zur Diskrepanz zwischen Distress  und Inanspruchnahme psychoonkologischer  Betreuung zum  Zeitpunkt der Erstdiagnose bei  Mammakarzinompatientinnen:  „Möglicherweise sind zur Zeit der  Diagnosestellung, unmittelbar vor  einem chirurgischen Eingriff, Ängste,  Sorgen und ein unspezifisches  Bedürfnis nach Erleichterung und  Unterstützung ausgeprägt, das sich  jedoch eher an die ärztlichen Behandler  richtet“ (S. 200) [10]. Zunächst  sind Distress und akute emotionale  Belastung eine normale Reaktion  auf die Krebsdiagnose „needing  understanding und support  from practioners caring for the  patient“ (S. 263) [5].

Die Bedeutung von Kommunikation  im klinischen Alltag wird von ÄrztInnenn  allerdings oft unterschätzt. Dabei  kann gute Kommunikation sogar  schlechte Medizin kompensieren:  „Selbst wenn die Behandlung gelingt,  die Kommunikation jedoch  weitgehend misslingt, werden Patienten  den Begleitern nie vergeben.  Auf der anderen Seite gilt:Wenn die  Behandlung medizinisch nicht zu einer  Besserung führt, die Kommunikation  aber gelingt, werden Patienten  uns nie vergessen und dennoch  dankbar sein“ (S. 82) [11].

Was ist für eine gelingende  Kommunikation wichtig? 

Im Kontext der normalen ärztlichen  Diagnostik und Therapie von Karzinompatienten  ist die ärztliche Haltung  im Gespräch und in der Behandlung  relevant: „Eine der zentralen  Interventionen ist dabei das empathische  und aufmerksame Zuhören“  (S. 22) [12]. Aktives Zuhören ist  durch Fragen und Rückspiegeln  im Sinne empathischer Antworten  gekennzeichnet. Anstatt sofort Erklärungen  oder Ratschläge zu liefern,  ist die Gewährung von Freiraum  für die Entwicklung und Äußerung  von Gefühlen wichtig. Dies gelingt  vor allem durch Schweigen und  Nachfragen [11].

In der psychoanalytischen Nomenklatur  kann diese Haltung, die Gewährung  dieses Freiraums und das  Aufnehmen der Gefühle des Gegenübers  als Containing bezeichnet  werden. Containing bedeutet, „diese  Gefühle auf sich wirken zu lassen,  sie nachzufühlen. Gewissermaßen  stellt sich der Helfende mit seiner  psychischen Kapazität als Aufbewahrungsort,  als Container für die  Gefühle des anderen zur Verfügung  und achtet darauf, was sie in ihm  selbst auslösen“ (S. 102) [13]. Es  werden nicht sofort Tipps oder Ratschläge  gegeben. „Das Containing-  Konzept ermöglicht es, auch dann in  Kontakt zu bleiben, wenn der Helfende  die Situation noch nicht verstanden  hat oder erkennen muss,  dass er an der Krisensituation […]  selbst nichts ändern kann“  (S.102–103) [13]. Containing von  Gefühlen und Leid bedeutet: „Sprechen  lassen, Anteilnahme, dabei  kein Herunterspielen oder Dramatisieren  der geschilderten Problematik.  Ermutigen, sogenannte negative  Gefühle wie Trauer, Schmerz, Schuld  oderWut zuzulassen und zu zeigen“  (S. 103) [13]. Dann kann es gelingen,  die Patienten bei der Konfrontation  mit der Realität zu stützen.

Das Containing geht auf den britischen  Psychoanalytiker Bion zurück,  der damit zunächst die mütterliche  Haltung gegenüber dem Säugling  beschreibt: Durch Aufnehmen der  Unlustbekundungen des Säuglings,  kann die Mutter oder Bezugsperson  diesem dabei helfen, unerträgliche  Erfahrungen allmählich in erträgliche  zu verwandeln. Containing im  lateinischem Wortsinn continere  bedeutet, „innerhalb fest fixierter  Grenzen halten, beinhalten, […], die  Kapazität besitzen etwas zu halten,  für etwas Raum, Platz oder Potential  zu haben“ (S. 68) [14]. In der Behandlungssituation  geht es darum,  die Gefühle der Patienten aufzunehmen  und ihnen dadurch zu helfen,  diese auch für sich selbst anzunehmen  und zu ertragen. Aufgabe ist  dabei die Kapazität durch die Verbindung  zwischen den beiden Persönlichkeiten  zu stärken und mentalen  Schmerz zu ertragen, bis daraus Bedeutung  erwächst. Anstatt dem  Schmerz durch Verdrängung, Projektion,  Somatisierung, Aggression  oder anderen Mechanismen auszuweichen,  kann er angenommen,  reflektiert, geträumt und gesprochen  werden. Der „Container“  schafft den Ort, „wo die werdende  Wahrheit des „Contained“ erlebt,  wahrgenommen, untersucht und  verstanden werden kann. Dieser  „Container“ ist unsere eigene Psyche,  aber auch die Psyche des anderen  imWechsel“ (S. 89) [14].

Warum gelingt das von ärztlicher Seite so schwer? 

Im ärztlichen Alltag kann und soll keine  psychoanalytische Behandlungssituation  hergestellt werden. Es geht  auch nicht darum, als klinisch tätiger  Arzt die Ansprüche an eine professionelle  Psychotherapie zu erfüllen. Eine  Beziehung findet jedoch ohnehin immer  statt: Bei jeder Begegnung im  Krankenhaus kommunizieren und  gestalten wir die Arzt-Patienten  Interaktion. Das dargestellte Konzept  des Containing liefert dabei Anregungen  für Reflektions- und Lernprozesse,  mit denen wir diese Beziehung  hilfreicher gestalten können.

Für die ärztliche Behandlungssituation  bedeutet das zunächst, den Gefühlen  und Äußerungen von Patienten  Raum zu geben. Verzweiflung,  Wut, Trauer und Hilflosigkeit dürfen  vorhanden sein. Wir sind als Behandelnde  präsent, setzen diesen Gefühlen  aber nicht unmittelbar Maßnahmen  wie Trost entgegen, um sie  zu begrenzen oder auszuschalten.  Da wir als ÄrztInnen im Alltag immer  als Aktive auf der Handlungsebene  gefordert und tätig sind, erscheint  uns das oft als „Aushalten“. Aber  auch das Halten und Bereitstellen eines  Resonanzraums ist Handeln.  Darüber hinaus bleiben wir trotzdem  diejenigen, die für die Diagnose, Sicherheit,  Operationen und dem Einsetzen  von Analgetika oder auch  Psychopharmaka zuständig sind.  Auch im Gespräch müssen wir neben  dem Resonanzraum Orientierung  bieten können. Eine große  Chance für die Arzt-Patienten-  Beziehung ist es hierbei, verschiedene  Instrumente einzusetzen und auf  mehreren Ebenen agieren zu können.  Auch im Kontext körperlicher  Beeinträchtigung durch eine Krebserkrankung  kann psychologischer  Distress unterschiedliche Erfordernisse  wie klinische Behandlungsplanung,  Symptomtherapie oder psychologische  Hilfe signalisieren [5]. Es  ist eine Herausforderung, diese Doppelrolle  aushalten und ausfüllen zu  können.

Der wahrhaftigen Kommunikation  und dem Wahrnehmen von Gefühlen  stehen sowohl unsere eigenen  Ängste, als auch der Wunsch nach  Lösung aller Probleme entgegen.  Diese Erwartung wird von außen an  uns heran getragen, aber auch als eigener  Anspruch reproduziert. „Leidende  ängstliche Patienten setzen  die Mitarbeiter dem permanenten  Druck aus, stets allwissend und omnipotent  sein zu müssen“ (S. 101) [15].  In dem daraus resultierendem Aktivismus  lassen wir schließlich nicht  ausreichend Raum für Emotionen.

Gerade in der palliativen Situation  sind wir oft, insbesondere von Angehörigen,  mit der aggressiven Aufforderung  konfrontiert: „Tun Sie doch  etwas!“. Wenn wir an dieser Stelle  nicht dem Handlungsdruck nachgeben  und Untersuchungen oder Therapien  verordnen, sondern die Aggression  aushalten und die Trauer  und Angst dahinter sehen können, ist  das eine Chance für das Gegenüber,  die eigenen Gefühle anzunehmen.

Nicht hilfreiche Situationen entstehen  meist beimVersuch Hilflosigkeit,  Verzweiflung oder andere „negative“  Gefühle zu „bekämpfen“. Ein  anderes Beispiel dafür ist der Umgang  mit Trauer und der Versuch,  Trost zu spenden. „Diese überwiegend  unbewusste und nicht offen  kommunizierte Auftragshaltung  kann auf beiden Seiten […] einen erheblichen  Stressfaktor darstellen.  Auf der einen Seite nimmt der Trauernde,  der sich berechtigterweise in  einer Situation der Untröstlichkeit  befindet, intuitiv war, dass hier eine  Veränderung und Anpassung gewünscht  und gefordert wird, was  naturgemäß zu einer Widerstandshaltung  und zum Rückzug führt. Auf  der anderen Seite spürt der vermeintliche  Tröster, dass er sich in Bezug  auf seine Zielvorstellung auf verlorenem  Posten befindet, was häufig  zu weiteren, unsäglichen Tröstungsversuchen  führt“ (S. 85) [16].

Als wichtigstes Gegenüber im Behandlungsprozess  müssen wir zwischen  der Rolle des „Containens“  und der Rolle des „Machens“ oszillieren  können. Hier liegt die Chance  für eine gelingende Kommunikation:  Wir sind nahe an den Patientinnen  und werden von ihnen gefordert, im  Kontakt präsent zu sein. Nicht nur in  der palliativen Versorgung ist es  wichtig, die Grenzen der eigenen  Möglichkeiten zu wissen [17] und  diese selbst aushalten zu können.

Diese emotionalen Fähigkeiten werden  im Studium wenig gelehrt und  auch die klinische Ausbildung ist in  der Regel nur wenig geeignet,umeigene  Gefühle wahrzunehmen und  zu reflektieren. Gute Voraussetzungen  für eigene Lernprozesse liegen  in den formalen Qualifikationsmöglichkeiten,  die im Rahmen der fachärztlichen  Weiterbildung, obligatorischer  Kurse psychosomatischer  Grundversorgung und derWeiterbildung  psychosozialer Onkologie der  Deutschen Krebsgesellschaft angeboten  werden. Diese müssen jedoch  im klinischen Alltag immer wieder  eingeübt werden. Psychologische  Supervision des ärztlichen Teams  wird bisher leider nur in wenigen Kliniken  angeboten, stellt aber eine gute  Möglichkeit zur Reflektion des eigenen  Handels und der Wahrnehmung  der eigenen Gefühle dar.  Auch außerklinische Balint-Gruppen  können hilfreich sein. Mit Fokus auf  die klinische Versorgung mit Besonderheiten  und Zwängen des stationären  Alltags sind jedoch innerhäusliche  Supervisionsangebote sinnvoll.  Unter dem Druck der Sparzwänge  und der ökonomischen Notwendigkeit  zur Fallzahlsteigerung mit möglichst  wenig Personal, ist dies sicher  eine Herausforderung, die den Leitlinien  entspricht. Patientenzentrierte  Kommunikation von ÄrztInnenn  führt zu einer höheren Zufriedenheit  und kann bzw. sollte durch gezieltes  Training erlernt werden; dies fordert  die S3-Leitlinie für Brustkrebs [1]. Im  Erhebungsbogen für Brust- und gynäkologische  Krebszentren wird die  Supervision des Teams durch Psychologen  empfohlen.

Zusammenfassung

Zur psychoonkologischen Versorgung  in Kliniken gehört der standardmäßige  Einsatz von Screening-  Instrumenten zur Frage der psychischen  Belastung von onkologischen  Patientinnen und des Interventionsbedarfes.  Dieser Einsatz ist jedoch  umstritten. Neben objektiven Messwerten  spielen die persönliche Ansprache,  das konkrete Setting und  patientenspezifische Charakteristika  für die Inanspruchnahme von psychoonkologischer  Unterstützung eine  Rolle. Darüber hinaus bleiben  ÄrztInnen die zentralen Ansprechpersonen  im klinischen Alltag. Diese  Interaktionen sind für die emotionale  Situation der Patientinnen nicht zu  unterschätzen. Gelingende Kommunikation  sollte durch empathisches  aktives Zuhören und Fragen,  anstelle von Aktivismus und Ratschlägen,  charakterisiert sein. Den  Gefühlen von Patienten Raum zu geben,  kann – unter Bezugnahme auf  das psychoanalytische Konzept des  Containing – als haltender Beziehungsprozess  verstanden werden,  der den Patienten das Spüren und  Verarbeiten von Schmerz, Trauer  und Verzweiflung erlaubt. Vor dem  Hintergrund der aktiven Haltung als  medizinisch handelnde ÄrztInnen,  erscheint dies manchmal als rein  passives Aushalten, ist jedoch ungleich  mehr und stellt eine andere  Ebene des therapeutischen Handels  dar. Es besteht sowohl die Herausforderung  als auch die Chance darin,  unseren onkologischen Patientinnen  behandelnd und begleitend zur  Seite zu stehen.Umdas ärztliche Potential  voll ausschöpfen zu können,  sind wir auf eigene Lernprozesse  durch Fortbildungen und Supervision  im klinischen Alltag angewiesen.

Slide Gynäkologische Onkologie in der Klinik – Gyne 03/2018 Zwischen Handeln und Halten

Literatur

  1. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms Kurzversion 4.0, 2017, AWMF Registernummer: 032–045OL.
  2. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten, Langversion 1.1, 2014, AWMF-Registernummer: 032/051OL.
  3. Mitchell, Alex J et al. Prevalence of depression, anxiety, and adjustment disorder in oncological, haematological, and palliativecare settings: a meta-analysis of 94 interview- based studies, The Lancet Oncology 2001; Volume 12, Issue 2, 160–174.
  4. Faller H, Schuler, Richard M, Heckl U,Weis J, Küffner R. Effects of Psycho-Oncologic Interventions on Emotional Distress and Quality of Life in Adult Patients With Cancer: Systematic Review and Meta-Analysis Journal of Clinical Oncology 2013 31:6, 782–793.
  5. Salmon P, Clark L, McGrath E, Fisher P. Screening for psychological distress in cancer: renewing the research agenda. Psychooncology. 2015 Mar; 24(3):262–8.
  6. Faller H, Olshausen B, Flentje M. Emotionale Belastung und Unterstützungsbedürfnis bei Mammakarzinompatientinnen zu Beginn der Strahlentherapie. Psychother Psych Med 2003; 53: 229–235.
  7. Faller H,Weis J, Koch U, Brähler E, Härter M, Keller M, Schulz H, Wegscheider K, Boehncke A, Hund B, Reuter K, Richard M, Sehner S, Szalai C,Wittchen HU, Mehnert A. Perceived need for psychosocial support depending on emotional distress and mental comorbidity in men and women with cancer. J Psychosom Res. 2016 Feb; 81:24–30. doi: 10.1016/j.jpsychores. 2015. 12.004. Epub 2015 Dec 15.
  8. Bonacchi A, Rossi A, Bellotti L, Franco S, Toccafondi A, Miccinesi G, Rosselli M. Assessment of psychological distress in cancer patients: a pivotal role for clinical interview. Psychooncology. 2010 Dec;19(12):1294–302.
  9. Zeissig SR, Singer S, Koch L, Blettner M, Volker A. Inanspruchnahme psychoonkologischer Versorgung im Krankenhaus und in Krebsberatungsstellen durch Brust-, Darmund Prostatakrebsüberlebende. Psychother Psychosom Med Psychol. 2015 May; 65(5):177–82.
  10. Weiß E, Stickel A, Speiser D, Keilholz U, Blohmer, J-U, Goerling U. Wer benötigt psychoonkologische Beratung? Eine Untersuchung zu psychischer Belastung, Beratungswunsch und Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung bei Patientinnen mit Brustkrebs. Frauenarzt 2017; 58: 196–201.
  11. Volkenandt M. Kommunikation mit Patienten. In: Fegg, M, Gramm J, Pestinger M (Hrsg): Psychologie und Palliative Care, Stuttgart 2012: 79–83.
  12. Pestinger M, Fegg M. Psychologische Unterstützung von Patienten in Palliative Care. In: Fegg, M, Gramm J, Pestinger M (Hrsg): Psychologie und Palliative Care, Stuttgart 2012: 20–23.
  13. Schmermer C, Vyhnalek B. Krisenintervention. In: Fegg, M, Gramm J, Pestinger M (Hrsg): Psychologie und Palliative Care, Stuttgart 2012: 101–106.
  14. Lazar RA. „Container – Contained“ und die helfende Bezieung. In: ErmannM(Hrsg): Die hilfreiche Beziehung in der Psychoanalyse, Göttingen 1993: 68–91.
  15. LeShan, L. Diagnose Krebs. Wendepunkt und Neubeginn, 4. Auflage, Stuttgart 1998.
  16. Melching H. Trauer. In: Fegg, M, Gramm J, PestingerM(Hrsg): Psychologie und Pallia-tive Care, Stuttgart 2012: 84–92.
  17. Maier BO. Organisationskonzepte stationärer Palliativversorgung. In: Fegg, M, Gramm J, PestingerM(Hrsg): Psychologie und Palliative Care, Stuttgart 2012: 214–22
An den Anfang scrollen