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Gyne 01/2024

Die genderinklusive gynäkologische Praxis

Autorinnen:

J. Maeffert, L. Kühn, S. Osborn

Terminologie und Prävalenz

Eine Geschlechtsinkongruenz liegt vor, wenn die eigene erlebte Geschlechtsidentität bzw. -zugehörigkeit nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Zur Selbstbeschreibung nutzen diese Menschen das Wort „trans”. Trans Personen können sich dabei innerhalb oder jenseits der normativen Zwei-Geschlechter-Norm (Geschlechterbinarität) verorten [1]. Die Angaben zur Prävalenz schwanken je nach Publikation und reichen von 0,01–5 % [2]. In Bevölkerungsstichproben geben 2–4,5 % aller Personen eine gewisse Ambivalenz gegenüber ihrem zugewiesenen Geschlecht an, in Stichproben aus Kliniken mit geschlechtsangleichenden Behandlungen und Angaben zu Personenstandsänderung liegt die Prävalenz bei etwa 4–9/100.000 [3].

Die Geschlechtsinkongruenz maskulin zu feminin ist etwa doppelt so hoch wie feminin zu maskulin [3]. Etwa ein Drittel aller trans Personen befinden sich im nicht-binären Spektrum [3]. Nicht immer, aber sehr häufig, führt eine Geschlechtsinkongruenz zu einem Leidensdruck. Dies wird dann als Geschlechtsdysphorie bezeichnet [1]. Eine Geschlechtsdysphorie kann durch körpermodifizierende (auch geschlechtsangleichende) Maßnahmen signifikant verbessert werden [2, 4].


Infobox:

Begriffserklärungen

trans: Sammelbegriff für alle Personen, deren Geschlechtsidentität nicht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht. Trans wird als Adjektiv oder Präfix verwendet, also z.B. trans Frau, trans Mann. Trans Personen können binär und nicht-binär sein.

cis: Die Geschlechtsidentität stimmt dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht überein. Cis stellt somit das Gegenstück zum Begriff trans dar und wird ebenfalls als Adjektiv bzw. Präfix genutzt, z. B. cis Frau, cis Mann. Die Präfixe cis und trans geben keine Hinweise auf die sexuelle Orientierung.

nicht-binär: Personen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem einordnen, sich also weder weiblich noch männlich identifizieren. Sie können beispielsweise agender, bigender oder genderfluid sein. Mögliche nicht-binären Pronomen sind z. B. they/them, dey/denen.

Geschlechtsdysphorie: Geschlechtsinkongruenz, die zu einem Leidensdruck führt

misgendern: Wenn Menschen nicht mit den gewünschten Pronomen oder der gewünschten Anrede angesprochen werden. Dies kann Gefühle der Geschlechtsdysphorie auslösen bzw. verstärken.

Passing: Wenn eine Person von außen oder der Gesellschaft als das Geschlecht wahrgenommen wird (z. B. durch die Verwendung der korrekten Anrede), mit der sie sich identifiziert.

Transition: Prozess von Änderungen, um die Geschlechtsidentität auszudrücken. Welche Änderungen erwünscht sind und (in welchem Zeitraum) vorgenommen werden, ist sehr individuell. Mögliche Änderungen können z. B. sein: Veränderung des Kleidungsstils oder Frisur, Stimmtraining, Hormontherapien, Operationen, Namen- oder Personenstandsänderung.

Geschlechtsangleichende Behandlungen

Endokrinologisch (Hormontherapie) – z. B Testosteron/Östrogensuppression, Antiandrogene/Progesteron/Östrogensubstitution
Chirurgisch – z. B. Mastektomie, Hysterektomie, Neovagina, Penoidaufbau
Dermatologisch – z. B. Haarentfernung (Laser-, Nadelepilation)
Logopädisch – z. B. Stimmveränderung


Unterversorgung in der Gynäkologie

Es ist davon auszugehen, dass bei medizinischen Fachkräften, auch in der Gynäkologie, ein Mangel an Wissen um das Thema trans besteht. Diese Wissenslücke führt zur Stigmatisierung und Unterversorgung der Personengruppe [2]. Trans und nicht-binäre Personen erleben im Gesundheitssystem häufig grenzüberschreitende Situationen, in denen sie sich z. B. erklären müssen und/oder misgendert werden. Im Fachbereich der Gynäkologie und Geburtshilfe kommt hinzu, dass es sich teilweise um gesundheitliche Belange und Untersuchungen handelt, die als sehr intim oder entblößend empfunden werden oder mit Schmerzen oder Gefühlen der Scham verbunden sein können. Wurden bereits schlechte Erfahrungen gemacht, werden weitere Untersuchungen und Besuche gemieden [6]. Diskriminierung – egal ob bewusst oder unbewusst – führt im Gesundheitssystem zu schädigenden Effekten wie Unterversorgung, Fehlbehandlungen und Chronifizierungen bestehender Krankheiten.

Trans Personen sind, wie andere Minderheiten auch, von einer erhöhten Stressbelastung betroffen (Minderheitenstress) [5]. Sie sind gegenüber cis Personen häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen. So geben Studien bei 60 % der Personen affektive Störungen und Angststörungen an und bei 30 % Substanzmissbrauch. Auch kommen Essstörungen und Gewalterfahrungen häufiger vor [2, 3] und ein erhöhtes Risiko für stressassoziierte Krankheiten wie Herzkrankheiten, Migräne, Asthma und Rückenschmerzen [2].

Die psychische Belastung kann verringert werden, indem Identität und mögliche individuelle Bedürfnisse (z. B. in der Behandlungssituation) anerkannt und respektiert werden sowie die notwendige Versorgung gewährleistet wird, ohne sie in Frage zu stellen. Im Folgenden werden Möglichkeiten aufgezeigt, vom ersten Kontakt bis zur Untersuchung, auf die besonderen Bedarfe einzugehen. Dabei bedarf es die Mitarbeit und Unterstützung des gesamten Praxispersonals

Kontakt

Webseite Die Webseite ist eine gute erste Möglichkeit, um eine akzeptierende Haltung und Wertschätzung zu vermitteln. Dort kann zum Beispiel stehen: „Selbstverständlich sind alle Lebens- und Liebesformen und alle Familienmodelle bei uns in der Praxis willkommen”, „Wir achten darauf, alle Personen mit den richtigen Pronomen anzusprechen” oder „Bitte teilen Sie uns mit, mit welchem Pronomen wir Sie ansprechen sollen“.

Terminvergabe Eine diskriminierungssensible Terminvergabe bedeutet, mehrere Möglichkeiten der Terminvereinbarung (z. B. telefonisch, per Mail, online) anzubieten. Dabei sollte das gesamte Team geschult sein, dass allein aufgrund bestimmter Merkmale (z. B. Stimme, Name) kein Rückschluss auf eine Geschlechtsidentität möglich ist. Somit sollten gleich vom ersten Kontakt an genannte Anreden verwendet und unnötige Nachfragen vermieden werden. Manche trans und nicht-binäre Personen möchten Telefonkontakte lieber ganz vermeiden. Hier sind Online-Termin- Systeme sehr hilfreich, die zudem die Möglichkeit bieten, Geschlechtseinträge oder Anreden direkt anzugeben und Raum für weitere Notizen zu schaffen.

Anamnesebogen Eine einfach durchzuführende Maßnahme ist die Abfrage nach der gewünschten Anrede oder dem Pronomen auf dem Anamnesebogen. Die Ansprache als „Patient*innen” wird unserer Erfahrung nach von vielen trans und nicht-binären Personen als sehr wichtig empfunden. Falls der Vorname von dem Namen auf der Gesundheitskarte abweicht, z. B. weil es (noch) keine Personenstandsänderung gab, sollte dies in der Krankenakte vermerkt werden. Häufig gibt es in der Praxissoftware die Möglichkeit, das Geschlecht und den Namen manuell anzupassen. Es sollte in diesem Fall mit dem*der Patient*in besprochen werden, welche(r) Vorname(n) auf Rezepten, Überweisungen oder Dokumenten erscheinen soll, um ggf. ein nicht gewünschtes Outing zu vermeiden [5]. Falls aufgrund der Praxissoftware auf einigen Dokumenten keine Änderung des Vornamens möglich ist, sollte dies erklärt werden.

Auch bei anderen Fragen auf dem Anamnesebogen ist es leicht, genderinklusive Formulierungen zu verwenden, z. B.: „Haben Sie eine Menstruation?”, „Wie erleben Sie Ihre Menstruation?”, „Angaben zur Partner*innenschaft”, „Brauchen Sie eine Schwangerschaftsverhütung?”

Wartezimmer Im Wartezimmer können Zeitschriften oder Flyer von Beratungsstellen oder Vereinen wie dem „Bundesverband trans*” für Sichtbarkeit sorgen und Sicherheit geben (▶ Abb. 1). Damit wird auch anderen Patient*innen und ihren Partner*innen vermittelt, dass gendernonkonforme Personen in der Praxis keine Ausnahme sind.

Im Sprechzimmer Auf Seiten der Behandelnden kann die Begegnung mit trans Personen eine Konfrontation mit der eigenen geschlechtlichen Identität und Geschlechterrollen bedeuten [2]. Für eine gelungene Ärzt*in-Patient* in-Beziehung ist es entscheidend, diese zu reflektieren. Unsicherheiten können ehrlich benannt werden, sollten aber nicht dazu führen, Patient*innen eine aufklärende Rolle aufzudrängen.

Die grundsätzlichen Prinzipien einer guten, sensiblen und bedürfnisorientierten gynäkologischen Untersuchung unterscheiden sich zwischen cis und trans Personen selbstverständlich nicht. Diese Prinzipien umfassen beispielsweise: keine Untersuchung ohne Indikation, klares Einholen einer Erlaubnis („informed consent“) für den jeweiligen Untersuchungsschritt, Respekt für Bedürfnisse und Gefühle der Patient* innen, Stärkung der Selbstbestimmung/ Empowerment, Vermittlung von Sicherheit durch professionelle Selbstverständlichkeit [6].

Häufiger als bei cis Frauen kann davon ausgegangen werden, dass trans und nicht-binäre Personen noch nie oder sehr lange nicht in einer gynäkologischen Praxis waren. Dadurch sind sie möglicherweise durch (negative) Vorerfahrungen geprägt oder nicht darauf vorbereitet, wie die Untersuchung ablaufen wird. Auch sollte vorher ausführlich besprochen werden, was das Ziel der Konsultation ist und ob eine Untersuchung zu diesem Zeitpunkt überhaupt medizinisch notwendig ist. Anstatt direkt zum Entkleiden zu bitten, ist es ratsam, vorab eine sorgfältige Erklärung der Behandlungsschritte abzugeben und ggf. ein Stopp-Signal zu vereinbaren. Mit der Untersuchung sollte dann erst begonnen werden, wenn die Zustimmung des*r Patient*in eingeholt wurde. Vermieden werden sollten zudem Fragen, die an diesem Tag oder für den Kontext irrelevant sind, insbesondere zu weiteren Schritten der Transition oder Sexualität.

Fragestellungen

Krebsfrüherkennung Für die Krebsfrüherkennung muss zunächst geklärt werden, welche Organe (noch) vorhanden sind und darüber aufgeklärt werden, welchen Zweck eine Untersuchung von Genital- und Brustregion hätte. Sollte dies trotz Aufklärung und ärztlichem Rat nicht gewünscht sein, sollte dieser Wunsch respektiert und entsprechend dokumentiert werden. Bei Personen mit Uterus wird analog zu cis Frauen ab dem 20. Lebensjahr ein Pap-Abstrich empfohlen. Falls eine Testosteron- Therapie besteht, muss dies unbedingt auf dem Begleitformular vermerkt werden, um Irritationen bei den Zytolog*innen und unnötige Kontroll-Abstriche zu vermeiden. Nach vollständiger Hysterektomie ist kein Abstrich mehr notwendig. Auch nach erfolgter Mastektomie sollte ein Abtasten der Brust und der Lymphregion erfolgen. Bei trans Frauen mit Östrogen- Therapie ist das Brustkrebsrisiko gegenüber cis Männern erhöht, gegenüber cis Frauen aber geringer [2]. Nach erfolgter Personenstandsänderung erhalten trans Frauen ebenso wie cis Frauen ab 50 Jahren eine Einladung zum Mammographie- Screening.

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es beispielsweise in Großbritannien umfangreiche Informationen zur Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen, die sich explizit an trans Personen richten (▶ Abb. 2) [7].

Kontrazeption/Fertilitätsprotektion Die Geschlechtszugehörigkeit gibt keinen Hinweis auf die sexuelle Orientierung. Da eine Testosterontherapie auch bei Amenorrhoe keinen sicheren Konzeptionsschutz bietet, sollte die Schwangerschaftsverhütung angesprochen werden. Es muss darauf hingewiesen werden, dass eine Testosterontherapie virilisierende Auswirkungen beim Embryo haben kann und bei entsprechender Partner*in-Konstellation eine zusätzliche Verhütung notwendig ist. In einer Befragung an der Innsbrucker Transgender Ambulanz gaben etwa ein Drittel der trans Männer Geschlechtsverkehr mit einem cis Mann an [8]. Optionen neben Barrieremethoden sind Gestagen-Only-Pillen oder Intrauterinpessare (Hormon- oder Kupferspirale).

Eine Therapie mit Antiandrogenen/ Östrogenen bei trans Frauen führt zu einer verminderten Spermienproduktion, die irreversibel sein kann [9]. Eine Therapie mit Testosteron bei erwachsenen Personen führt in der Regel nicht zu einer irreversiblen Beeinträchtigung der Fertilität. Trans Personen sollten in jedem Fall vor dem Beginn einer Hormontherapie über mögliche fertilitätserhaltende Maßnahmen informiert werden und gegebenenfalls an ein reproduktionsmedizinisches Zentrum überwiesen werden.

Dysmenorrhoe/Endometriose/ Wunsch nach Amenorrhoe Die Behandlung einer Dysmenorrhoe bzw. Endometriose unterscheidet sich nicht von den Therapiemöglichkeiten bei cis Frauen. Auch unter Testosterontherapie ist die Behandlung mit Gestagenen unbedenklich und kann oral oder intrauterin (Hormonspirale) erfolgen. Dies ist auch eine Möglichkeit, wenn die Menstruation als psychisch belastend empfunden wird und der Wunsch nach Amenorrhoe besteht.

Beschwerden Vulva/Vagina Nicht immer, aber häufig, führt eine Testosterontherapie zu vaginaler Trockenheit und dadurch ggf. (Kontakt)- Blutungen, v. a. bei Penetration. Hier helfen einfache Präparate zur Hautpflege sowie lokale Estriol- Präparate analog zur klimakterischen Vaginalatrophie. Mögliche Beschwerden sollten erfragt werden.

Schwangerschaft Vor oder nach Feststellen einer Schwangerschaft muss aufgrund der Teratogenität eine Testosterontherapie ausgesetzt werden. Je nach Beziehungskonstellation kann eine Inanspruchnahme von reproduktionsmedizinischen Angeboten notwendig sein analog zu lesbischen Paaren oder cis Frauen ohne Partner. Ansonsten unterscheidet sich die Schwangerschaftsbegleitung in der Praxis medizinisch nicht von denen einer cis Frau. Nicht alle Schwangere finden sich in der Rolle oder Bezeichnung der „Mutter“ wieder. Für die Betreuung kann es hilfreich sein, die gewünschte Selbstbezeichnung abzufragen und zu notieren. Statt „Mutterpass“ eignet sich auch der Begriff „Schwangerschaftspass“ (▶ Abb. 3). Es gibt Hebammenangebote, die sich explizit an gendernonkonforme Schwangere richten.

Hormontherapie Erfahrungsgemäß stellen sich viele trans und nicht-binäre Personen mit dem Wunsch nach dem Beginn einer Hormontherapie häufig eher in spezialisierten endokrinologischen Praxen als in der gynäkologischen Praxis vor. Insbesondere trans Frauen stellen sich in der Regel erst im Laufe der Transition vor. Bei manchen nicht-binären oder trans männlichen Personen wird der Wunsch nach einer Hormontherapie auch in der gynäkologischen Praxis geäußert, wenn beispielsweise bereits ein Vertrauensverhältnis zur Gynäkolog*in besteht. Bei Wunsch nach einer Hormontherapie wird zunächst ein psychotherapeutisches Indikationsschreiben/ Konsiliarbericht benötigt, um die Therapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zu rezeptieren [10]. Nach entsprechender Aufklärung und Abklärung von Kontraindikationen kann danach mit einer Hormontherapie entsprechend Dosierungsempfehlungen begonnen werden.

Weitere Behandlungsanlässe Weitere Anlässe für die Vorstellung in einer gynäkologischen Praxis sind u. a. die Nachsorge von körpermodifizierenden Operationen oder das Ausstellen von Bescheinigungen für die Beantragung von medizinischen Leistungen oder Personenstandsänderungen.

Zitat
Einsendung von einer nicht-binären Person zur Frage „Gibt es Befürchtungen in Bezug auf den Besuch in der gynäkologischen Praxis? Welche?”

„Ich habe Angst davor,

  • dass mich die Fachpersonen und Besuchenden der Praxis für eine Frau halten und misgendern
  • nicht die Versorgung zu erhalten, die ich brauche, aufgrund meines trans Seins.
  • aus der Praxis geworfen zu werden, beleidigt zu werden oder vor Übergriffen.
  • mich auszuziehen und dann nicht mehr in meiner Identität anerkannt zu werden.
  • dass während der Untersuchung, in der ich ausgeliefert auf dem Stuhl sitze, abfällige Kommentare gesagt werden, die Untersuchung fahrlässig gemacht wird, oder absichtlich grob mit mir umgegangen wird.

Ich wurde häufig beleidigt, als nicht menschlich wahrgenommen und mir wurden Vorsorgeuntersuchungen verweigert. Mir wurde mal gesagt, dass es egal sei, was ich denke, ich hätte eine Vulva und deswegen sei ich eine Frau.”

Zitat

„Außerdem habe ich immer Sorge, komisch angeschaut zu werden, […], wenn doch überall „Frauenärztin“, „Patientinnen“, „Informationen für Frauen“ usw. steht.”

Anmerkung: Alle Zitate in diesem Artikel stammen aus Fragebögen, die von Personen ausgefüllt wurden, die sich über Social Media dazu bereit erklärt hatten. Der anonymisierten Veröffentlichung der Zitate wurde zugestimmt.

Fallbeispiel 1

Alan D., 32, stellt sich mit seinem Partner, cis Mann, erstmals in der Praxis vor. Nach 6 Jahren einer transdermalen low-dose Testosteron-Therapie mit 1 Hub Testogel täglich (ca. 20 mg Testosteron) Absetzen der Therapie und spontaner Eintritt einer Schwangerschaft. Eine abdominale Ultraschalluntersuchung zeigt eine intrauterine Schwangerschaft in der 7. Woche. Es besteht bereits Kontakt zu einem Hebammenkollektiv, das insbesondere gendernonkonforme Schwangere betreut. Die Vorsorgeuntersuchungen sollen größtenteils durch die Hebammen erfolgen. In der 10. Woche Vorstellung mit leichten Schmierblutungen. Der Ultraschall zeigt eine avitale Schwangerschaft entsprechend der 9. Woche. Das Paar ist sehr traurig, es erfolgt die Aufklärung über die Möglichkeit eines abwartenden Vorgehens und der medikamentösen sowie der operativen Beendigung. Auch aufgrund von diskriminierenden Erfahrungen durch medizinisches Personal in der Klinik wird die Entscheidung zur medikamentösen Induktion mit Mifepriston und Misoprostol zuhause getroffen. Diese verläuft problemlos, eine Nachbehandlung ist nicht erforderlich. Nach 6 Monaten erneute Vorstellung mit spontan eingetroffener Schwangerschaft, der Verlauf ist dieses Mal unkompliziert und die beiden Väter können 9 Monate später ein gesundes Neugeborenes begrüßen.

Fallbeispiel 2

Luca S., 28 Jahre alt, trans männlich, stellt sich zum ersten Mal in der gynäkologischen Praxis vor mit dem Wunsch, eine Testosterontherapie zu beginnen. Ein psychotherapeutisches Indikationsschreiben liegt vor. Mit dem Patienten wird ausführlich besprochen, welche Erwartungen an die Hormontherapie realisiert werden sollen. Herr S. wünscht sich neben der Amenorrhoe insbesondere Veränderungen an Stimme, Behaarung und Körperfettumverteilung. Nach Ausschluss von Kontraindikationen einer Testosterontherapie (z. B. koronare Herzerkrankungen, Thrombophilie, Fettstoffwechselstörung) erfolgt die Risikoaufklärung. Der Patient willigt ein. Als Startdosis werden 2 Hub Testogel (ca. 40 mg Testosteron) vereinbart.

Nach 3 Monaten erfolgt die Wiedervorstellung in der Praxis. Herr S. ist zufrieden mit den körperlichen Veränderungen und fühlt sich wohl. Der gemessene Testosteronspiegel im Labor beträgt 412 ng/dl.

Herr S. stellt sich 2 x im Jahr für Blutbild (insbesondere Leberwerte, Blutfette) und Spiegelkontrollen vor. Nach 2 Jahren wünscht er Wechsel auf eine i.m. Testosteron-Therapie. Beginn mit 1000 mg (Testosteronundecanoat) alle 12 Wochen. Darunter bemerkt er Haarausfall, dies kann mit Finasterid behandelt werden. Bei der nächsten Vorstellung wird der Wunsch nach Mastektomie geäußert. Überweisung an ein dafür spezialisiertes Zentrum.

Fazit

Nicht alle Personen, die eine gynäkologische Versorgung benötigen, sind cis Frauen. Aus Sorge vor unsensiblen bzw. unwissenden Behandlungen und schlechten Erfahrungen vermeiden einige nicht-binäre und trans Personen einen Besuch in der gynäkologischen Praxis, was zu einer Unterversorgung führt. Um den Besuch zu erleichtern, sind einige wenige Veränderungen in der Praxis hilfreich, die leicht umgesetzt werden können. Es braucht keine Spezialisierung oder Zusatzbezeichnung, um eine genderinklusive Gynäkologie und Geburtshilfe anzubieten, bedarf aber einer Sensibilisierung und Schulung des gesamten Teams.

Zusammenfassung

Nicht alle Personen, die eine gynäkologische Versorgung benötigen, sind Frauen. Häufig stoßen trans Männer und nicht-binäre Personen in gynäkologischen Praxen auf Unverständnis und machen diskriminierende Erfahrungen. Dies führt dazu, dass Besuche bei Ärzt*innen vermieden werden und sowohl die präventive als auch therapeutische Gesundheitsversorgung schlechter ist als bei cis Frauen. Damit sich alle Personen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität in der gynäkologischen Praxis willkommen fühlen, braucht es weder spezielle endokrinologische Fortbildungen noch viel Aufwand. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die gynäkologischen Bedarfe von trans und nicht-binären Personen und soll ermutigen, die eigene Praxis diskriminierungssensibel zu gestalten.

Schlüsselwörter: genderinklusiv – nicht-binär – trans Personen – trans Männer – trans Frauen

Summary

The gender-inclusive gynecological practice J. Maeffert, L. Kühn, S. Osborn Not all persons in need of gynecological care are women. Often, trans and non-binary individuals encounter a lack of understanding and discriminatory experiences in gynecological practices. As a result, visits to doctors are avoided and both preventive and therapeutic health care is worse than for cis women. Making everyone feel welcome in the gynecology office, regardless of gender identity, does not require special endocrinology training or much effort. This article provides an overview of the gynecological needs of trans and non-binary persons and is intended to encourage people to make their own practices discrimination-sensitive.

Keywords: gender inclusive – non-binary – trans persons – trans men – trans women

Sam Osborn war verantwortlich für das Sensitivity Reading.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass bei der Erstellung des Beitrages kein Interessenkonflikt im Sinne der Empfehlungen des International Committee of Medical Journal Editors bestand.

Korrespondenzadresse:
Dr. med. Jana Maeffert
Gyn-Praxis Nova
Schönhauser Allee 81
10439 Berlin
Jana.maeffert@praxisnova-berlin.de

Literatur

1. Klein V et al. Diagnoseleitlinien sexueller Störungen in der International Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD)-11: Dokumentation des Revisionsprozesses. Zeitschrift für Sexualforschung 2015; 28(4): 363–73
2. Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung. AWMF-Register-Nr. 138|001, 2019. (https://register.awmf. org/assets/guidelines/138–001l_S3_Geschlechtsdysphorie-Diagnostik-Beratung-Behandlung_2019–02.pdf). Zugegriffen am 30.12.2023
3. Turner D et al. Geschlechtsinkongruenz, Geschlechts- dysphorie und Trans-Gesundheit. PSYCH up2date 2020; 14: 347–63
4. Feil K et al. Fertilität, Kontrazeption und Fertilitätsprotektion bei Transpersonen. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: 243–50
5. Bundesverband trans*, Informationen für den Praxisalltag-für Ärzt*innen und medizinisches Fachpersonal. (https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2022/09/BVT_Aerzt_03_ONLINE.pdf). Zugegriffen am 30.12.2023
6. Gras C & Schumann-Doermer C. Leitfaden für die gynäkologische Untersuchung (https://arbeitskreis-frauengesundheit.de/wp-content/uploads/2021/11/Leitfaden_AKF_.pdf). Zugegriffen am 30.12.2023
7. (https://www.cancerresearchuk.org/about-cancer/cancer-symptoms/spotcancer-early/screening/trans-and-nonbinary-cancer-screening). Zugegriffen am 30.12.2023
8. Feil K & Toth B. Die Transgendersprechstunde – was gibt es zu beachten? Innsbrucker Erfahrungen anhand von Fallbeispielen, Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Österreich. (https://www.springermedizin.at/endokrinologie-und-reproduktionsmedizin/journal-fuer-gynaekologischeendokrinologie-oesterreich/15439466). Zugegriffen am 30.12.2023
9. Meyer G et al. Geschlechtsangleichende Hormontherapie bei Geschlechtsinkongruenz Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 725–32
10. Begutachtungsrichtlinie MDK. (https://md-bund.de/fileadmin/dokumente/Publikationen/GKV/Begutachtungsgrundlagen_GKV/BGA_Transsexualismus_201113.pdf). Zugegriffen am 30.12.2023

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