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Post Series: Gyne

Gyne 02/2023

Erwachen aus dem Dornröschenschlaf? Stellenwert der Sexualmedizin in der Frauenheilkunde

Autor:

G. Haselbacher

Jeder kennt das Märchen von Dornröschen. Ein Märchen voller sexueller Anspielungen, vom Heranreifen einer jungen Frau, von einer asexuellen, vermeintlich beschützenden Erziehung. Oder, wie Drewermann es beschreibt, die Geschichte einer jungen Frau, die nicht erwachsen werden kann, weil es ihr nicht gelingt, sich aus der für sie schicksalhaften und auch angst- und schuld- erfüllten Bindung zu den Eltern zu lösen.

2018 hat sich die Bundesärztekammer nach jahrzehntelangem Zaudern entschlossen, die Sexualmedizin als Zusatzbereich in die Weiterbildungsordnung für Ärzte aufzunehmen. Die Umsetzung der Landesärztekammern geht Schritt für Schritt voran (nur in Berlin ging man schon früher eigene Wege). In Bayern wurde der Zusatzbereich Sexualmedizin im August 2022 verabschiedet. Bedeutet dies, dass auch wir Behandelnden der Gynäkologie aus unserem Dornröschenschlaf erwachen und den sexualmedizinischen Problemen unserer Patientinnen (und deren Partner) mehr Aufmerksamkeit schenken?

Es gibt aber dafür Voraussetzungen, die uns bewusst sein sollten, hier einige:

  • Überwindung der eigenen Scham, sich mit der Sexualität anderer Menschen {und damit der eigenen) zu beschäftigen
  • Erlernen zu sprechen, zu fragen und zu hören, wenn es um sexuelle Probleme der Patientinnen und der Paare geht
  • Wissen wollen, wo die Probleme der Patientinnen über die somatischen Angebote hinaus liegen (Bio-Psycho-Soziales Konzept)
  • Sich sexualmedizinisches Wissen aneignen
  • Lernen, mit Zeit- und Überforderungsproblemen umzugehen

Behandelnde in der Gynäkologie sollten sich im Klaren sein, dass sie von den allermeisten Patientinnen als die Fachleute für ihre Fragen zum Thema Sexualität angesehen werden. Stellen Sie also Ihr Licht nicht unter den Scheffel.

Inzwischen gibt es eine Reihe von Kursen und Seminaren zum Thema Sexualmedizinische Grundversorgung. Wer eine darüber hinaus- gehende Kompetenz erwerben will, kann dies über die jetzt beginnenden neuen Curricula zur Erlangung des Zusatzbereiches Sexualmedizin erreichen.  Die MWBO (Musterweiterbildungsordnung) sieht dabei folgende Voraussetzungen vor:

– 24 Monate Weiterbildung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung an einer Weiterbildungsstätte gemäß 8 5 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. $ 2a Abs. 8.
und
– 80 Stunden Kurs-Weiterbildung In psychosomatische Grundversorgung oder Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie oder Zu- satz-Weiterbildung Psychoanalyse

Die ersten beiden Punkte erfüllen alle Frauenärzte/Frauenärztinnen.
Zusätzlich wird gefordert:

– 120 Stunden Kurs-Weiterbildung gemäß 5 4 Abs. 8 in Sexualmedizin
und zusätzlich
– 120 Stunden Fallseminare unter Supervision. Die Fallseminare können durch 6 Monate \Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten ersetzt werden.

Diese beiden Punkte werden in den Curricula angeboten. In Bayern wird der Kurs über die AG Sexualmedizin in Bayern der DGPFG unter Federführung von Frau Dr. Vivian Pramataroff-Hamburger angeboten. Eine ausführliche Beschreibung finden Sie unter sexualmedizin-bayern im Netz, Beginn Herbst 2023.

Der Kurs „Sexualmedizin” soll die theoretischen und praktischen Grundlagen einzel- und paarbezogener sexualmedizinischer Behandlung vermitteln. Die facharztspezifische sexualmedizinische Behandlung konzentriert sich nicht nur auf physiologische oder psychische Störungen. Sie berücksichtigt auch die bei jedem Menschen bestehenden Grundbedürfnisse nach Akzeptanz, Nähe und Vertrauen, die in Beziehungen – und durch die korrekte Körpersprache der Sexualität besonders intensiv in Intimbeziehungen – erfüllbar sind. Sie macht sich dabei neurobiologische und endokrinologische Korrelate von Bindungen zu- nutze, insbesondere deren Stress, Angst. und Aggression vermindern- de sowie vertrauensbildende Funktion. Dadurch wird Patienten ermöglicht, Partnerschaft und Sexualität als gesundheitsfördernde oder -erhaltende Ressource zur Erfüllung der oben genannten Grundbedürfnisse bewusst erfahren und bisherige Beeinträchtigungen vor diesem Hintergrund zuordnen zu können.

Die Kurs-Weiterbildung in Sexualmedizin ist durch theoretische Elemente geprägt und dient konzeptionell schwerpunktmäßig der Vermittlung von kognitiven Kompetenzen. Die Kursinhalte vermitteln das Grundlagenwissen über die menschliche Geschlechtlichkeit sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit, die notwendigen Inhalte und Spezifika der Anamnese und Diagnostik in der Sexualmedizin, die relevanten Krankheitsbilder und Störungen sowie die Grundlagen und Theorie der relevanten medikamentösen, somatischen und gesprächsbasierten Behandlungen. Der Kurs soll auch praktische Anteiie zur Vermittlung von Handlungskompetenzen, z. B. in Form von Eigenübungen oder Rollenspielen, beinhalten.

Die Kursweiterbildung findet an Wochenenden statt und kann zeitlich parallel zur praktischen Berufsausführung absolviert werden.

Wenn Behandelnde sexualmedizinische Kenntnisse erwerben, werden sie nicht nur den Wünschen ihrer Patientinnen gerecht, sondern geben auch Dornröschen eine Chance, nicht völlig unvorbereitet ins Leben einer Frau zu gleiten und 100 Jahre warten zu müssen, bis eine liebevolle Partnerschaft die Dominanz elterlicher Fürsorge durchbricht.

Kurs Sexualmedizin in Bayern
AG Sexualmedizin in Bayern der DGPFG
Federführung: Dr. Vivian Pramataroff-Hamburger
Mail: sexualmedizin-bayern@mail.de
Website: www.sexualmedizin.bayern

Korrespondenzadresse:
Gerhard Haselbacher Facharzt für Frauenheilkunde und Psychosomatische Medizin
Albrecht-Dürer-Str. 14
82152 Krailing
praxis@drhaselbacher.de

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