Stellungnahme von AKF und DGPFG zur fragwürdigen Renaissance der Hormontherapie
28.06.2016
Die vielen Äußerungen in den frauenärztlichen Medien, die eine “Renaissance der Hormontherapie” begrüßen, haben uns zu einer kritischen Reaktion veranlasst.
Stellungnahme des Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF) e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG)
- zur Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) vom 4.5.2016
- zum Editorial im „Frauenarzt“ 5/2016 von Ch. Albring
- sowie zu dem Artikel: WHI-Autoren mahnen: Millionen von Frauen müssen unnötig leiden! von A. O. Mueck in Frauenarzt 5/2016
- Hormontherapie in den Wechseljahren: Evidenzbasierte Indikationsstellung statt Medikalisierung
Schon wieder proklamieren Hormonbefürworter in der DGGG und im BVF eine Renaissance der HRT! Mangels neuer Studienergebnisse generalisieren sie eine einfache Meinungsäußerung von US-amerikanischen ForscherInnen, als wäre sie ein Paradigmenwechsel.
Dabei beziehen sich die WHI-KoautorInnen Joann E. Manson und Andrew M. Kaunitz speziell auf amerikanische Verhältnisse, wenn sie eine Untertherapie feststellen. Ihrer Ansicht nach ist eine Hormontherapie indiziert für Frauen mit mittleren bis schweren klimakterischen Symptomen. Sie gehen davon aus, dass etwa 20 % der Frauen in der frühen Menopause behandlungsbedürftig sind.
In Deutschland wurden im Jahre 2001, also vor Veröffentlichung der WHI, etwa 40 % der Frauen zwischen 50 und 70 Jahren mit Hormonen behandelt. Im Jahre 2007, also 5 Jahre nach der WHI war die Behandlungsrate auf 20 bis 25 % gesunken. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass „Millionen Frauen unnötig leiden müssen“. Im Gegenteil, der Statistik zu Folge werden eher mehr als die 20 % Frauen behandelt. Passend dazu zeigt eine repräsentative Untersuchung deutscher Frauen aus dem Jahr 2012, dass etwa 22 % der Frauen unter deutlichen bis schweren sogenannten Wechseljahres- symptomen leiden (Weidner et al., 2012).
Die WHI-Studie wurde in Deutschland auch nie als Argument benutzt, Frauen mit Wechseljahres-Beschwerden eine effektive Therapie vorzuenthalten. Im Gegenteil, sowohl die S3-Leitlinie von 2009 als auch seriöse Publikationen weisen immer wieder darauf hin, dass es in der WHI um Nutzen und Schaden einer Langzeitbehandlung mit Hormonen aus präventiven Gründen ging und eben nicht darum, die Behandlung von klimakterischen Beschwerden zu bewerten. Kritisch wurde immer nur eine Behandlung gesehen, die „prophylaktisch“ durchgeführt werden sollte. Der Altersdurchschnitt von 63 Jahren in der WHI ist dem Ziel der Studie vollständig angemessen.
Mit der Botschaft, dass das absolute Risiko für unerwünschte Ereignisse bei jüngeren Frauen, also unter 60 Jahren, niedriger ist als für ältere Frauen über 60 Jahren, erfahren wir nichts Neues. Das ist überhaupt die Basis, Frauen Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden zu verordnen. Allerdings lassen es die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zu, wenn unsere Fachgruppenvertreter aus dem Plädoyer für die Behandlung mittlerer bis schwerer klimakterischer Beschwerden gleich wieder eine Indikation für die „jahrelange Substitution, sofort nach Beginn des Mangels“ machen. Die Diktion verrät: Sie haben aus der WHI-Studie nichts gelernt. Sie ignorieren dabei aber auch, wie Frauen heute mit ihren Wechseljahren umgehen wollen, nämlich selbstbestimmt und individualisiert; und dass sie eine kompetente psychosomatische Begleitung wollen und zu schätzen wissen, die viel mehr bein- haltet als eine einseitige Hormonersatz-Therapie (Schumann et al. 2011).
Schließlich beklagen die amerikanischen ForscherInnen, dass junge ÄrztInnen nach der WHI nicht mehr gelernt hätten, klimakterische Beschwerden effektiv zu behandeln. Sie beziehen ihre Begründung aus einem Trainingsprogramm für junge InternistInnen. Es ist ohne Frage wichtig, ÄrztInnen jeder Fachrichtung in Themen der Frauengesundheit zu unterrichten. Aber unsere hiesigen Fachverbände instrumentalisieren diese ehrliche Analyse der amerikanischen Verhältnisse und bringen niedergelassene FrauenärztInnen in Misskredit.
Sowohl AKF e.V. als auch DGPFG verfügen über große Fachexpertise, gerade im gynäkologisch-geburtshilflichen Fachgebiet. Die sich regelmäßig wiederholenden manipulativen Äußerungen von Vertretern der wissenschaftlichen Fachgesellschaft DGGG und des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) speziell zum Thema Hormontherapie in den Wechseljahren sind irreführend (arzneitelegramm 6/2016). Die vielen FachkollegInnen, die ihre Patientinnen mit großem Engagement versorgen, haben Besseres verdient, nämlich eine zuverlässige evidenzbasierte Informationspolitik.
Für die DGPFG
Dr. med.Wolf Lütje
Präsident
Dr. med.Claudia Schumann
Vizepräsidentin
Prof. Dr.med. Kerstin Weidner
Wiss. Beirat
Für den AKF
Dr. med. Dagmar Hertle
1.Vorsitzende
Dr.med. Antje Huster-Sinemillioglu
Beisitzerin
Literatur
Pressemeldung der DGGG e.V. vom 4.5.2016,
Hormonersatzbehandlung in den Wechseljahren hat mehr Nutzen als Risiken, www.dggg.de
Editorial im Frauenarzt 57, Heft 5, 2016, S.433
WHI-Autoren mahnen: Millionen von Frauen müssen unnötig leiden!
A.O.Mück, Frauenarzt 57, Heft 5, 2016, S. 442-4
Menopause Management – Getting Clinical Care Back on Track, Manson, J.E., Kaunitz, A.M., N Engl J Med 374,9 March 3, 2016
Schumann, C., Beckermann, M., Bodelschwingh, F.v., Dorsch, V., Lehmann, C., Möller, I., Tormann, D. (2011) „Es hat nichts gefehlt“ – Wechseljahre 2010 in der psychosomatischen Praxis. In: FRAUENARZT 52 (2011) Nr.12
GEK-Arzneimittel-Report 2007, Glaeske G, Jahnsen, K, Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse Band 55, Bremen, Schwäbisch Gmünd
Weidner, K., Richter, J., Bittner A., Stöbel-Richter Y., Brähler E. (2012) Klimakterische Beschwerden über die Lebensspanne? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in der deutschen Allgemeinbevölkerung. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie 62: 266–275
Arzneitelegramm 6/ 2016: POSTMENOPAUSALE HORMONTHERAPIE – Gynäkologische Fachgesellschaften setzen weiterhin auf Desinformation