Artikel des Monats August 2017
vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David
Maeve A. O’Connell et al.
Worldwide prevalence of tocophobia in pregnant women: systematic review and meta-analysis.
Acta Obstet Gynecol Scand 2017; Volume 96, Issue 8; Pages 907–920
Als Schwangerschafts- oder Tokophobie wird eine „starke, pathologische, unbegründete Furcht oder Angst vor einer Schwangerschaft oder Geburt“ bezeichnet. Es wird zwischen einer primären (die Nullipara betrifft) und der sekundären (bei Mehrgebärende nach einer Geburtserfahrung) Tokophobie unterschieden. Bei der primären Tokophobie spielt die Angst vor den Schmerzen bei einer Geburt nur vordergründig eine Rolle. Der Grad bzw. die Ausprägung einer Tokophobie ist schwer zu quantifizieren. Faktoren wie allgemeine Ängstlichkeit, vorausgegangener sexueller Missbrauch,, eine vorausgegangene traumatische Geburtserfahrung oder eine andere traumatische Erfahrung in medizinischen Einrichtungen, vorausgegangene Fehlgeburten, eine langdauernde Infertilität, Rauchen, geringe soziale Unterstützung und eine ungünstige Partnerschaftssituation scheinen mit der primären und der sekundären „Schwangerschaftsangst“ assoziiert zu sein.
Das wissenschaftliche Interesse daran bzw. die Beschäftigung damit hat in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen. Neuere Studien zeigen, dass die Tokophobie kurz und langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind haben kann.
Die Autoren um O´Connell führten eine Literaturrecherche mit nachfolgender Metanalyse in sechs großen Datenbanken für den Zeitraum 1946 bis April 2016 durch, um die weltweite Prävalenz dieser besonderen Angststörungen aufgrund vorliegender Veröffentlichungen bestimmten zu können. Die Literatursuche war hinsichtlich der Publikationssprache nicht eingegrenzt.
33 Studien aus 18 Ländern wurden gefunden, 29 davon konnten in die Metaanalyse einbezogen werden, die sich somit auf ein Gesamtkollektiv von fast 854.000 Frauen bezog. Die Autorengruppe stellt fest, dass die jeweils verwendete Definition für eine Tokophobie sehr unterschiedlich war und die Prävalenz zwischen 3,7 und 43% variierte. So betrug die Prävalenz in Skandinavien beispielsweise 12% im Vergleich zu 8% im Rest Europas und 23% in Australien. Die Daten zeigen auch, dass die Tokophobie häufiger bei Nullipara als bei Frauen, die schon ein Kind geboren haben, vorkommt. Unter Beachtung verschiedener statistischer Kriterien und auf der Basis von Subgruppenanalysen zur Studienqualität gehen O´Connell et al. von einer „gepoolten“ weltweiten Prävalenz von etwa 14% für die „Schwangerschafts- und Geburtsangst“ aus. Sie stellten außerdem fest, dass ca. seit dem Jahr 2.000 eine Zunahme der Tokophobie (oder der Berichte darüber?) zu registrieren ist.
Aus den Review-Ergebnissen ergeben sich zwei auch klinisch relevante Aspekte: (1) Es fehlt eine klare und eindeutige Definition der Tokophobie, was sowohl für die Praxis als auch für die Durchführung zukünftiger Studien wichtig wäre. Die Autoren betonen, dass ein gewisses Maß an Sorgen bei einer schwangeren Frau normal sei, denn eine Geburt ist ein weitgehend unberechenbares Ereignis. (2) Die festgestellte Prävalenz unterstreicht die Bedeutung der Tokophobie für das Gesundheitssystem. Ärztinnen, Ärzte und Hebammen sollten hier achtsam(er) sein und diese besondere Angststörung bereits in der Frühschwangerschaft erkennen.
Aufgrund der Heterogenität der ausgewerteten Studien und der fehlenden einheitlichen Definition der Tokophobie sollten die Ergebnisse dieses ersten großen Reviews mit Vorsicht interpretiert bzw. verallgemeinert werden, so die Autoren.
Matthias David, August 2017
Prof. Dr. med. Matthias David