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Gyne 04/2024

Sexualität und Partnerschaft nach der Geburt – “Es ist anders, als wir dachten!”

Autorin:

R. Gnirss-Bormet

Einleitung

Kaum ein Ereignis im Leben eines Paares verändert das Miteinander so sehr wie die erste Schwangerschaft und Geburt. Die damit einhergehenden Veränderungen haben körperliche, psychische, partnerschaftliche und gesellschaftliche Aspekte. Sie verändern das Selbstbild der Eltern, ihr Gefühl zum eigenen Körper und zueinander sowie ihre Rolle innerhalb der eigenen Familie und in der Gesellschaft.

All diese biologischen, psychologischen und nicht zuletzt sozialen Veränderungen führen zu einer Art Reifungskrise. Die Bewältigung dieser Veränderungen geht mit vielen innerseelischen und interpersonellen Konflikten einher, wie jede wichtige Veränderung. Bei aller Freude über das Baby ist eine zeitweilige Verunsicherung vollkommen normal. Viele Paare fragen sich, ob sie als Eltern gut genug sein können, ob sie all die neuen Herausforderungen bewältigen können und wie ihre Partnerschaft diese stürmische Zeit gut übersteht.

Veränderte Sexualität durch Schwangerschaft und Geburt

In dieser Zeit verändert sich auch die Sexualität des Paares. Es hat sich bei vielen Untersuchungen gezeigt, dass die meisten Paare bereits während der Schwangerschaft weniger Sexualität miteinander erleben, und dass für viele Paare eine lange Zeit vergeht, bis beide wieder ähnliches Interesse und ähnlich viel Freude am sexuellen Zusammensein haben wie vor der Geburt. Bemerkenswert ist die große inter individuelle Variabilität bezüglich des sexuellen Interesses [1]. Angesichts der mit den sexuellen Veränderungen oft einhergehenden Unsicherheit der Patientinnen und ihrer Partner ist dies ein Thema, das viele Patientinnen gerne mit ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen besprechen möchten.

Im Folgenden möchte ich aus der Praxis der Paar- und Sexualberatung berichten, um den behandelnden Frauenärztinnen und Frauenärzten Mut zu machen, das wichtige Thema Sexualität bereits in der Schwangerschaft informierend anzusprechen und ihren Patientinnen und deren Partnern nach der Geburt die Möglichkeit anzubieten, über sexuelle Probleme zu sprechen. Bei der Sichtung der Literatur zum Thema postpartaler Sexualität wurde deutlich, dass bisher vor allem zur Sexualität der Mütter geforscht wurde und hier v. a. die körperlichen Faktoren und deren Einfluss beforscht wurden [2].

Mögliche somatische Faktoren

  • ein hoher Prolaktinspiegel bei stillenden Frauen und damit einhergehend niedrige Östrogen- und Testosteronwerte
  • durch den Östrogenmangel bedingt eine vulvovaginale Atrophie mit einem negativen Einfluss auf die genitale Erregungsreaktion und fehlende Lubrikation, damit einher – gehend Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
  • eine verminderte Libido und eine verminderte Empfänglichkeit für sexuelle Stimulation und vermindertes Vergnügen an Sexualität, wie es als eines der Kernsymptome bei Testosteronmangel beschrieben wird [3]
  • Müdigkeit und Erschöpfung durch das Stillen und den Schlafmangel
  • fortbestehende Schmerzen im Bereich der Vulva und der Vagina nach Geburtsverletzungen, eventuell schmerzende Narben, manchmal auch Schädigung des Nervus Pudendus durch Überdehnung bei vaginaler Entbindung
  • Dauer der körperlichen Erholung: Die Rückbildung des Beckenbodens und die Kräftigung der überdehnten Bauchmuskulatur brauchen Zeit, Missempfindungen im Bereich der Vulva und des Beckenbodens sind ebenso wie Rückenschmerzen sehr häufig

In den gesichteten Studien wurden die Einflüsse der Veränderungen in der Partnerschaft und psychosoziale Stressfaktoren selten erfasst. Wenn man sexuelle Begegnungen als eine körperliche intime Interaktion zweier Menschen versteht, die von beiden gestaltet und die auch durch psychosoziale Rahmenbedingungen beeinflusst wird, bleiben entsprechend viele wichtige Veränderungen ungeklärt. Ich habe in meiner Praxis überwiegend heterosexuelle Paare beraten, deshalb beziehe ich mich im Folgenden auf diese Erfahrungen. Lesbische Paare, die nach der Geburt zur Beratung kamen, unterschieden sich kaum in ihren sexuellen und partnerschaftlichen Problemen, jedoch schienen sie sich in ihrem Umfeld besser unterstützt zu fühlen.

Psychosoziale Einflussfaktoren auf die gelebte Sexualität

Viele Faktoren, die sich im Rahmen einer Sexualberatung als wichtig erweisen, sind nicht einfach zu untersuchen. So etwa wie die Eltern die Beziehung zum Kind erleben, ob das Kind gesund ist, ob sie ein Baby haben, das besonders schwer zur Ruhe kommt oder eine Fütterungsstörung hat, und wie die Ressourcen bezüglich Unterstützung und Entlastung im Umfeld aussehen. Um einen besseren Eindruck von den doch sehr deutlichen und häufigen Veränderungen des sexuellen Erlebens von Frauen nach der Geburt zu vermitteln, werden zunächst die Ergebnisse einer Untersuchung der Universitätsklinik Bonn [4] näher betrachtet.

Dort wurden heterosexuelle Frauen sechs Monate nach der Geburt zu ihrer Sexualität befragt. Zum allgemeinen sexuellen Erleben gaben nur 55 % der Frauen an, dass die Sexualität wieder ähnlich gut war wie vor der Schwangerschaft, 4 % bzw. 1,4 % berichteten von einem besseren bzw. viel besseren sexuellen Erleben. Immerhin 40 % der Frauen gaben an, ihr sexuelles Empfinden habe sich verschlechtert. Danach wurde gezielt nach sexuellen Dysfunktionen gefragt. Jede dritte Frau klagte über ein mangelndes sexuelles Verlangen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und mangelnde sexuelle Befriedigung, 13 % klagten über Orgasmusprobleme. Stillende Frauen waren am häufigsten betroffen. Sie nannten v. a. Lustlosigkeit und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Als Gründe für die bei stillenden Frauen häufiger auftretenden Störungen werden der hohe lustmindernde Prolaktinspiegel sowie der niedrigere Östrogenspiegel während des Stillens und die größere Müdigkeit durch das Stillen diskutiert. Ein wichtiges Ergebnis der Studie war auch, dass die überwiegende Mehrheit der sexuellen Probleme erst nach der Geburt aufgetreten war. Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Untersuchung: Die Frauen mit einer Verschlechterung der Sexualität fühlten sich psychisch stärker belastet, sie fühlten sich sozial unsicherer, depressiver und gereizter. Die Verschlechterung der Sexualität geht somit auch mit vermehrten psychischen Symptomen einher.

Sexuelle Probleme nach der Geburt sind also keine Seltenheit, sondern finden sich bei vielen Frauen und verdienen Beachtung, zumal sie auch dazu tendieren zu chronifizieren. Aus der Sexualberatung ist der folgende Zusammenhang bekannt: Einerseits wirken sich psychische und soziale Belastungen bei Frauen häufig sexuell dämpfend aus, andererseits wirkt sich die gestörte Sexualität als Stressor und Belastung für die Frauen aus – insbesondere dann, wenn der Partner dadurch irritiert ist und sich daraus weitere partnerschaftliche Probleme ergeben. Allerdings er – leben auch viele Männer eine Verminderung ihrer sexuellen (Re)aktionsfähigkeit nach der Geburt, sie geben als Gründe dafür v. a. körperliche Müdigkeit und die zeitliche Beschränkung der Möglichkeiten zu sexuellen Begegnungen an. Einige berichten, dass sie selbst noch Zeit brauchen, sich vom Erleben der Geburt zu erholen. Das vermeintliche Desinteresse der Väter kann zu einer Irritation ihrer Partnerinnen führen, wenn diese das Gefühl entwickeln, mit ihrem veränderten Körper für den Partner nicht mehr attraktiv zu sein. Hier besteht ein erheblicher Bedarf an frühzeitiger Information und Beratung, damit die Sexualität vorübergehend in den Hintergrund treten kann, ohne dass sich daraus schwerwiegende sexuelle Probleme und eine Belastung der Partnerschaft ergeben. Ein solches Gespräch kann für beide Partner enorm entlastend sein, wenn deutlich wird, dass sie einvernehmlich fürs Erste auf intensivere sexuelle Begegnungen verzichten. Dies gelingt v. a. dann, wenn andere Möglichkeiten des Austauschs gefunden werden können.

Fallbeispiel

Frau H. hatte sich bei mir angemeldet, sie war sexuell lustlos und hatte vier Monate nach der Geburt dennoch versucht, mit ihrem Mann zu schlafen. Sie hatte starke Schmerzen beim Einführen des Penis empfunden und sie mussten den Versuch aufgeben. Ihr Kind sei gesund, fordere sie allerdings sehr. Sie stille bisher noch voll. Sie habe sich sehr unter Druck gefühlt, wieder mit ihrem Mann zu schlafen. Allerdings sei sie kaum erregt gewesen. Ich frage sie, was sie vor der Schwangerschaft als erregend empfunden hätte. Sie schildert, vor allem durch intensives Küssen und Berührungen ihrer Brüste erregt worden zu sein, jetzt seien diese für sie aber wegen des Stillens tabu. Bei der sexuellen Begegnung sei sie vaginal trocken und angespannt gewesen. In der Schwangerschaft hatte sie zeitweilig viel Lust gehabt, ihr Mann sei hingegen sehr zurückhaltend gewesen. Das hätte sie damals traurig gestimmt. Darüber geredet hätten sie nicht. Auch jetzt habe sie mit ihrem Mann seit dem missglückten Versuch nicht über ihre Sexualität gesprochen. Ich informierte sie über die Normalität und die Zusammenhänge ihrer Situation und bot an, ihren Partner zum nächsten Gespräch einzuladen.

Im zweiten Gespräch berichtet Herr H., auch er sei im Moment oft sehr erschöpft und sexuell deshalb nicht sonderlich interessiert. Er habe jedoch viel Freude am kleinen Sohn und für ihn sei es beglückend, seine Frau als Mutter und sich als Vater zu erleben. Er freue sich auf die bevorstehende Elternzeit. Beim ersten sexuellen Kontakt nach der Geburt hätten sie beide sehr unter Druck gestanden. Sie hätten nicht gewusst, wann der Kleine wieder wach würde und waren beide wegen des Kondoms als Verhütungsmethode unsicher. Frau H. ist durch dieses Gespräch sehr entlastet. Beide kommen überein, sich regelmäßig Zeit für sich selbst und für ihre Zweisamkeit zu nehmen.

Beim Folgetermin nach vier Monaten arbeitet Frau H. wieder. Sie hat abgestillt und nimmt die Pille. Bereits vier Wochen nach dem Abstillen habe sie mehr Lust empfunden. Sie berichtet von kleinen Auszeiten, die sie manchmal auch nutzt, um ihre Dammregion einzuölen und zu massieren. Nachdem sie sich durch das problemlose Einführen eines Fingers überzeugen konnte, dass sie keine Schmerzen mehr hatte, habe sie sich sexuell besser öffnen können. Sie und ihr Partner seien beide froh, wieder diese Nähe spüren zu können.

Das Beispiel zeigt das Zusammenspiel körperlicher und psychosozialer Faktoren und dass zur Problemlösung eine kurze biopsychosoziale Sexualberatung ausreichen kann.

Psychische Situation Schwangerer

Viele Frauen vermissen bereits in der Schwangerschaft in ihrem Umfeld eine Art (mütterliche) Betreuung mit Zuspruch und Hilfe. Zudem erleben sie, wie unterschiedlich sie selbst und ihr Partner von der Schwangerschaft betroffen sind. Viele Frauen empfinden angesichts dieser Situation Gefühle wie Neid, Wut und Empörung und fühlen sich isoliert und alleine, wenn sie darüber nicht sprechen können. Viele werdende Eltern leiden außerdem unter der Angst, im neuen Lebensabschnitt ihre Autonomie zu verlieren. Die Folge sind häufig peri- sowie postpartale Depressionen. Auch die Väter können diese Symptome entwickeln.

Psychosoziale Situation junger Mütter und Väter

Junge Mütter haben in ihrem nahen Umfeld oft keine erfahrene, ihnen zugewandte mütterliche Person, die ihnen mit mütterlicher Kompetenz Sicherheit und Bestätigung geben kann. Sie vermissen das, was der bekannte Säuglingsforscher Daniel Stern als absolute Notwendigkeit für jede Mutter beschreibt: Eine bestätigende, Halt sowie Unterstützung und Anerkennung gebende Umwelt, die er „unterstützende mütterliche Matrix“ nennt [5]. Hier kommt der Betreuung durch ambulant tätige Hebammen in der Schwangerschaft und im Wochenbett eine wichtige Rolle zu: Eltern berichten oft, wie wertvoll diese Unterstützung war.

Hinzu kommt, dass heutige Eltern oft weniger auf das Elternsein vorbereitet sind als jede Generation vor ihnen. Sie hatten weniger Möglichkeiten, im persönlichen Umfeld den Umgang mit Säuglingen zu beobachten und zu üben. Dies verstärkt die Ängste, nicht früh genug zu merken, wenn es dem eigenen Kind nicht gut geht und führt zu einer erheblichen seelischen Belastung im Alltag. Häufige Besuche beim Kinderarzt oder in der Notaufnahme können die Folge sein. Dort kann allerdings aufgrund des Zeitmangels und infolge mangelnden Verständnisses selten auf die Ängste eingegangen werden, die hinter dem Gang zum Arzt stehen. Viele junge Mütter erleben auch schmerzlich, wie sie mit dem Mutterwerden den Kontakt zu ihren bisherigen Bekannten und Freundinnen verlieren. Sie fallen oft aus ihrem bisherigen sozialen Bezugsrahmen heraus. Mütter und Väter beschäftigt die Frage, ob sie den Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit gut bewältigen können und ob es ihnen gelingt, sich so zu organisieren, dass sie Beruf und Elternsein gut vereinbaren können [6]. Viele Väter möchten sich in der Kindererziehung und im Haushalt stärker einbringen. Sie vermissen ebenfalls Rat und Unterstützung sowie Arbeitgeber, die Verständnis haben. Viele Eltern machen sich zudem Sorgen, ob ihre Stelle sicher ist.

Bedeutung von Sexualität für die Partnerschaft

Sexualität kann in dieser Situation Trost, Unterstützung und Bestätigung der Partnerschaft sein sowie die Zweierbeziehung bestätigen und ihr den nötigen Raum geben. Wenn Sexualität noch nicht ohne Probleme möglich ist, kann gemeinsam überlegt werden, welche anderen Möglichkeiten ein Paar hat, um das Gefühl von Zusammengehörigkeit, Liebe und Geborgenheit zu stärken. Häufig geht es überhaupt nicht in erster Linie um die Sexualität, wenn Mütter oder Väter auf eine sexuelle Zurückweisung empfindlich reagieren. Vielmehr werden in der ungewohnten Dreiersituation oft Gefühle von Kränkung aktiviert, die aus der eigenen Kindheit stammen. Manchmal kommt ein Partner dieser Situation auch prophylaktisch zuvor und zieht sich vom anderen emotional und sexuell zurück. Diese Reaktion findet sich nicht selten als wichtiges seelisches Motiv bei Affären in der Schwangerschaft und nach der Geburt, v. a. auf Seiten der Väter. Viele Mütter und Väter vermissen die Bestätigung für das, was sie tun. Viele Väter haben Angst vor einer Trennung, wenn sie merken, dass ihre Frau unglücklich ist. Wenn Väter das Baby als Rivalen um die Liebe ihrer Partnerin erleben und mit dem Baby um die Aufmerksamkeit der Mutter kämpfen, erfahren sie kaum die gewünschte Zuwendung und Bestätigung. Vielmehr sehen sie sich einer wütenden Frau gegenüber, die ihr Verhalten absolut nicht nachvollziehen kann. Wenn es in dieser Zeit zu gegenseitigen Enttäuschungen und Kränkungen kommt, dann bestimmen diese häufig den weiteren Verlauf der Partnerschaft. Hier zeigt sich das System der Kleinfamilie ohne zusätzliche Hilfe von außen häufig überlastet. In solchen Szenarien kommt es oft zu mühsamen sexuellen Erlebnissen mit Versagensgefühlen. Und diese Erlebnisse lösen Druck, Stress und Angst vor einer Wiederholung aus. Schöne sexuelle Begegnungen werden somit immer unwahrscheinlicher.

Was können Gynäkologinnen und Gynäkologen tun?

Wichtig erscheint ein frühzeitiges Ansprechen der möglichen Veränderungen der Sexualität, wann immer möglich im Paargespräch und noch vor der Geburt. Wenn Paare hören, dass ca. die Hälfte aller Paare nach der Geburt zunächst sexuelle Probleme haben und die Gründe dafür erfahren, fühlen sie sich weniger belastet. Nach der Geburt sollte die „Normalität“ von sexuellen Problemen erneut betont sowie Ursachen im Einzelfall betrachtet werden. Das kann die Empfängnisverhütung sein, die Lustlosigkeit während der Zeit des Stillens, Schmerzen beim Verkehr, der Mangel von Zweisamkeit etc. Zudem kann kommuniziert werden, dass es evolutionär betrachtet durchaus Sinn macht, wenn Eltern während dieser Zeit durch die Veränderung ihrer Sexualhormone weniger Interesse an Sexualität haben, weil so die Hinwendung zum Baby unterstützt wird. Auch bei Vätern, die viel Zeit mit ihrem Baby verbringen, verändern sich die Hormone. Ihre Testosteronwerte nehmen ab, während ihre Oxytocinwerte deutlich ansteigen, was ihre Reaktion auf sexuelle Reize vermindert, die Hinwendung zum Kind aber verstärkt [7].

Zu wissen, dass man sich Zeit nehmen darf, bis man sich selbst wieder körperlich wohl fühlt, und miteinander zu besprechen, wie auch in dieser Zeit das Gefühl von Verbundenheit erhalten werden kann, ist für viele Paare absolut ausreichend. Zur Klärung wichtiger emotionaler Anliegen können wir Fragen stellen. So kann beispielsweise erfragt werden, was jede und jeder für sich selbst sowie für den Partner tun kann, um sich wieder wohler und geborgener/geliebter zu fühlen. Die Ideen und Wünsche, die dabei genannt werden, sind oft erfüllbar und sehr konkret. Wir können so als Beratende Teil einer unterstützenden elterlichen Matrix sein. Wir können den Eltern unsere Anerkennung für ihre Leistungen in diesem neuen Lebensabschnitt aussprechen und sie ermutigen, unnötige Aufgaben und Belastungen auszusortieren. Wir können ihnen helfen, sich gegenüber Ansprüchen und Begehrlichkeiten von außen abzugrenzen und sie ermutigen, sich zusätzliche Ressourcen im Außen zu erschließen. Die Teilnahme an einem Kurs zur Rückbildungsgymnastik verbessert die Chance, sich wieder wohler zu fühlen im eigenen Körper – und man kann sich mit anderen Müttern austauschen und Freundschaften schließen.

Interdisziplinäre Unterstützung

Sollte weitere professionelle Hilfe nötig sein, ist ein interdisziplinäres Netzwerk hilfreich. Wenn neben den sexuellen Problemen eine depressive Erkrankung besteht, muss eine fachärztliche Weiterbehandlung erfolgen. Manchmal ist eine gründliche funktionelle Untersuchung des Beckenbodens nötig, weil es bei der Geburt zu bisher nicht festgestellten Verletzungen des Beckenbodens oder zu Tonusänderungen der Beckenbodenmuskulatur gekommen ist. Dies kann sich in einem Gefühl von Druck und Schwere im Dammbereich oder auch in einer Inkontinenz äußern. Hier sollte früh eine Behandlung eingeleitet werden. Schwerwiegende Dysfunktionen des Beckenbodens verändern sich nicht von selbst. Auf der Website der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie Geburtshilfe Urologie Proktologie (AG GGUP, https://www.ag-ggup. de) finden sich Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit entsprechender Ausbildung. Zum postpartalen Schutz des Beckenbodens bei Alltagsbelastungen können Hebamme oder eine Physiotherapeutin beratend zur Seite stehen.

Wenn der Eindruck entsteht, dass ein Paar in dieser Situation weiteren Beratungsbedarf hat, kann eine Überweisung an eine Ehe und Familienberatungsstelle bei der Diakonie, zu katholischen Familien-Beratungsstellen, zur pro familia oder Familienplanungszentren hilfreich sein. Es ist nützlich, über das Angebot der Beratungsstellen vor Ort informiert zu sein. Auch kann gemeinsam überlegt werden, ob eine Sexual- oder Paartherapie sinnvoll ist. Eine entsprechend spezialisierte Fachperson kann z. B. über das Webangebot https://www.psychotherapiesuche. de gefunden werden. Auch auf den Seiten der deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS, https://www.dgfs.info/home.html) sowie der Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin und Sexualpsychologie (DGSMP, https://www. dgsmp.org) finden sich Listen ausgewiesener Fachpersonen, geordnet nach Postleitzahlen.

Literatur

  1. Von Sydow K. Sexualität in der Schwangerschaft und nach der Entbindung. Sexuologie 2006; 13: 148–153
  2. Gutzeit O, Levy G, Lowenstein L. Postpartum Female Function: Risk Factors for Postpartum Sexual Dysfunction. Sex Med 2020; 8: 8–13
  3. Schwenkhagen A. Sexualität und Hormone. In: Dorn A, Kimmich- Laux D, Richter-Appelt H et al. Hrsg. Die Psyche im Spiegel der Hormone. Frankfurt am Main: Mabuse- Verlag 2011. S. 55–60
  4. Wendt A, Rohde A et al. Erleben der Sexualität nach Schwangerschaft und Entbindung. In: Stöbel- Richter Y, Ludwig A, Franke P et al. Hrsg. Anspruch und Wirklichkeit in der psychosomatischen Gynäkologie und Geburtshilfe. Gießen: Psychosozial-Verlag 2006. S 227–235
  5. Stern D, Bruschweiler-Stern N, Hrsg. Die Geburt einer Mutter. München: Piper; 2002. S. 157–158
  6. Stern D, Bruschweiler-Stern N, Hrsg. Die Geburt einer Mutter. München: Piper; 2002. S. 215–227
  7. Mescaro JS, Hackett PD, Rilling JK. Differential Neural Response to Child and Sexual Stimuli in Human Fathers and Non- Fathers and their Hormonal Correlates. Psychoneuroendocrinologie 2014; 46: 153–163

Weiterführende Literatur:

  • „Sprechen über Sex“ –Karina Kehlet Lins, Carl-Auer-Verlag 2020
  • „Mutterhirn“ – Chelsea Conaboy, Harpercollins, Hamburg, 2023
  • „Sexualberatung” – Claus Buddeberg, Thieme-Verlag, 4. Auflage 2005
  • “Returning to running postnatal“ – guidelines for medical, health and fitness professionals manging this population, Goom T, Donelly G, Brockwell E. 2019

Zusammenfassung

Die erste Schwangerschaft und die Geburt bringen tiefgreifende Veränderungen im Leben eines Paares mit sich, die sowohl körperliche, psychische als auch partnerschaftliche Aspekte betreffen. Besonders die Sexualität wird stark beeinflusst: Viele Paare erleben während der Schwangerschaft und nach der Geburt eine verminderte sexuelle Aktivität. Stillen, hormonelle Umstellungen, Müdigkeit und körperliche Beschwerden tragen dazu bei. Ein hoher Prolaktinund ein niedriger Östrogen- und Testosteronspiegel können das sexuelle Verlangen senken. Geburtsverletzungen und veränderte Hormone können zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen. Auch psychosoziale Faktoren wie der Stress durch die neue Familiensituation, Erschöpfung oder der Verlust von Unabhängigkeit spielen eine Rolle. Trotz der Herausforderungen ist es wichtig, diese Themen frühzeitig in der Beratung anzusprechen. Eine offene Kommunikation kann helfen, sexuelle Probleme zu lösen und die Beziehung zu stärken. Paar- und Sexualberatung kann dabei unterstützen, eine Balance zwischen Elternschaft und Partnerschaft zu finden.

Schlüsselwörter: Sexualität – Sexualität nach Geburt – Paarbeziehung – Sexualberatung – Sexualhormone

Summary

Sexuality and Partnership After Birth – “It‘s Different Than We Thought!“ R. Gnirss-Bormet The first pregnancy and birth bring profound changes to a couple‘s life, affecting physical, psychological, and relational aspects. Sexuality is particularly impacted: many couples experience reduced sexual activity during pregnancy and postpartum. Factors like breastfeeding, hormonal changes, fatigue, and physical discomfort contribute to this. High prolactin and low estrogen and testosterone levels can decrease sexual desire. Birth injuries and hormonal changes lead to pain during intercourse. Psychosocial factors such as stress from the new family situation, exhaustion, or loss of independence also play a role. Despite these challenges, it is crucial to address these issues early in consultations. Open communication can help resolve sexual issues and strengthen the relationship. Couple and sexual counseling can support couples in balancing parenthood and partnership.

Keywords: sexuality – postpartum sexual activity – couple relations – sexual consultation – sex hormones

Korrespondenzadresse:
Dr.med.Ruth Gnirrs-Bormet
Fachärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin; Sexual- und Paartherapeutin Dozentin und Supervisorin der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung DGfS dr.ruth.gnirss@web.de

Interessenkonflikt:
Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Empfehlungen des International Committee of Medical Journal Editors bestanden.

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