Gyne 04/2017
Sexarbeit und sexuelle Gesundheit –
Was hat die Frauenheilkunde mit der Prostitution zu tun?
Diese Fragestellung wurde auf der letzten Tagung der DGPFG (Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe DGPFG e.V) aus verschiedenen Blickrichtungen beleuchtet. In der angeregten offenen Diskussion zeigte sich, wie unterschiedlich der Wissensstand ist und wie viele offene Fragen es dazu gibt. Ein Resultat der Tagung ist die „Aktion Stöckelschuh“, auf die in der letzten gyne-Ausgabe schon hingewiesen wurde. Ziel ist ein nicht-diskriminierendes frauenärztliches Versorgungs-Angebot für Sexarbeiterinnen, unabhängig von jeder moralischen Bewertung dieser Tätigkeit (mehr unter www.dgpfg.de). Die beiden folgenden Artikel vermitteln dazu das nötige Hintergrundwissen.
Sexarbeit und sexuelle Gesundheit – mehr Fragen als Antworten?
Wer über Sexarbeit reflektieren will, steht vor keiner leichten Aufgabe. Das beginnt schon bei den Zugängen zum Forschungsgegenstand. Wo Stigma und Ausgrenzung die Zugänge zum Feld erschweren, wo Menschen in der Sexarbeit „beforscht“ statt an der Forschung beteiligt werden, fehlt es an wissenschaftlich gesicherten Daten und Fakten. Bislang liegen keine zuverlässigen Zahlen zur Sexarbeit in Deutschland vor, niemand kann seriös die Zahl der Sexarbeiterinnen oder ihrer Kunden benennen. Schätzungen, die in den Medien kursieren, variieren, oft abhängig von bestimmten Interessen. Ob es in Deutschland 20.000, 40.000 oder viele hunderttausend Anbieterinnen für sexuelle Dienste gibt – niemand kann es sagen. Und das wird sich auch kaum ändern, solange Sexarbeiterinnen anders als Ärztinnen oder Frisörinnen kein Interesse daran haben, sich zählen oder gar registrieren zu lassen. Ebenso wenig lässt sich sagen, wie viele Migrantinnen in Deutschland der Sexarbeit nachgehen und wie hoch ihre Zahl im Vergleich zu deutschen Frauen ist. In manchen Regionen berichten Beratungsstellen und Bordelle aktuell von einem sehr hohen Anteil an Bulgarinnen und Rumäninnen.
Zu wenig gesichertes Wissen
Nicht nur die Zahl der Menschen in der Sexarbeit ist unklar. Auch ihre Arbeitsfelder entziehen sich meist einer systematischen Betrachtung. Wie viele Frauen arbeiten in Bordellen? Wie viele auf der Straße? Wie viele bieten „bizarre“ Dienste beispielsweise als Domina an, wie viele arbeiten immer mit Kondom? Ist die Arbeit auf dem Straßenstrich automatisch prekär und die im Bordell immer mit Zuhälterei verbunden? Und wie ist das Preisgefüge, was bedeuten Flatrates oder All-inclusive Angebote einschlägiger Etablissements? Und wie hoch ist eigentlich der Anteil der Männer, die sexuelle Dienste anbieten?
Wo es wenig Daten gibt, bleibt viel Raum für Meinung. Wo es an Faktenwissen fehlt, bestimmen allzu oft Fiktionen den öffentlichen Diskurs. Das ist bei der Sexarbeit nicht anders. Erschwerend kommt hinzu: wer einen Ausschnitt der Sexarbeit kennt, läuft Gefahr, dieses Wissen zu verallgemeinern. Das erschwert den Blick auf die vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen der Sexarbeit. Dabei ist die Branche mindestens so vielfältig wie beispielsweise die Gastronomie.
Die Suche nach dem passenden Wort
Die Herausforderungen im Umgang mit dem Thema zeigen sich auch bei der Wahl der richtigen Worte. Was meinen wir überhaupt, wenn wir von Sexarbeit sprechen? Wäre Prostitution ein angemessenes Wort? Dahinter steht meist auch ein ideologischer Dissens. Wer „Sex gegen Geld“ grundsätzlich für ein Verbrechen hält und in der Prostitution ausschließlich eine Manifestation patriarchalischer Machtverhältnisse erkennt, nutzt meist andere Vokabeln als diejenigen, die eine selbstbestimmte Sexualität auch in der Prostitution fördern wollen. In der Sexualwissenschaft wird „Sexarbeit“ zumeist als Sammelbegriff benutzt. Dort passt er immer, wenn es einvernehmlich um sexuelle Handlungen gegen Entgelt geht: von den Darstellungen in einem Porno-Film bis zur kommerziellen Tantra-Massage, vom nackten Räkeln gegen Geld vor Internet-Kameras bis zum teuren Escort-Service für die Dienstreise. Prostitution wäre in diesem Zusammenhang nur die „klassische“ sexuelle Dienstleistung.
Apropos Dienstleistung: Der Verband für Sexarbeitende in Deutschland nennt sich selbst Berufsverband sexuelle und erotische Dienstleistungen, kurz BESD. Denn der Begriff Sexarbeit ist eigentlich eine Rückübersetzung aus dem Englischen „sex work“. Im internationalen Kontext wird überwiegend von „sex work“ gesprochen, wenn ein neutraler Begriff zum Einsatz kommen soll. „Sex work“ und Sexarbeit werden aber auch als emanzipatorische Vokabeln benutzt, die den Arbeitscharakter betonen sollen. Der Begriff „Prostitution“ trägt für viele Menschen in der Sexarbeit die falschen Konnotationen. Den einen ist der Begriff zu eng, weil er der breiten Vielfalt im Markt keine Rechnung trägt. Die anderen verbinden ihn mit dem Oxymoron „Zwangsprostitution“ und setzen Sexarbeit mit Verbrechen, Gewalt und Menschenhandel gleich. Gleichzeitig gibt es innerhalb der Sexarbeit Menschen, die sich ebenso selbstbewusst als Prostituierte bezeichnen, wie homosexuelle Männer sich als „schwul“ benennen. Internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO oder auch UNAIDS weisen regelmäßig darauf hin, dass Sex bzw. sexuelle Dienstleistungen nicht immer nur im Austausch gegen Geld angeboten und vollzogen werden. Auch der so genannte „transactional sex“, bei dem die Entlohnung in der Finanzierung des Studiums oder auch im Bereitstellen einer sicheren Unterkunft besteht, gehört ebenfalls zum weiten Feld der Sexarbeit. Fach-Foren im Internet, seien es Foren von Kunden, so genannte Freier-Foren, aber auch andere Plattformen zu sexuellen Dienstleistungen, haben die komplexe Problematik zumindest sprachlich verkürzt. Sie sprechen schlicht von Pay-Sex, manchmal auch Pay6. Und aus der Sexarbeiterin oder Prostituierten wird eine SDL – eine Sexdienstleisterin.
Die rechtliche Regulierung der Sexarbeit
In Deutschland ist Sexarbeit grundsätzlich legal. Das Prostitutionsgesetz (ProstG) schuf Ende 2001 auch eine zuvor bestehende Sittenwidrigkeit ab. Seither sind Verträge in der Sexarbeit ebenso gültig wie in anderen Branchen; Sexarbeiterinnen können ihr Salär von zahlungsunwilligen Kunden vor Gericht einfordern und sich auch sozialversicherungspflichtig anstellen lassen. Letzteres wird jedoch von den überwiegend selbständig arbeitenden Menschen in der Sexarbeit kaum praktiziert.
Sexarbeit wird außerdem durch eine Vielzahl von Gesetzen und Verfahren reguliert, beispielsweise aus dem Straf-, Bau-, Gewerbe-, Polizei- oder Steuerrecht. Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern können Sexarbeit beispielsweise mithilfe von Sperrgebietsverordnungen einschränken.
Im Juli 2017 soll das „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“, kurz ProstSchG, in Kraft treten. Dieses unter Fachleuten sehr umstrittene Gesetz sieht unter anderem eine Anmeldepflicht für Prostituierte, eine Kondompflicht sowie eine verpflichtende Gesundheitsberatung vor.
Gerade letztere gilt vielen in der Beratungsarbeit als kontraproduktiv. Nicht nur der BESD, sondern auch das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (Bufas), die Deutsche STI-Gesellschaft, der Deutsche Frauenrat, der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie etliche Nichtregierungsorganisationen wie die Deutsche Aidshilfe kritisieren das Gesetz und befürchten unter anderem mögliche Kollisionen zwischen der Pflicht zu Registrierung und Beratung und dem bewährten Infektionsschutzgesetz (IfSG), nach dem eine gesundheitliche Beratung stets freiwillig und anonym angeboten wird. Vielerorts haben sich nach dem 2002 in Kraft getretenen IfSG gut genutzte Angebote für Sexarbeiterinnen in den Gesundheitsämtern etablieren können. In vielen Fachstellen der Ämter, die oft das Kürzel STI (sexually transmitted infections) tragen und der sexuellen Gesundheit dienen, erhalten auch Menschen ohne Krankenversicherung gesundheitliche Beratung und teilweise auch medizinische Versorgung.
Herausforderung für die gesundheitliche Versorgung
Noch ist unklar, wie die Länder und Kommunen das neue ProstSchG umsetzen werden. Klar ist aber, dass sich nicht alle Menschen in der Sexarbeit als Prostituierte registrieren lassen wollen. Viele fürchten erhebliche Nachteile, wenn ihre Erwerbsquelle bekannt wird. Einige Fachverbände begründen das mit dem hohen Stigma-Risiko, das mit Sexarbeit verbunden ist. Sie verweisen auch auf unabsehbare Konsequenzen für die Betroffenen, da Prostitution in etlichen, auch europäischen Ländern kriminalisiert ist.
Fachleute befürchten deshalb, dass Sexarbeiterinnen, die sich nicht registrieren lassen, künftig den Kontakt zu Ämtern generell vermeiden und in eine Art Halb-Legalität abtauchen. Ihre gesundheitliche Versorgung wäre dann durch den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) nicht mehr zu gewährleisten. Damit könnten auf Ärztinnen und Ärzte in Kliniken und Praxen neue Herausforderungen verbunden sein. Vieles, was bisher erfolgreich im ÖGD angesiedelt ist, könnte sich verlagern. Ob Sexarbeiterinnen dann noch die erforderliche Aufklärung zu sexuell übertragbaren Infektionen, eine empathische Beratung zu sexuellen Praktiken und unkomplizierte medizinische Versorgung beispielsweise bei Kondomunfällen erhalten, wird auch davon abhängen, wie offen, flexibel und fachlich kompetent sich Ärztinnen und Ärzte auf ihre Patientinnen aus der Sexarbeit einstellen.
Zur Autorin:
Harriet Langanke ist Sexualwissenschaftlerin am Center for Sexology and Sexuality Studies der Universität Malmö in Schweden, wo sie speziell zu Freier-Foren im Internet forscht. Sie leitet in Köln die von ihr gegründete Gemeinnützige Stiftung Sexualität und Gesundheit (GSSG) und berät den Vorstand der Deutschen STI-Gesellschaft.
Gyne 4/2017
Sexarbeit – eine Herausforderung für die frauenärztliche Praxis
Wie geht es Sexarbeiterinnen in Ihrer Praxis?
„Ich habe eine Frauenärztin, die mich freundlich und kompetent behandelt, Früherkennungsuntersuchungen durchführt, mich in vielerlei Hinsicht gut berät. Aber wenn ich mal Pech hatte mit einem Freier oder Angst habe, dass mich jemand angesteckt hat mit einer Infektionskrankheit, dann bespreche ich das nicht mit ihr. Ich habe ihr nämlich gesagt, ich sei Werbekauffrau. Was ich wirklich mache beruflich, kann ich ihr unmöglich sagen. Sie weiß immer so genau, was richtig ist.“
Wir FrauenärztInnen wissen zuwenig über Sexarbeit. Dass wir selbst in Großstädten keine oder nur wenige Sexarbeiterinnen kennen und behandeln, hat zwei Gründe: sie kommen gar nicht zu Frauenärzten oder sie verschweigen ihre Tätigkeit als Sexarbeiterin. Auch Frauenärzte beziehen ihre Kenntnisse zu häufig über die Medien, durch die nur bestimmte Facetten der Sexarbeit in den Fokus kommen und Prostitution mehr oder weniger mit Zwang und Menschenhandel gleichgesetzt wird. Aber Sexarbeiterinnen wünschen sich, offen sprechen zu können. Sie wünschen sich eine vertrauensvolle Beziehung, die Möglichkeit, auch über Probleme bei ihrer Arbeit sprechen zu können, ohne gleich mit Vorwürfen überschüttet zu werden, oder gar Verachtung zu spüren. Sie brauchen auch keine freundlich daherkommenden Rettungsversuche. Alle Sexarbeiterinnen machen sich Gedanken über ihre Tätigkeit, meist schon seit Langem.
Was können Sie für Sexarbeiterinnen tun?
Wenn Sie an Sexarbeit denken, was fällt Ihnen zunächst ein? Wie es wäre, wenn Ihre Tochter Ihnen eines Tages erzählen würde, dass sie ihr Studentengeld mit Escortarbeit aufbessert? Oder wenn Ihr Ehemann Ihnen beichten würde, dass er immer wieder eine Sexarbeiterin aufsucht, weil sie größere Brüste hat als Sie und ihm außerdem zuhört?
Sie brauchen Akzeptanz und Fachlichkeit.
Aber kann ich Sexarbeit überhaupt akzeptieren? Weiß ich überhaupt genug und kann deshalb eine Meinung haben?
Hinterfragen Sie die Bilder in Ihrem Kopf:
Bilder der Extreme: „Pretty woman“ und die obdachlose drogenkonsumierende Frau am Straßenrand. Die Welt der Sexarbeit ist aber vielfältiger. Die Bandbreite reicht vom „Straßenstrich“ bis zum Escortservice, Verdienstmöglichkeiten und Lebenswelten sind höchst unterschiedlich. Fast nie kommt jedoch das große Mittelfeld ins Blickfeld, all die Frauen, die in Wohnungen und in kleineren Gruppen weitgehend unspektakulär arbeiten und viele Stammkunden haben. Und was wissen Sie über die Kunden? Auch sie sind „normaler“, als Sie vielleicht denken und Dominanzwünsche kommen vor, sind aber eher selten.
Keine leichte Arbeit, diese Sexarbeit! Wir sollten sie auf keinen Fall idealisieren. Sie können aber eine Sexarbeiterin akzeptieren, ohne ihre Arbeit toll zu finden!
Eignen Sie sich spezielle Kenntnisse an:
Sie beraten und behandeln jetzt schon bezüglich vaginaler und analer Gesundheit. Und sie wissen über „safer sex“ Bescheid. Aber viele spezielle Themen sind uns nicht ganz so vertraut:
Wie wirkt sich dauernder Kondomgebrauch auf die Vagina aus? Welche Arten von Gleitmitteln und Kondome gibt es? Welche Kondome werden für Analverkehr gebraucht? Wie können Sie der älteren Sexarbeiterin helfen? Kann man sich durch Kontakt mit Urin eine Hepatitis C Infektion zuziehen? Wie kann ich Sexarbeiterinnen zu STI-Tests motivieren?…..
Sexarbeiterinnen haben – bis auf die Gruppe der drogenkonsumierenden Frauen unter ihnen – im Mittel nicht mehr STIs, als Frauen mit anderen Berufen. Dennoch, im Umgang mit Sexarbeiterinnen tauchen viele der Ihnen bekannten medizinischen Problemfelder in neuer Intensität auf.
Hier einige Beispiele:
Fast alle Sexarbeiterinnen haben rezidivierende Probleme mit bakterieller Vaginose. Meist entsteht ein polymikrobieller Biofilm, der sexuell übertragbar ist und nicht nur an der Vaginalwand, sondern auch an Epithelzellen im Urin der Partner zu finden ist. Die BV kann subjektiv unangenehm sein (Geruch!), erleichtert aber auch das Vordringen anderer Keime und bedingt eine höhere Rate von Frühgeburten. Die Diagnostik erfolgt einfach mit dem Mikroskop und sinnvollerweise ohne Labor. Prävention mit Laktobazillen und Probiotika ist auf die Dauer der Therapie mit desinfizierenden oder antibiotischen Substanzen überlegen.
Ebenfalls sehr häufig ist die nicht ausheilende HPV-Infektion. Unsere jetzt erwachsenen Patientinnen wurden noch nicht geimpft. Sie wollen Ihrer Patientin keine Angst machen, aber es ist auch wichtig, dass sie zuverlässig zu PAP-Kontrollen kommt. Diese „Compliance“ ist nur durch ein vertrauensvolles Verhältnis zu erreichen, d. h. es liegt auch an Ihnen, ob eine Frau ihre Kontrolltermine einhält oder nicht.
Es gibt keine Impfung gegen Hepatitis C und auch nach einer durchgemachten Erkrankung oder erfolgreichen Behandlung kann man sich immer wieder anstecken. Leider sind drogenkonsumierende Sexarbeiterinnen in doppelter Weise gefährdet. Ungefähr drei Viertel aller Frauen dieser Gruppe sind infiziert. Eine Therapie ist zwar teuer, heute aber nicht mehr wie früher mit starken Nebenwirkungen verbunden und das Virus lässt sich nach der Therapie oft nicht mehr nachweisen. Eine Heilung ist erreichbar.
Sie wollen nach einer Therapie eine neue Infektion verhindern? Dann müssen Sie mit Ihrer Patientin im Dialog bleiben, herausfinden, wo es bezüglich „safer sex“ und „safer use“ noch Schwachstellen gibt. Ebenso wie für die Behandlung bei HIV brauchen Sie die Zusammenarbeit mit einer spezialisierten Praxis für Infektiologie. Dort kann man auch immer wieder einzelne nicht versicherte Frauen zur Therapie unterbringen.
Die Gonorrhoe wird in Deutschland in den letzten Jahren häufiger diagnostiziert. Als Teil des Screenings auf STI nimmt die Gonorrhoe jedoch eine Sonderstellung ein. Idealerweise müssten Sie bei der symptomlosen Frau nicht nur eine Erststrahlurinuntersuchung (PCR) durchführen, sondern auch von Schleimhäuten Abstriche entnehmen (Mund, Urethra, Portio und Anus) und diese im Spezialmedium sofort ins Labor schicken. Dieser Aufwand ist einfach nicht realisierbar und es wird allgemein zur PCR-Untersuchung geraten. Einen schwerwiegenden Nachteil muss man dabei in Kauf nehmen: man bekommt kein Antibiogramm, sondern eine Empfehlung des Labors bezüglich der Antibiose. Für Europa ist sie zurzeit: Cefixim oral. Die DSTIG rät aber primär zu Ceftriaxon, da Neisserien aus Asien oft Resistenzen gegenüber Cefixim zeigen. Und so entsteht das nächste Problem: Ceftriaxon muss als Kurzinfusion gegeben werden. Und Sie müssen erst mal dafür eine Vene finden….
Auf der Homepage der deutschen Gesellschaft für sexuelle Gesundheit DSTIG sind viele Informationen zur sexuellen Gesundheit zu finden. Den neuesten Stand der Therapie von STIs kann man einer übersichtlichen Kitteltaschenbroschüre entnehmen, die bei der DSTIG angefordert werden kann. Interessant sind die Jahrestagungen und Fortbildungen der Gesellschaft, zum Beispiel das „Curriculum zur Sexuellen Gesundheit und STI„ eine neue Fortbildung: „STI und Sexuelle Gesundheit“ – Termine 2017 in Berlin & Bochum (http:// www.dstig.de).
Weitere wichtige Informationsquellen: https://www.bzga.de und http://berufsverband- sexarbeit.de/ Für Ihre Patientinnen: www.liebesleben.de
Passen Sexarbeiterinnen in Ihre Praxis?
„Wenn es um sexuell übertragbare Erkrankungen geht, muss ich ins Gesundheitsamt, weil die Untersuchung bei meiner Frauenärztin viel Geld kostet – so viel, dass ich dafür zwei Kunden mehr brauche. Das ist nicht so einfach zu verkraften.“
Für Sexarbeiterinnen brauchen Sie keine Spezialsprechstunde. Die gibt es auch, zum Beispiel für die Minderheit unter den Sexarbeiterinnen, die Drogen konsumieren und oft obdachlos sind. Den meisten Sexarbeiterinnen sehen Sie ihre Tätigkeit nicht schon von weitem an, sie geben sich noch mehr als andere Frauen Mühe, nicht aufzufallen.
Im Gesundheitsamt wird die STI-Diagnostik kostenlos angeboten. Dies ist auch im Interesse der Allgemeinheit. In der Praxis bei Sexarbeiterinnen STIs auszuschließen, ist selbstverständlich eine Kassenleistung, wenn ein Verdacht vorliegt, oder Ihre Patientin von einer Risikosituation berichtet hat. Diagnostische Maßnahmen bezüglich HIV und Syphilis (nicht namentlich meldepflichtig gemäß Infektionsschutzgesetz) können über die EBM-Kennziffer 32006 außerhalb des üblichen Laborbudgets abgerechnet werden, alle STI Untersuchungen bei Schwangeren über 32007.
Aber wie sieht es mit Absicherungswünschen aus, die Ihnen übertrieben vorkommen? Wenn ständig anlassunabhängige Kontrollen verlangt werden?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Ein offenes Gespräch kann Verständnis auf beiden Seiten erzeugen und jede Kassenärztin muss am Ende individuell entscheiden. Sexarbeiterinnen können durchaus sehr ängstlich sein, oder sogar eine Angststörung haben.
Und der Umgang mit Ängsten ist nicht einfach, ausreden lassen sie sich nicht…
Sexarbeit muss nicht auf der Überweisung stehen, die meisten Frauen möchten diese Art von Veröffentlichung (noch) nicht. Die Aktion „Roter Schuh“ dient der Vorabverständigung zwischen Sexarbeiterinnen und Frauenärzten. Sie als Ärztin oder Arzt signalisieren damit: Sie sind hier willkommen und werden respektvoll und professionell behandelt. Und für die Sexarbeiterin bedeutet das Symbol, dass sie offen sprechen kann, professionell behandelt wird und keine Angst haben muss, verächtlich oder grob behandelt zu werden.
Haben Sie das Gefühl einer Zumutung? Sie werden sehen, dass sich Ihr Engagement für Sie lohnt. Ihre Kompetenz als Frauenärztin oder Frauenarzt wird zunehmen, sie werden wichtige Erfahrungen sammeln und Vorurteile abbauen. Und Sie werden viel Anerkennung bekommen!
Was sich Sexarbeiterinnen von ihren FrauenärztInnen wünschen
- Sie möchten akzeptiert und mit Respekt behandelt werden
- Darüber hinaus wünschen sie sich professionelle Kompetenz bezüglich sexuell übertragbarer Erkrankungen, ihrer Vorbeugung, Diagnostik und Therapie
- Sie wünschen sich ein offenes Ohr, wenn sie einmal besondere Probleme haben, die sie ängstigen, wie zum Beispiel nach risikoreichen sexuellen Praktiken.
- Sie wünschen sich, dass Gespräche über Sexualität möglich sind und Ihr Frauenarzt oder ihre Frauenärztin dafür Zeit findet
Was Sexarbeiterinnen nicht brauchen
- Unerwünschte Ratschläge kommen – nicht nur bei Sexarbeiterinnen! – einfach nicht gut an.
- Die meisten Sexarbeiterinnen haben bezüglich „safer sex“ gute Kenntnisse. Sie müssen nicht erzogen oder ermahnt werden.
- Eine „softe“ Seite der Ablehnung erleben sie im „Rettungsversuch“. Alle Sexarbeiterinnen machen sich Gedanken über ihre Tätigkeit, meist schon sehr lange. Sie brauchen keine vereinfachenden Erklärungen ihrer eher komplizierten Welt, keine simple Aufteilung von Gut und Böse.
Zur Autorin:
Dr. Dorothee Kimmich-Laux ist Biologin und Frauenärztin. Sie war als Frauenärztin niedergelassen mit psychosomatischem Schwerpunkt, fortgebildet in Sexualmedizin und Psychoonkologie. Über viele Jahre war sie Dozentin für Frauenheilkunde im Rahmen der Weiterbildung „Psychosomatische Grundversorgung für Frauenärzte“. Seit 2013 arbeitet sie bei „ragazza“, einer Einrichtung für drogenkonsumierende Sexarbeiterinnen in Hamburg St. Georg.