Gyne 02/2024 – Nichthormonelle Kontrazeption: Es wird Zeit, sich darum zu kümmern!
Gyne 02/2024
Nichthormonelle Kontrazeption: Es wird Zeit, sich darum zu kümmern!
Autorin:
C. Schumann-Doermer
Zur Einleitung
Aktuelle Umfragen belegen die Erfahrung in der gynäkologischen Praxis: Die Beliebtheit und Akzeptanz der Pille nehmen ab, die Skepsis wegen möglicher Schäden und Nebenwirkungen nimmt zu. Zwar sind Frauenärzt* innen immer noch gesuchte Ansprechpartner*innen zu Fragen der Kontrazeption, aber der Einfluss anderer Quellen, vorrangig von Social Media, steigt kontinuierlich an. Um sich gegenüber den oft einseitigen Informationen von TikTok & Co [1] behaupten und Alternativen anbieten zu können, sollten Frauenärzt*innen ihr Wissen aktualisieren, zu hormonellen wie besonders zu nichthormonellen Kontrazeptiva. Fragen, die sich stellen: Was ist für die Betroffenen so „schlimm“ an der Pille? Wie kann man mit Kondomen eine hohe kontrazeptive Effektivität erreichen? Wie wendet man ein Diaphragma an? Und vor allem: Wie erreichen wir mit unserem Wissen die Ratsuchenden?
Die folgenden Ausführungen stützen sich in weiten Teilen auf die Anfang 2024 fertiggestellte und lesenswerte AWMF-Leitlinie Nichthormonelle Empfängnisverhütung [2].
Verhütungsverhalten in Deutschland
Die aktuellen Daten zum Verhütungsverhalten Erwachsener, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) seit 2007 regelmäßig erhoben werden, belegen [3]: Der Trend „contra Pille, pro Kondom“ [4] hat weiter deutlich weiter zugenommen. Zwischen 2007 und 2023 ging der Anteil der Pillennutzung zurück von 55 % (2007) auf 38% (2023), während im gleichen Zeitraum die Kondom- Verwendung stieg von 36% (2007) auf 53% (2023). Dieser „grundlegenden Veränderung im Verhütungsverhalten liegt eine zunehmend kritische Einstellung zu hormonellen Verhütungsmethoden zugrunde“ [5]. Der Anteil der Spirale als Verhütungsmethode stieg in den letzten Jahren etwas an: Er lag bis 2018 bei konstant 10–11 %, 2023 bei 14 %. Alle übrigen Verhütungsmethoden stagnieren bei niedrigen Prozentzahlen.
Schon seit 1980 erhebt die BZgA Daten zur Sexualität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Laut der Repräsentativstudie „Jugendsexualität 9. Welle“ [6] verhüteten im Jahre 2019 73 % der Befragten beim ersten Geschlechtsverkehr mit Kondom, nur 43 % mit der Pille. Die hohe Zahl für Kondome erklärt sich auch dadurch, dass viele Kondom und Pille gleichzeitig nutzen, um sich zusätzlich gegen STI zu schützen [7]. Mit zunehmender sexueller Erfahrung nimmt bei Jugendlichen der Anteil der Pillen- Nutzung zu auf 58 %, während der der Kondomnutzung abnimmt, aber immer noch bei 50 % liegt. „Entsprechend sind Ärzt*innen aufgefordert, ihr Wissen um nicht-hormonelle Kontrazeptiva zu intensivieren“, heißt es im Vorwort der neuen Leitlinie [2].
Verhütungsberatung in der gynäkologischen Praxis I
Die offene Anamnese-Frage „Ist Verhütung ein Thema für Sie?“ öffnet die Tür für das weitere Gespräch. Die Frage signalisiert Interesse für die aktuelle Lebenssituation: Leben als Single? In einer lesbischen oder in einer heterosexuellen Beziehung? Kinderwunsch? Verhütung temporär oder längerfristig gewünscht? Weitere offene Fragen können sich anschließen: „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Methode? Was ist Ihnen wichtig bei einer Verhütungsmethode?“ Das impliziert: Die „ideale Methode für jede/n“ gibt es nicht. Es geht um das Abwägen von Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Methode und um eventuellen zusätzlichen Nutzen. Nicht selten kommen spontan Äußerungen wie: „Die Pille ist ja eine richtige Hormonbombe, die nehme ich auf keinen Fall (weiter)“. Das kann ein Trigger sein für manche Frauenärzt*innen, der ärgerliche Ablehnung provoziert: „Das ist doch Quatsch, wer hat Ihnen denn das gesagt?“ Folge: Ende des Gesprächs.
Exkurs Pille (Kombinationspräparate)
Die Pille greift massiv ein in den hormonellen Kreislauf. Und das ist gewollt: Durch den über Wochen konstanten Östrogen-Gestagen-Spiegel werden FSH und LH gehemmt und damit der Eisprung verhindert. Darauf beruht die hohe kontrazeptive Sicherheit.
Aber: Die Unterdrückung der Hypothalamus- Hypophysen-Gonaden-Achse (HHGA) kann neben der Verhinderung des Eisprungs auch andere Auswirkungen haben. Die Ergebnisse der Neuro-Psycho-Endokrinologie weisen darauf hin, wie im Körper alles mit allem verzahnt ist im Sinn einer psychohormonellen Regulation. In der Fachinformation steht nicht umsonst als häufige Nebenwirkung „Stimmungsschwankungen, einschließlich Depression; Änderungen der Libido.“
Zur Auswirkung auf die Libido gibt es keine eindeutigen Ergebnisse, sowohl positive wie negative werden in Studien beschrieben [8]. Zu den psychischen Auswirkungen hat eine dänische Studie vor Jahren neue beunruhigende Daten geliefert: Diese große Kohortenstudie [9] verwies auf den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Kombinationspräparaten und depressiven Veränderungen, gerade bei Jüngeren. Eine Erhöhung der Suizidrate wurde beobachtet. Seit 2019 wurde der Fachinformation zur Pille entsprechend als Warnhinweis eingefügt: „Depressive Verstimmung und Depression stellen bei der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva allgemein bekannte Nebenwirkungen dar […] Depressionen können schwerwiegend sein und sind ein allgemein bekannter Risikofaktor für suizidales Verhalten und Suizid.“
Länger und allgemein bekannt ist das erhöhte Thrombose-Risiko unter kombinierten Kontrazeptiva, das laut aktueller BfAM-Information [10] unverändert gilt, abhängig von der Östrogen/Gestagen Kombination. Ebenfalls unverändert haben die „älteren“ LNG-haltigen Kontrazeptiva das niedrigste Thrombose-Risiko, wichtig gerade für die Erst-Verordnung: Viele Frauen bleiben über Jahre bei ihrer ersten Pille.
Die Pille hat aber wie bekannt auch viele Vorteile: Die positiven Nebeneffekte vor allem auf die Menstruation, aber auch auf Haut und Haare werden von vielen Anwenderinnen geschätzt. Und die Methodensicherheit ist hoch; sie verspricht eine fast 100%-ige kontrazeptive Effektivität.
Verhütungssicherheit: Der Unterschied zwischen „perfect use“ und „typical use“
Fast alle Methoden der Kontrazeption hängen von den Anwendenden ab, das heißt davon, ob Pille/ Kondom/ NFP immer konsequent und richtig genutzt werden („perfect use“ / Methodensicherheit), oder ob es, wie im Alltag üblich, Lücken oder Fehler gibt („typical use“ / Gebrauchssicherheit) (▶ Tab. 1). Die früher übliche kontrazeptive Beurteilung nach dem sog. Pearl-Index wurde abgelöst durch Life-Table-Berechnungen. Der kumulative Life-Table-Wert nach 13 Zyklen entspricht der Schwangerschaftsrate pro 100 Frauen in einem Jahr.
Beispiel Pille: Die Methodensicherheit, d.h. die Versagerrate, liegt bei 0,3 Schwangerschaften/100 Frauen. Bei typical use steigt die Rate aber auf 2–8 %. Diese deutlich schlechtere Effektivität „im Alltag“ ist vielen nicht präsent, Anwenderinnen wir Ärzt*innen. Woher kommt das? Das größte Problem ist das „Vergessen“, das „Nicht-Mitnehmen zur Auswärts-Übernachtung“, seltener sind Erbrechen/ Durchfall [11].
Beim Kondom, dem bevorzugten Verhütungsmittel gerade bei Jüngeren, ist die Versagerrate bei perfect use mit 2 % recht niedrig, für viele verblüffend. Die Zahlen für den typical use sind deutlich schlechter, da werden in Studien bis 13 % ungewollte Schwangerschaften angegeben. Hauptgrund sind die Anwendungsprobleme. Laut dem Factsheet Kondom aus der BZgA-Erhebung zur Jugendsexualität [7] geben 32 % der Befragten 14- bis 25-Jährigen an, dass das Kondom schon einmal geplatzt oder gerissen sei, bei 21 % war es schon einmal abgerutscht, 32 % hatten Probleme beim Überrollen, bei 28 % war das Produkt zu klein, bei 6 % zu groß. Ein weiteres Problem: Das (eigentlich zur Verhütung geplante) Kondom wird weggelassen, um den sexuellen Genuss nicht zu stören oder weil die Erektion nachlässt. Die Zahlen zwischen perfect und typical use klaffen bei den weiblichen Barriere-Methoden noch weiter auseinander, wobei die Studienlage dazu begrenzt ist.
Verhütungsberatung II
Die Ablehnung der Pille als „Hormonphobie“ einzelner zu entwerten, geht an der Realität vorbei. Die Skepsis gegenüber der Pille hat teilweise gute Gründe, wie oben dargelegt. Der Aussage „Verhütung mit der Pille oder Hormonen in anderer Form hat negative Auswirkungen auf Körper und Seele“ stimmten 2023 fast Zweidrittel (61 %) der Befragten zu, 2018 war es knapp die Hälfte (48 %) [3]. Bagatellisierung im Gespräch bringt nicht weiter. Das Ernstnehmen der Bedenken ist der Einstieg in die Beratung, und dann die differenzierte Klärung: Worauf beruht die Ablehnung? Eigene Erfahrung? Freundeskreis? Informationen aus Social Media? Im Weiteren geht es um die Klärung der Fakten: Was ist wissenschaftlich belegt an Nachteilen wie auch an Vorteilen?
Unabhängig von wissenschaftlicher Evidenz können subjektive Erfahrung und Einschätzung für die Entscheidung entscheidend sein. Es geht um die Wichtigkeit von Sicherheit, um Vorerkrankungen, mögliche Nebenwirkungen, um die Lebenssituation und -erfahrung, um den Einfluss auf Sexualität, die Kosten. Das „Sortieren der Argumente“ und eine entsprechende ärztliche Positionierung kann ein wichtiger Faktor sein für die Entscheidungsfindung. Ein Beispiel: Für eine gewissenhafte 16-Jährige mit hohem Sicherheitsbedarf und (noch) wenig sexueller Erfahrung kann die Pille die aktuell „richtige“ Methode sein, die sie maximal schützt, beim Sex nicht stört und zusätzlich die Dysmenorrhoe mindert. Es ist wichtig, als Ärztin die Meinung von Influencerinnen zu problematisieren und Mut zu machen für eigene Erfahrungen. Mit dem Angebot, gerne wiederzukommen für ein nächstes Gespräch.
Gut läuft die Beratung, wenn die Frage kommt: „Und was gibt es sonst noch außer der Pille, was können Sie mir empfehlen?“ Um das Pro und Contra dieser Methoden und um Überlegungen, zu wem wann welche Methode passen könnte, geht es im Folgenden.
Nichthormonelle Kontrazeption: Konfusion der Gefühle
Bei allen Verhütungsmethoden, die ohne Hormone auskommen, geht es darum zu verhindern, dass Eizelle und Spermium aufeinandertreffen. Die meisten werden nur situativ beim sexuellen Kontakt angewandt: Kondom, Diaphragma, Coitus interruptus. Das bedeutet: Vernunft („Ich will kein Kind zeugen/empfangen“) trifft auf Emotionalität („Ich bin erregt, auf Wolke 7, will sexuelle Lust, Vereinigung, Orgasmus“). Diese Gefühlsdiskrepanz hat einen hohen Anteil an der Diskrepanz zwischen Methodenund Gebrauchssicherheit: Sex ist nicht vernünftig, die Emotionalität kann den kühlen Kopf vernebeln. Dazu kommt, dass die Barriere-Methoden stören (können) beim Sex. Diese Thematik aktiv anzusprechen ist ein ganz zentraler Aspekt bei der Beratung.
Eine Sonderstellung unter den Kontrazeptiva hat die Spirale: Es gibt nach Einlage keinen „Anwender*in- Fehler“, sie stört nicht beim Sex, deshalb sind typical use und perfect use identisch. Und auch die NFP (natürliche Familienplanung) hat eine Sonderstellung: Gebrauchs- und Methodensicherheit sind zumindest bei der Anwendung „Sensiplan“ hoch, die Differenz dazwischen klein. Das verwundert auf den ersten Blick. Verständlich wird es mit Blick darauf, dass die Methode einen Lern- und Entscheidungsprozess eines Paares voraussetzt, der zu einer konsequenten Anwendung der „periodischen Enthaltsamkeit“ führt. Die Gefühlkonfusion ist geringer, wenn nicht beim Sex, sondern schon vorher die Entscheidung gefällt ist und von beiden (!) getragen wird.
Kondome: Die von vielen bevorzugte Alternative
Die Zahlen lassen keinen Zweifel: Die Mehrheit in Deutschland verlässt sich bei der Verhütung auf Kondome [3]. Und das ist prinzipiell keine schlechte Entscheidung: Die Methodensicherheit ist mit 2 % hoch (▶ Tab. 1) Dazu kommt als weiterer Vorteil der sichere Schutz vor HIV und anderen STI. Allerdings fallen die Zahlen für den typical use mit 13 % viel schlechter aus. Das kann bedeuten: viele ungewollte Schwangerschaften. Auf dem FOKO 2024 in Düsseldorf wurde von Experten im Rahmen eines (pharmagesponserten) Lunch-Symposium deshalb schon eine „Lawine der Abbrüche“ an die Wand gemalt und die noch intensivere Beratung pro Pille propagiert. Wirkt das? Was ist die Alternative?
Die Entscheidung für Kondome sollten Frauenärzt*innen ernst nehmen und nicht abwerten. Die Ratsuchenden, Männer wie Frauen (!), sollten darin unterstützt werden, Anwendungsfehler zu reduzieren, um über die Entwicklung vom typical use Richtung perfect use ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Bei der Beratung sind folgende Themen besonders wichtig:
- Kondome IMMER nutzen (auch wenn subjektiv die Einschätzung besteht, es könne z. B. perimenstruell „eigentlich“ keine Schwangerschaft eintreten)
- das richtige Kondom aussuchen (Größe, Qualität,)
- die Anwendung lernen und „üben“ [z. B. 12]
- mögliche Auswirkung auf die Sexualität ansprechen („weniger Gefühl“ / Scham beim Anlegen / (Sorge vor) Nachlassen der Erektion)
Kondome werden überwiegend aus Latex hergestellt. Bei Latexallergie stehen latexfreie Kondome zur Verfügung, die nach Studienlage ähnlich sicher schützen. Es gibt Kondome in verschiedenen Größen und Passformen. Männer können die Größe (=Umfang) ihres erigierten Penis selbst messen mit einem dafür entwickelten Maßband, z. B. dem Kondometer der BZgA, um das passende Kondom zu kaufen. Die richtige Größe hat Einfluss auf den „guten Sitz“, d.h. sie schützt vor Platzen oder Abrutschen und erhöht den Tragekomfort. Ein „gut-sitzendes“ Kondom wird eher benutzt als ein zu enges oder zu weites! Zwei Kondome übereinander zu verwenden erhöht die Sicherheit nicht. Falls es zu einem „Kondom-Unfall“ kommt, kann die Pille danach eine Konzeption verhindern.
Wichtig für die Qualität ist das CE-Prüfkennzeichen. Die etwa 5-jährige Haltbarkeit von Kondomen hängt von der Qualität und von ihrer Lagerung ab: Hitze, starke Sonne und Druck/Reibung (z.B. in der Hosentasche) vertragen Kondome nicht. Bei trockener Scheide kann ein Gleitgel verwendet werden, das auf Wasseroder Silikonöl-Basis hergestellt sein muss. Das scheint auch die Gefahr des Reißens zu verringern. Gels oder auch vaginal applizierte Medikamente auf fettlöslicher Basis können die Latexmembran porös machen. Klar ist: Eine nahezu 100%-ige kontrazeptive Sicherheit wie mit Spirale oder Pille ist mit Kondomen nicht zu erreichen. Wenn Mann und Frau ins Gespräch kommen über Kondome, Anwendung und Sex, können sie damit aber durchaus einen effektiven kontrazeptiven Schutz erreichen.
Spirale: Sichere langfristige Verhütung
Eine Kupferspirale kann die Methode der Wahl sein für Frauen, die dauerhaft kein Kind haben und nicht jeden Tag an Verhütung denken wollen. Das gilt auch für Frauen, die noch kein Kind geboren haben. Der Vorteil: Kein Einfluss auf den Zyklus. Der Nachteil (für manche): Ein „Fremdkörper“ in der Gebärmutter, außerdem häufig verstärkte und verlängerte Blutung. Unabhängig von der Spiralen-Form ist die Kupfermenge (Kupferoberfläche mindestens 300 qmm) entscheidend für die kontrazeptive Effektivität. Das Risiko für aufsteigende Infektionen ist in den ersten Wochen nach der Insertion erhöht, entsprechend sollte die Spirale bei bestehendem Kontrazeptionswunsch möglichst lange (je nach Herstellerangaben) belassen werden. Einzelheiten zur Wirkung, Einlage, zur Lage- Kontrolle und zu den verschiedenen Modellen (Cu-Kette, -Ball, auch zur LNG-Spirale) werden in der LL Nichthormonelle Empfängnisverhütung [2] ausführlich erörtert. Da die Spirale zu den gynäkologischen Standardthemen gehört, wird hier nicht näher darauf eingegangen.
Diaphragma/Portiokappe: Barrieremethoden für Frauen mit gutem Körpergefühl
Beide Methoden haben einen Vorteil gemeinsam: Sie können schon einige Stunden vor dem Geschlechtsverkehr „in situ“ gebracht werden, damit stören sie weniger beim Sex. Und sie haben außerdem gemeinsam, dass Frauen sich selbst „anfassen“ müssen, dass sie ihr Inneres kennenlernen und dass sie „üben“ müssen, um die Barriere richtig anzubringen. Das kann für manche unangenehm sein und mag dazu beitragen, dass die Methoden kaum angewendet werden. Es gibt aber Hinweise aus Workshops und Beratungsstellen, dass die Methoden von einer jüngeren Generation, die z. B. Menstruationstassen nutzt, zunehmend gefragt werden. In den Statistiken lässt sich das (noch) nicht belegen.
Eine weitere Gemeinsamkeit: Zur Verhütungs-Sicherheit der aktuell erhaltbaren Modelle liegen nur wenige bzw. keine randomisierten Studien von guter Qualität vor. Da besteht dringend Forschungsbedarf, wenn man ernst nimmt, dass Frauen sich selbst vor Empfängnis schützen wollen ohne hormonellen Eingriff. Die Methodensicherheit liegt beim Diaphragma zwischen 4 und 14 %, für die Portiokappe gibt es keine verlässlichen Angaben. Die Gebrauchssicherheit liegt deutlich unter der Methodensicherheit: Für das Diaphragma kann eine Schwangerschaftsrate von 12–18 % angenommen werden, für die Portiokappe 14–16 % [2].
Das Diaphragma (D.) ist eine schalenförmige Barriere aus Silikon, die sich zwischen hinterem Vaginalgewölbe und Urethralnische segelfömig ausspannt. In Deutschland sind 2 Varianten auf dem Markt: Caya® (oval, Einheitsgröße 75×67 mm), und Singa® (rund, Durchmesser 60–90 mm). Es sollte das größtmögliche D. ausgesucht werden, das ohne Druckgefühl getragen werden kann. Vor dem Einsetzen soll auf die Innenseite des D. und auf den Rand ein kontrazeptiv-wirkendes Gel aufgetragen werden. Gels gibt es auf Milchsäurebasis (motilitätshemmend) oder mit einem Spermizid (Nonoxynol 2 %). Die Anwenderin muss nach dem Einsetzen mit dem Finger ihre von der Membran bedeckte Portio tasten können, um sicher zu sein, dass das Diaphragma richtig sitzt. Laut Studien erhöhen die Beratung und Anpassung durch eine Fachkraft die Sicherheit der Methode. Nach dem Sexualverkehr muss das D. noch mindestens 6 Stunden in der Scheide belassen werden, damit alle Spermien ihre Motilität verloren haben. (Im Gegensatz zum intrauterinen Milieu, in dem Spermien bis zu 5 Tage überleben können, sterben sie im sauren Milieu der Scheide schneller ab.)
Die Portiokappe ist in Deutschland nicht mehr auf dem Markt, mangels Nachfrage, kann aber aus England bezogen werden (Femcap®, Material Silikon, Größe 22mm / 26 mm / 30mm). Das Prinzip: Sie wird passgenau auf die Portio gestülpt, saugt sich dort fest und verhindert die Aszension von Spermien. Ebenso wie das D. muss eine Portiokappe mindestens 6 Stunden nach dem Verkehr in situ belassen werden, sie kann aber auch bis zu 48 Stunden liegen bleiben. Da die Portiokappe beim Sex dislozieren kann, wird empfohlen, den Sitz direkt „danach“ zu kontrollieren. Die Pille danach kann dann indiziert sein, ähnlich wie beim Kondom.
Vaginales Kondom: Schützt Frauen vor Schwangerschaft und vor STI
Das Frauenkondom ist ein hauchdünner, mit Gleitmittel befeuchteter Schlauch, der nach dem Einsetzen die Scheide innen völlig auskleidet. An dem geschlossenen Ende, das von der Frau tief in die Vagina eingeführt wird, befindet sich ein Ring oder Schwämmchen. Das andere offene Ende liegt mithilfe eines runden oder dreieckförmigen Rings locker auf den Labien. Es gibt nur eine Einheitsgröße. Die Anwendung ist schon Stunden „davor“ möglich, sie erklärt sich von selbst und verlangt wenig Übung. Beim Einführen des Penis sollte der äußere Ring zur Sicherheit auf den Labien festgehalten werden, damit der Penis tatsächlich in die Hülle und nicht „daneben“ landet. Nach dem Sex sollte das Kondom möglichst noch im Liegen entfernt werden, um zu verhindern, dass doch noch Ejakulat in die Scheide gelangt. Was dafür spricht: Mit dem vaginalen Kondom können sich Frauen selbstständig nicht nur vor Schwangerschaft schützen (bei perfect use Versagerrate 5 %), sondern ähnlich sicher wie mit dem üblichen Kondom auch vor HIV und anderen STI. Es kann schon Stunden vor dem Sex eingelegt werden und hat keinen Einfluss auf die männliche Erektion. Dagegen sprechen der relativ hohe Preis (ca. 3–4 €/ Stück) und eine gewisse „Umständlichkeit“ in der Handhabung (bei typical use Versagerrate 21 %). Insgesamt ist es in Deutschland wenig bekannt und wird selten genutzt, kann aber für bestimmte Lebenssituationen eine sinnvolle Alternative sein. Tipp an die Kolleginnen: Nehmen Sie ein Frauenkondom in die Hand, versuchen Sie ein Diaphragma selbst einzuführen. Das verändert die Beratung.
Natürliche Familienplanung (NFP): Natürlich Sicher für Geschulte
Unter NFP versteht man alle Methoden, die mithilfe der Bestimmung des fertilen Fensters die Konzeptionswahrscheinlichkeit bestimmen. Dafür werden physiologische Veränderungen beobachtet und interpretiert. Die verschiedenen Zyklusparameter (u. a. Basaltemperatur, Zervixschleim) und deren Auswertung und die darauf basierenden Methoden werden ausführlich in der Leitlinie dargestellt [2]. Je nach NFP-Methode liegt die Methodensicherheit zwischen 0,4–6,3 % und die Gebrauchssicherheit zwischen 1,8–30 %.
Die Methode Sensiplan® gilt als die am meisten untersuchte und validierte symptothermale Methode. Dabei werden nach präzisen Regeln die prä- und postovulatorische infertile Phase bestimmt. Die Methodensicherheit von Sensiplan liegt bei 0,4 %, die Gebrauchssicherheit bei 1,8 % – allerdings unter der Voraussetzung, dass ein einführender Schulungs- oder Beratungsprozess durchlaufen wurde, für den es bundesweit zertifizierte Berater*innen gibt. NFP (speziell Sensiplan®) ist gut für Erwachsene, die bereit sind, die Fertilitätszeichen der Frau zu erkunden, viel über das Fertilitätsfenster zu lernen und sich gewissenhaft danach zu richten. Sie passt nicht zu allen – aber wenn sie passt, kann das ideal sein. Zur Unterstützung können Apps genutzt werden, z. B. myNFP®.
Coitus interruptus: Besser als nichts
Das rechtzeitige Herausziehen des Penis aus der Vagina mit Ejakulation außerhalb gilt nicht als „richtige“ Verhütungsmethode, sollte entsprechend auch nicht von Fachleuten empfohlen werden – wird aber angewandt. Geübte Paare berichten von einer hohen Verhütungssicherheit. Laut einer amerikanischen Studie liegt die Gebrauchssicherheit bei 20 %. Studien mit belastbaren Zahlen zum perfect use liegen nicht vor.
Sterilisation: Endgültige Sicherheit
Verfahren zur Sterilisation sind sehr sicher. Sie sind aber eben auch endgültig und dadurch sehr eingreifend. Entsprechend sind eine besonders sorgfältige Aufklärung und die Erläuterung von alternativen Verhütungsmethoden vor dem operativen Eingriff erforderlich. Hormonelle Auswirkungen sind weder bei Frauen noch bei Männern postoperativ zu erwarten. Der objektiv entscheidende Unterschied zwischen der weiblichen und der männlichen Sterilisation besteht, wie bekannt, in der geringeren Invasität bei Männern im Vergleich zu Frauen und damit verbunden geringeren Komplikationsraten.
Es gibt immer wieder Berichte von Ratsuchenden, dass ihnen eine Sterilisation „verweigert“ worden sei. Wichtig: Auch aus juristischer Sicht stellen Nulliparität bzw. Kinderlosigkeit oder das Alter keine Kontraindikation dar für die Durchführung einer Sterilisation. Zu konkreten Fragen wird auf die LL Nichthormonelle Empfängnisverhütung [2] verwiesen, in der die unterschiedlichen OP-Methoden, die Effektivität, die Frage des späteren „Bereuens“ und der möglichen Reversibilität, die gesetzlichen Bestimmungen auch mit Blick auf einwilligungs- bzw. urteilsunfähige Menschen, die Auswirkungen auf die Sexualität, die Komplikationen und gesundheitlichen Risiken ausführlich erörtert werden.
Fazit
Die Pille, in den 70-er Jahren als „Befreiung von der Angst vor ungewollter Schwangerschaft“ von Feministinnen gefeiert, wurde von der Ärzteschaft zunächst argwöhnisch beobachtet. Sie schien dann aus gynäkologischer Sicht wegen der hohen Effektivität lange das Non-plus-ultra für Empfängnisverhütung. Es wurde gefeilt an Dosis und Wirkstoffen, aber nicht am Prinzip. Was die dauerhafte Unterdrückung des Zyklus bedeutet, körperlich und psychisch, wurde wenig beachtet. Nichthormonelle Kontrazeptiva gerieten aus dem Blickfeld der Fachwelt. Natürlich ist die „Sicherheit“ ein zentraler Faktor bei einem Kontrazeptivum, aber eben nicht der einzige: Darauf weist die Veränderung des kontrazeptiven Verhaltens eindrücklich hin. „Die Auswahlkritierien und die Bewertung, was mit Blick auf die Verhinderung einer Schwangerschaft wichtig und akzeptabel ist, können sich im Laufe des Lebens verändern“ [2]. Frauenärzt* innen, die ihre Patient*innen oft über viele Jahre begleiten, sind auch aus diesem Grund prädestiniert für die individuelle Kontrazeptionsberatung. Zusätzlich zur kommunikativen Professionalität ist Fachwissen zu allen, besonders auch zu den nichthormonellen Methoden erforderlich, um weiter dem Beratungsbedarf gerecht zu werden. Nur so ist das Ziel zu erreichen: Ratsuchende kompetent zu machen für die Themen Zeugung, Empfängnis und Verhütung, um so möglichst viele ungewollte Schwangerschaften zu verhindern.
Zusammenfassung
Der Trend geht in Richtung „contra Pille, pro Kondom“, wie Umfragen und Studien zur Verhütungspraxis in Deutschland zeigen. Insbesondere bei jungen Menschen ist die Nutzung von Kondomen beim ersten Geschlechtsverkehr verbreitet. Frauenärzt*innen müssen ihr Wissen über nichthormonelle Kontrazeptiva auffrischen, auch um den steigenden Einfluss von Social Media zu kontern. Nichthormonelle Verhütungsmethoden wie Kondome, Spiralen, Diaphragmen und natürliche Familienplanung bieten Alternativen mit unterschiedlichen Sicherheitsprofilen und Anwendungsmodalitäten. Die Beratung in der Praxis spielt eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der am besten geeigneten Methode für jede Patient*in.
Schlüsselwörter: Nichthormonelle Kontrazeption, Verhütungsverhalten, Verhütungsberatung
Summary
Non-Hormonal Contraception: Time to Address the Issue! C. Schumann-Doermer Surveys and studies on contraceptive practice in Germany show that the trend is „against the pill, in favour of condoms“. The use of condoms during first sexual intercourse is particularly widespread among young people. Gynaecologists need to refresh their knowledge about non-hormonal contraceptives, also to counter the increasing influence of social media. Non-hormonal contraceptive methods such as condoms, IUDs, diaphragms and natural family planning offer alternatives with different safety profiles and application modalities. In-practice counselling plays a crucial role in selecting the most suitable method for each patient.
Keywords: Non-hormonal contraception, contraceptive behaviour, contraceptive counselling
Korrespondenzadresse: Dr. med. Claudia Schumann-Doermer Frauenärztin / Psychotherapeutin claudiaschumann@t-online.de
Interessenkonflikt: Die Autorin war Mitautorin der Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung und der LL Nicht-hormonelle Empfängnisverhütung.