Artikel des Monats Juni 2018
vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David
Tjitske R. Zaat et al.
Posttraumatic stress disorder related to postpartum haemorrhage: A systematic review.
European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology 225 (2018) 214–220
Wann immer eine Geburt durch einen Blutverlust von 500 ml und mehr verkompliziert wird, wird dies als postpartale starke Blutung klassifiziert. Eine starke postpartale Blutung ist eine der Hauptkomplikationen einer Geburt, die im Einzelfall auch zu einer Notfall-Hysterektomie führen kann. In 0,1 bis 0,3 auf tausend Geburten kommt zu einer postpartalen Notfall-Hysterektomie. Die physischen respektive somatischen Auswirkungen auf die betroffenen Frauen im Zuge einer verstärkten peri- bzw. postpartalen Blutung mit oder ohne Notfall-Hysterektomie wurden in letzter Zeit intensiv untersucht, während Zusammenhänge zu posttraumatischen Belastungsstörungen oder allgemeinen psychischen Belastungen kaum Inhalt von Untersuchungen waren. Die globale Inzidenz der verstärkten peri- bzw. postpartalen Blutungen wird auf 1 bis 5 % aller Geburten geschätzt. Damit hat dieses Thema eine große Bedeutung. Patientinnen beschreiben diese Geburtskomplikation als traumatische Erfahrung. Es ist nicht bekannt, ob die verstärkte postpartale Blutung per se ein Risiko für posttraumatische Belastungsstörungen ist. Solche Aspekte werden im klinisch-geburtshilflichen Alltag aktuell nicht beachtet. Insofern ist der vorgelegte Reviewartikel sehr interessant und beachtenswert. Basierend auf eigenen klinischen Erfahrungen und qualitativen (Vor-)Studien haben die Autoren der Literaturübersicht die Erarbeitung von Empfehlungen für diese Situation angestrebt. In einem systematischen Review wurden die aktuellen Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen starker peri- bzw. postpartaler Blutung mit und ohne Notfall-Hysterektomie und postpartaler posttraumatischer Belastungsstörung erfasst. Die Autoren führten diese Literaturrecherche mit folgendem präventiven Gedanken durch: Wenn die starke postpartale Blutung ein Risikofaktor für die posttraumatische Belastungsstörung ist, sollte dies frühzeitig erkannt werden. Die Kenntnis dieses Zusammenhangs könnte zu einer Reduzierung der Langzeitauswirkungen und sozioökonomischen Probleme, die mit einer posttraumatischen Belastungsstörung verbunden sind, für die Betroffenen führen. Es wurde eine Literatursuche in acht Literaturdatenbanken durchgeführt, wobei Publikationen einbezogen wurden, die zwischen Januar 1986 und Oktober 2017 veröffentlicht wurden. Es wurden sowohl Manuskripte überprüft, die einen Zusammenhang zwischen starker postpartaler Blutung sowie peripartaler Notfall-Hysterektomie mit einer posttraumatischen Belastungsstörung und/oder postpartalen posttraumatischen Stresssymptomen thematisierten. Insgesamt wurden 1651 Artikel durchgeschaut. 52 Artikel erfüllten die von den Autoren definierten Kriterien für das Volltext-Review. Letztlich blieben aber nur 7 Artikel, die zwischen 2011 und 2017 erschienen sind, für die eigentliche Literatur- bzw. Datenauswertung übrig. Davon befassten sich 5 Studien mit einem Zusammenhang zwischen schwerer postpartaler Blutung und posttraumatischer Belastungsstörung und 2 Studien mit dem Zusammenhang zwischen Notfall-Hysterektomie und peripartalem posttraumatischen Stress. 3 Studien fanden keine Assoziation zwischen der starken peripartalen Blutung und der Belastungsstörungen, 2 Studien berichteten über ein höheres Risiko für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung oder posttraumatischer Stresssymptome nach starker peripartaler Blutung. Die Ergebnisse zweier weiterer Studien zeigten ein höheres Risiko für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung nach peripartaler Notfall-Hysterektomie. Wegen der Heterogenität der gefundenen Studien war allerdings eine Meta-Analyse nicht möglich. Basierend auf den Ergebnissen der o.g. sieben Studien scheint ein Zusammenhang zwischen verstärkten bzw. schweren peripartalen Blutungen und posttraumatischer Belastungsstörung zu bestehen, so die Autoren. Außerdem ist es relativ wahrscheinlich, dass eine Assoziation zwischen einer peripartalen Notfall-Hysterektomie und solchen Belastungsstörungen besteht, aber die Evidenz dieser Ergebnisse wird durch die geringe Studienzahl bzw. die geringe Zahl einbezogener Patientinnen limitiert. Möglicherweise ist aber auch die Grenze von 500 ml Blutverlust für die erwähnten psychischen Auswirkungen zu niedrig gewählt, psychische Folgen sind erst bei einem höheren Grenzwert z.B. 1500 oder 2000 ml und einer größeren „Dramatik“ der Situation evident Es erscheint aber plausibel, dass die Notfall-Hysterektomie schweren emotionalen Disstress induziert, und es ist nachvollziehbar, dass diese Erfahrung oft als belastend, sowohl für die betroffene Frau als auch ihren Partner, beschrieben wird, da damit ja der Verlust der Möglichkeit, weitere Schwangerschaften respektive Kinder zu haben, einhergeht. Unter Beachtung der großen Zahl von Frauen, deren Geburt weltweit durch eine verstärkte postpartale Blutung verkompliziert wird, sollte überlegt werden, dass bereits früh auf Symptome einer postpartalen Belastungsstörung bei den betroffenen Wöchnerinnen „gescreent“ wird, um Langzeitauswirkungen auf die mentale respektive psychische Gesundheit der Frauen zu verhindern. Für weitere Untersuchungen empfehlen die Autoren eine einheitliche Definition der Schwere postpartaler Blutungen. Mit prospektiven Studie sollte eine große Fallzahl und ein Langzeit-follow up angestrebt und es sollten validierte Fragebögen oder standardisierte Interviews genutzt werden, so die abschließenden Empfehlungen der Autoren dieses interessanten Reviews.
(M. David)
Prof. Dr. med. Matthias David