Gyne 01/2019
Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch – (wie) geht das in meiner Praxis?
Autorinnen: Jana Maeffert, Christiane Tennhardt
Einleitung
Ungeplante Schwangerschaften gehören zur Lebensrealität von Frauen, Paaren und damit auch ihrer Gynäkologen und Gynäkologinnen. Etwa die Hälfte aller jemals schwangeren Frauen werden mindestens einmal in ihrem Leben unbeabsichtigt schwanger, etwa ein Drittel davon ungewollt [1].
In Deutschland entscheiden sich im Jahr etwa 100.000 Frauen pro Jahr zu einem Schwangerschaftsabbruch (SAB) [2]. Damit gehört der SAB in der BRD zu den häufigen gynäkologischen Fragestellung. Auf 1.000 Frauen im fertilen Alter kommen etwa 5–6 SAB, auf 8 Geburten ein SAB [2] Damit liegt Deutschland im unteren europäischen Bereich. In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der Einrichtungen und Praxen, die einen SAB durchführen, von etwa 2.000 auf etwa 1.200 zurückgegangen, das entspricht einem Rückgang um 40 %.
Ein SAB gehört zu den „kritischen Lebensereignissen“ und es wurde in großen Studien untersucht, wann er sich negativ auf die seelische Gesundheit der Frau auswirkt [3, 4, 5, 6]. Risiken für langfristige Probleme sind: äußerer Druck, der eine freie Entscheidung der Frau verhindert, moralische Verurteilung durch die Umgebung, Zwang zu Verheimlichung, fehlende Unterstützung durch nahestehende Menschen und eine schlechte Behandlung durch Beraterinnen und medizinisches Personal.
Für die Verarbeitung eines SAB ist neben der Art der Betreuung auch die Wahlfreiheit der Methode wichtig [7]. Unsere Erfahrung zeigt, dass es für Frauen entlastend ist, wenn der SAB von der Gynäkolog*in durchgeführt wird, zu der sie schon jahrelang Vertrauen hat. Das ist u. a. möglich durch den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch (mSAB), den jede gynäkologische Praxis anbieten kann. Allerdings scheitert ein breiteres Angebot bislang oft an fehlendem Wissen bzw. dem befürchteten Aufwand.
- Frauen mit reiner PMDS (ohne sonstige psychiatrische Erkrankung) gehören auch nicht zur typischen Klientel von Psychiatern
- Nach der bisher gültigen ICD-10- Klassifikation, in der es keine Diagnosekategorie PMDS gibt (in der ICD-11 wird sich das voraussichtlich ändern) lässt sich die PMDS nicht eindeutig klassifizieren, und vor diesem Hintergrund kann die Gabe von Antidepressiva in solchen Fällen auch für Psychiater eine Off-label-Behandlung sein (was aber ja nicht gegen deren Einsatz spricht)
- Aufgrund der mehr oder weniger regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen besteht in der Frauenarztpraxis eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Frauen dieses „zyklusabhängige“ Thema irgend- wann ansprechen und Hilfe erwarten.
Die aktuelle Situation in Deutschland
Im Jahr 1999 wurde in der Bundesrepublik der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch (mSAB) mit Mifepriston und Misoprostol neben der operativen Methode (opSAB) zugelassen. Seitdem steigt der Anteil der mSAB nur sehr langsam. Im Bundesdurchschnitt liegt er aktuell bei ca. 20 %, mit sehr großen regionalen Unterschieden (Berlin ca. 30 %, Bremen ca. 3 %). Zum Vergleich: Im Nachbarland Schweiz (Zulassung ebenfalls 1999) liegt er bei ca. 65 %, in Schweden bei ca. 80 %.
Der mSAB ist eine international anerkannte, sichere und wirksame Methode, die in Deutschland bis zum Ende der 9. SSW zugelassen ist. Seit 2015 ist auch der sogenannte „Home-use“, bei dem die Blutungsinduktion zu Hause erfolgt, von der DGGG als sicher und empfehlenswert eingestuft worden [8]. Dass diese Methode von den meisten Frauen bevorzugt wird, ist durch mehrere internationale Studien belegt [9].
Die Erfahrungen von Blutung und Schmerz beim mSAB entsprechen in etwa denen bei einem spontanen Frühabort. Die Beschwerden werden von den meisten Frauen zu Hause gut toleriert, insbesondere wenn sie eine prophylaktische Gabe von Analgetika und Antiemetika erhalten.
Die Zahl der Praxen in Deutschland, die den SAB in ihrem Leistungsspektrum haben, geht zurück. Die Gründe dafür lassen sich nur vermuten und sicher spielt es neben der eigenen moralischen Einstellung, der gesellschaftlichen Bewertung und Akzeptanz des SAB eine erhebliche Rolle, wie viel Aufwand es bedeutet, diese Methode in der eigenen Praxis anzubieten.
Außerdem steht der SAB im Strafgesetzbuch und ist nur straffrei, wenn gewisse Vorgaben eingehalten werden. Dies lässt eine gefühlte Bedrohungssituation entstehen, insbesondere, da in den letzten Jahren die Anzeigen gegen Ärzt*innen wegen Verstößen gegen den § 219a („Werbungsparagraphen“) durch Einzelpersonen zugenommen haben.
Besonders im ländlichen Bereich bedeutet dieser Rückgang, dass betroffene Frauen lange Wege zurücklegen müssen und dass insbesondere in Bezug auf die Ärztin oder den Arzt in und Methode keine Wahlmöglichkeit besteht. Für etwa 80 % der Frauen ist es aber sehr wichtig, die Methode wählen zu können und 50–70 % würden sich für den medikamentösen SAB entscheiden – wenn sie die Wahl hätten [7].
Psychische Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs
Die psychisch schwierigste Phase des SAB ist die Zeit vor der Durchführung. Eine ungeplante Schwangerschaft stellt für jede Frau eine Ausnahmesituation dar. Es stürmen Gedanken, Gefühle und Fragen auf sie ein und brauchen Klärung. Die erste Informationsquelle ist für die meist jungen Frauen das Internet. Gerade hier findet sich aber eine Fülle von Fehlinformationen, die die Frauen eher belasten und verunsichern können.
Aufgrund der befürchteten moralischen Bewertung wird der Konflikt weniger mit Freundinnen, Familie und dem Partner geteilt als bei anderen Problemen. Daher bekommt der oder die behandelnde Gynäkolog*in eine wichtige Rolle als Vertrauensperson, der die Schwangerschaft bestätigt und das Wissen besitzt, wie ein Abbruch abläuft.
Nach unserer Erfahrung ist es sehr entlastend für Frauen, wenn der SAB von der bzw. dem vertrauten Gynäkolog*in durchgeführt wird, der eventuell schon vorherige gewünschte Schwangerschaften betreut oder sie in anderen Situationen begleitet hat. Ein „Wegschicken“ zu einer anderen Ärztin oder einem anderen Arzt bedeutet neben dem Zeitverlust häufig eine Stigmatisierung und einen möglichen Vertrauensbruch. Es signalisiert entweder eine moralische Missbilligung oder aber eine fehlende fachliche Kompetenz und impliziert damit eine gewisse Gefährlichkeit oder Kompliziertheit. Auch wenn die Frauenärzt*in einen Schwangerschaftsabbruch moralisch ablehnt, muss sie die Patientin neutral und professionell beraten und empathisch begleiten. Wir erleben immer wieder, dass Frauen nicht möchten, dass ihre vertraute Frauenärztin oder ihr vertraute Arzt vom SAB erfährt oder dass sie nach dem Eingriff die Praxis wechseln, weil sie sich in ihrer Notsituation nicht angenommen gefühlt haben.
Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass die stärkste psychische Belastung durch die moralische Bewertung von Dritten ausgelöst wird [10]. Dazu gehören neben Verwandten und Freunden auch die
Versuche der Anti-Choice-Bewegung, Einfluss auf betroffene Frauen zu nehmen. Es ist äußerst belastend, wenn sie z. B. Gehsteigbelästigungen vor den Konfliktberatungsstellen mit Bildern von Föten
oder Kreuzen ausgesetzt werden. Die gesetzlichen Vorgaben beinhalten Fristen und das Aufsuchen von unterschiedlichen Stellen. Dadurch müssen mehrere Termine vereinbart werden, dies kann durch lange Wege und eingeschränkte Öffnungszeiten einen enormen Zeitverlust bedeuten. Ein SAB ist aber kein elektiver Eingriff, der warten kann.
Es erhöht die Belastung zusätzlich, wenn neben der Beratungsstelle auch noch eine weitere gynäkologische Praxis gesucht werden muss, die den SAB durchführt. Dort trifft die betroffene Frau wieder auf eine neue Person, der ihre Geschichte erzählt werden muss.
Der Zeitverlust kann bedeuten, dass die medikamentöse Methode nicht mehr gewählt werden kann. Viele Praxen haben nur einen Tag, an dem sie operative Eingriffe vornehmen und einige Ärzt*innen operieren nur bis zu einem bestimmten Schwangerschaftsalter. Schlimmstenfalls kommt es dadurch zum Versäumen der Frist von 13+6 SSW (p.m.). Viele Frauen haben bis zum SAB große Angst, dass dies passieren könnte und stehen dadurch zusätzlich unter Stress.
Eine große amerikanische Studie hat gezeigt, dass Frauen, denen ein SAB aufgrund des fortgeschrittenen Schwangerschaftsalters verweigert wurde und die dadurch die Schwangerschaft austragen mussten, ein hohes Risiko hatten, psychische Probleme zu bekommen. Dagegen zeigten die Frauen, bei denen der SAB durchgeführt wurde, kein erhöhtes Risiko und 95 % hielten auch nach 5 Jahren ihre Entscheidung für richtig [11].
Die Vorstellung, ein „Schwermachen“ des SAB und eine verpflichtende Bedenkzeit könnte eine Frau dazu bewegen, die Schwangerschaft auszutragen, offenbart die Annahme, Frauen seien zu einer
verantwortungsvollen Entscheidung nicht allein fähig.
Moralische oder rechtliche Sanktionen verhindern keinen Schwangerschaftsabbruch, sie beeinflussen aber in hohem Maße die Bedingungen, unter denen Frauen, Männer und Ärzt*innen mit dieser Situation umgehen können.
Leitfaden: „Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in der gynäkologischen Praxis“
Es gibt viele Fragen, Hürden und Mythen, die dazu führenas,sdGynäkolog*innen, die den mSAB in ihrer Praxis anbieten möchten, vor der Aufnahme in ihr Leistungsangebot zurückschrecken. Schon allein die Abrechnung über die Kostenübernahme, die Bestellung von Mifegyne® oder die Unklarheit über den Paragraphen § 219a können dafür verantwortlich sein, dass sie ihre Patientinnen lieber zu Kolleg*innen schicken, anstatt ihnen in der Situation der ungewollten Schwangerschaft ärztlich beiseite zu stehen.
Dies hat uns als Gruppe Berliner Gynäkologinnen dazu gebracht, einen Leitfaden zum mSAB zu schreiben. Das Handbuch soll den niedergelassenen Ärzt*innen die Aufnahme des mSAB in das Leistungsangebot erleichtern. Sehr praxisnah und ausführlich werden medizinische, rechtliche und organisatorische Aspekte erläutert. Außerdem werden Komplikationen, besondere Situationen, Kontraindikationen und der genaue Ablauf behandelt. Im Anhang finden sich hilfreiche Dokumente wie Aufklärungen, Checklisten und weiterführende Links. Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Informationen aus dem Leitfaden.
Welche Bedingungen gibt es für die Praxis?
Einige gesetzliche Grundlagen
Die gesetzlichen Grundlagen sind im Strafgesetzbuch unter den Paragraphen §§ 218/219 geregelt und unterscheiden sich für den mSAB nicht zum opSAB [12]. Lediglich die Zulassung gilt für den mSAB in Deutschland nur bis zum Ende der 9. SSW. In anderen europäischen Ländern ist Mifepriston auch für ein späteres Schwangerschaftsalter zugelassen.
Etwa 96 % aller Fälle finden nach der Beratungsregelung statt, daher soll in diesem Artikel nicht auf die Besonderheiten der kriminologischen und medizinischen Indikation eingegangen werden.
Vor der Durchführung eines mSAB sind für die behandelnde Ärzt*in drei Bedingungen einzuhalten:
- Vorliegen eines Beratungsscheins einer staatlich anerkannten Konfliktberatungsstelle
- Einhalten der 3-tägigen Bedenkzeit zwischen Beratung und SAB
- Das Beratungsgespräch und der SAB dürfen nicht in der gleichen Einrichtung/Praxis stattfinden
In vielen Bundesländern gibt es keine Bedingungen für die Durchführung des mSAB und es reicht die Facharztprüfung für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Bestimmungen für die einzelnen Bundesländer und der Bestellungsweg können bei der Firma NORDIC, die Mifegyne® vertreibt, erfragt werden. Dort muss sich die Praxis registrieren lassen.
Die Methode des mSAB
Zunächst wird das Antigestagen Mifepriston (Mifegyne®) eingenommen. Die Einnahme erfolgt unter ärztlicher Aufsicht.
In der Zulassung von Mifegyne® ist die Gabe von 600 mg (im Handel sind 3 Tabletten à 200 mg oder 1 Tablette à 600 mg) vorgeschrieben. Weltweit – auch von der WHO empfohlen – hat sich die 200 mgDosis (1 Tablette à 200 mg) durchgesetzt. Internationale Studien haben keine Unterlegenheit in der niedrigeren Dosierung gefunden [13]. Auch die DGGG hat die Option von 600 mg bzw. 200 mg den durchführenden Ärzten überlassen [8].
24–48 Stunden nach Einnahme erfolgt die Blutungsinduktion mit einem Prostaglandin. Auch hier gibt es unterschiedliche Behandlungsschemata. International hat sich die vaginale oder buccale Anwendung von Misoprostol (Cytotec®, MisoOne®) in einer Dosierung von 400–800 mg je nach Schwangerschaftsalter bewährt. Eine präventive Gabe von Antiemetika und Analgetika wird empfohlen.
1–2 Wochen nach der Blutungsinduktion sollte eine Ultraschalluntersuchung zur Bestätigung der erfolgreichen Beendigung der Schwangerschaft erfolgen.
Für die Durchführung des mSAB ist es nicht erforderlich, dass eine Fruchthöhle mit Dottersack gesehen wird. Auch nach der Bestätigung einer Schwangerschaft allein durch HCG im Urin kann der mSAB durchgeführt werden. Da Mifepriston eine Extrauteringravidität nicht beendet, bedarf es einer genauen Aufklärung der Frau mit besonderer Wichtigkeit der Kontrolluntersuchung. In diesen Fällen muss zum Zeitpunkt der Mifegyne®-Einnahme der Serum HCG-Spiegel bestimmt und nach etwa 5 Tagen kontrolliert werden. Der Abfall des Serum-HCG schließt die EUG aus und bestätigt die erfolgreiche Durchführung des mSAB. Analog zum opSAB und Frühaborten wird nach deutschen Richtlinien eine Rhesusprophylaxe durchgeführt.
In internationalen Leitlinien wird eine prophylaktische Gabe von Antibiotika empfohlen. Für Deutschland gibt es keine Daten über die Häufigkeit von infektiösen Komplikationen. Nach der „screen-andtreat“-Methode sollte durch die vaginale pH-Messung und ein Nativpräparat eine bakterielle Vaginose ausgeschlossen bzw. behandelt werden. Außerdem sollte ein Chlamydientest angeboten werden, der – wie bei allen schwangeren Frauen – von den Krankenkassen übernommen wird.
Kontrazeption nach dem mSAB
Es sollte möglichst keine Frau ohne Beratung über eine weitere Verhütung aus der Praxis gehen.
Eine gewünschte hormonelle Verhütung, auch der Vaginalring, kann am Tag der Misoprostol-Gabe, bzw. innerhalb von 48 Stunden beginnen. Die Einlage eines IUD kann bei komplikationslosem Verlauf bei der Nachuntersuchung oder bei der ersten Menstruation nach dem mSAB erfolgen.
Abrechnung
Ein SAB nach der Beratungsregelung ist keine Leistung der Krankenkassen. Es werden aber Kosten wie Feststellung des Schwangerschaftsalters, Bestimmung der Blutgruppe, Chlamydientest, Maßnahmen zur Behandlung von Komplikationen u.a. übernommen. Sie können wie üblich als Leistungsziffern gegenüber der KV abgerechnet werden. Der Großteil der Kosten wird als Selbstzahlerleistung oder über eine Kostenübernahme abgerechnet. Frauen, die in Deutschland gemeldet sind und über ein geringes Einkommen verfügen, können eine Kostenübernahme vor der Durchführung des SAB bei der jeweiligen Krankenkasse beantragen.
§ 219a
Seit November 2017 ist der § 219a als „Werbungsparagraph“ durch die Verurteilung einer Giesener Ärztin verstärkt in Medien und Öffentlichkeit diskutiert worden. Eine Streichung bzw. Neuregelung wird derzeit im Bundestag verhandelt. Der bei Redaktionsschluss vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, dass zumindest darüber informiert werden darf, dass in der Praxis SAB durchgeführt werden. Bis dato verbietet § 219a eine direkte Information z. B. auf der Homepage, dass in der Praxis SAB durchgeführt werden. Dieses Verbot gicihlttnfür die Information von Kolleg*innen (Zuweiser*innen), Beratungsstellen oder für die Veröffentlichung in Fachinformationen. In einigen Bundesländern (z.B. Berlin, Hamburg) gibt es Listen der anbietenden Praxen, die vom Senat öffentlich im Internet zugänglich gemacht werden.
Bedingungen für die Ausstattung in der Praxis
Wenn der mSAB nur im „Homeuse“ angeboten wird, gibt es keine besonderen Bedingungen. Es muss dabei aber gewährleistet sein, dass am Tag der Blutungsinduktion zu Hause eine erwachsene Person zugegen ist. Bei Sprachbarrieren, sehr ängstlichen Patientinnen oder eingeschränkter Compliance empfiehlt sich die Blutungsinduktion in der Praxis. In diesem Fall ist es ideal, einen kleinen, abgetrennten Raum mit einer Liege und einer Sitzgelegenheit anzubieten. Die meisten Frauen bevorzugen aber für das Abbluten die vertraute Umgebung zuhause. Der mSAB, insbesondere im „Home-use“ liegt stärker in der Hand der Frau als der opSAB. Für viele Frauen bedeutet dies, dass sie dadurch die Kontrolle über das behalten, was passiert und erleben dies als positiv. Andere Frauen bevorzugen gerade die Abgabe der Kontrolle und Verantwortung an medizinisches Personal beim opSAB. In jedem Fall werden Blutung und meistens auch Schmerzen beim mSAB stärker erlebt als bei der operativen Methode. Darüber muss die Patientin sachlich aufgeklärt werden, damit sie selbst entscheiden kann, welche Methode für sie die richtige ist.
Wie auch beim ambulanten Operieren üblich sollte es die Möglichkeit der telefonischen Erreichbarkeit während und außerhalb der Praxisöffnungszeiten geben. Viele Praxen nutzen dafür ein eigenes Notfalltelefon, dass von einer erfahrenen MFA oder der Ärzt*in selbst bedient wird. In der Regel sind bei guter Aufklärung Anrufe eher selten.
Muss die Möglichkeit zur OP bestehen?
Um den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in der Praxis durchzuführen, muss in der Regel keine Zulassung zum ambulanten Operieren bestehen. Einige Bundesländer bestehen darauf, u.a. Bayern. Die Kooperation mit einer Klinik, die Patientinnen mit Komplikationen empfohlen werden kann, ist von Vorteil. Die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs ist selten.
Berufshaftpflicht
Die Berufshaftpflichtversicherung muss informiert werden, wenn der mSAB in das Leistungsangebot aufgenommen wird.
Da Cytotec® im „off-label-use“ verwendet wird und auch die Dosierung von 200 mg Mifepriston als „off-label-use“ gilt sollte dies angegeben werden. Beide Medikamente sind im „off-label-use“ in Fachkreisen in dieser Dosierung und Gebrauch anerkannt. Uns sind keine Erhöhungen der Versicherungsbeiträge durch das Aufnehmen des mSAB bekannt.
Mit MisoOne® gibt es seit 2018 auch ein zugelassenes Misoprostol-Präparat, so dass der mSAB mit 600 mg Mifegyne® und MisoOne® auch zulassungskonform durchgeführt werden kann. Allerdings gilt die Zulassung für MisoOne® nur bis zum 49. Tag p.m. und nur für die orale Anwendung.
Die App “Medabb”
Zusätzlich zum Leitfaden wurde die App „Medabb“ entwickelt. Sie soll Frauen helfen, die Methode im „Home-use“ richtig anzuwenden, Sicherheit während des Prozesses vermitteln und adäquates Verhalten während der Durchführung unterstützen. Sie kann kostenlos heruntergeladen werden und hat drei Funktionen.
- Es werden zu definierten Zeitpunkten erklärende und beruhigende Nachrichten geschickt. Diese Nachrichten sind mit einer freundlichen Figur illustriert und sollen immer wieder vermitteln „alles läuft ganz normal“.
- Die App hält eine umfangreiche FAQ Liste parat.
- Über einen Notfallbutton wird eine Verbindung zu der Telefonnummer aufgebaut, die beim Download als Notfallnummer eingegeben wurde.
Eine Evaluation, die im Frühjahr 2018 in 5 verschiedenen Praxen durchgeführt wurde ergab, dass alle Frauen die App als hilfreich empfunden und gut benotet haben. Unsere Erfahrung zeigt, dass insbesondere jüngere Frauen und Frauen mit Sprachbarrieren von der App profitieren. Sie kann Sicherheit vermitteln, ohne dass die Hürde eines Anrufs überwunden werden muss.
Die App kann im GooglePlayStore (Android) und im AppStore (iOS) kostenlos heruntergeladen werden. Es kann zwischen 6 Sprachen gewählt werden (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Polnisch).
Schlussbemerkung
Kaum eine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch. Mehr als die Hälfte der Betroffenen sind bereits Mütter und wissen, was die Verantwortung für ein Kind bedeutet. Die Entscheidung zum Fortführen oder Abbrechen einer ungeplanten Schwangerschaft wird nach einem verantwortungsvollen Abwägen der potenziellen Konsequenzen getroffen. Die Einschätzung derer kann nur die betroffene Frau vornehmen. Wir sollten diese Patientinnen genauso empathisch, respektvoll und fachlich kompetent begleiten wie die, die ihre Schwangerschaft austragen.
Literatur:
- BZgA “frauen leben“ 3. Online unter www.forschung.sexualaufklaerung.de
- Statistisches Bundesamt.Schwangerschaftsabbrüche. Online unter www.destatis.de
- TFMHA. American Psychological Association, Report of the Task Force on Mental Health and Abortion. Washington DC: American Psychological Association 2008
- AMRC. Academy of Medical Royal Colleges. Induced abortion and mental health:a systematic review of the mental health outcomes of induces abortion, including their prevalence and associated factors. London: Academy of Medical Royal Colleges 2011; 18−19;58−60
- Munk-Olsen et al. Induced First-Trimester abortion and Risk of Mental Disorder. N Engl J Med 2011; 364:332−339
- Vignetta C.E. et al. Abortion and longterm mental health otucomes : a systematic review of the evidence. Contraception 78(2008)436-450 7) Howie FL, Henshaw RC, Naji SA, Russell IT, Templeton AA. Medical abortion or vacuum aspiration?Two year follow up of a patient preference trial. Br J Obstet Gynaecol. 1997 Jul;104(7):829−33.
- 218. Stellungnahme DGGG vom 9.6.2015
- Hemmerling A, Siedentopf F, Kentenich H. Emotional impact and acceptability of medical abortion with mifepristone: a German experience. J Psychosom Obstet Gynaecol 2005; 26(1): 23–31.
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- Turnaway study. Foster et al. Www.ansirh. org/research/turnaway
- Originaltext §§218/219 dejure.org/gesetze/StGB/218.html
- Kulier R,Kapp N,Gülmezoglu AM,Hofmeyr GJ,Cheng L, Campana A. Medical methods for first trimester abortion. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 11. Art. No.: CD002855.
Korrespondenzadressen:
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(Ansprechpartnerin zu Fragen und zur Bestellung des Leitfadens „Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in der gynäkologischen Praxis“)