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Der Film entspricht genau meiner Vorstellung von Japan. Vielleicht, weil das Drehbuch auf zwei Geschichten von Haruki Murakami beruht, meinem Lieblingsautor, auch wenn ich ihn leider nicht im Original lesen kann. Den Film zu sehen ist beruhigend: Man sieht sich Bilder an, die man wie ein Déjà-vu schon im Kopf gesehen hat.

Der Film erzählt eine Liebesgeschichte, die mit einer anderen verflochten ist – “Onkel Wanja” von Tschechow, der auf einem Theaterfestival aufgeführt werden soll. Die Handlung ist langsam und konsequent, chronologisch klar. Zwei Menschen, eine Drehbuchautorin und ein Theaterregisseur, leben nach dem Tod ihres Kindes wie in einem Traum gefangen. Das Leben geht nur scheinbar weiter, wie der Verkehr auf Tokyos verschlungenen Highways. Das intime Leben des Paares spielt sich nicht nur im Schlafzimmer ab, sondern auch im wechselseitigen Weiterschreiben der Geschichte, die die Frau erzählt. Die Beiden sind, egal was geschieht, eng verbunden; das erinnert an Tschechows Helden. Aber sie können nur die Geschichte der Anderen schreiben, nicht die eigene.

Plötzlich passiert etwas, was die Handlung dramatisch ändert – es soll hier nicht verraten werden, das würde dem Film die Erwartungsspannung nehmen, mit der er aufgeladen ist. Sie wird im ersten Teil durch Bewegung von innen nach außen angetrieben. Nach der Wende werden die Szenen im Haus durch Außenszenen ersetzt. Die Straße und der Wechsel der Jahreszeiten bestimmen den zweiten Teil – Casting, Proben, und vor allem: lange Autofahrten mit einer rätselhaften, schweigsamen Fahrerin, die die Ermächtigung bekommt, seinen geliebten alten Saab zu fahren, und deren eigene Geschichte sich langsam enthüllt. Auch in Tschechows Onkel Wanja geht die Bewegung von außen nach innen. Das Stück beginnt im Garten und endet im Zimmer, verdichtet zu einem dramatischen Knoten. In der Inszenierung, deren Entstehung wir im Film verwundert verfolgen, werden die Figuren von Menschen gespielt, die verschiedene Sprachen sprechen; eine der Schauspielerinnen ist taubstumm.

Auch die Filmhandlung vollendet schließlich diesen Kreis, in einer bestimmten, fast traumhaften Weise, mit Sonyas Monolog aus Onkel Wanja. Was das Traumhafte darin ist, auch das soll hier nicht verraten werden. Schon weil das gar nicht ginge. Man muss diesen Schlussakkord erleben.

Schon deshalb sollte man den Film im Original mit Untertiteln sehen, um die Irritation mitzuvollziehen. Die japanische Sprache klingt hart und – für unsere Ohren – sehr ernst, selbst wenn gescherzt wird. Irgendwie abgeschnitten. Schon das Zuhören erzeugt Spannung. Ich fühlte mich, als würde ich vor Anspannung aufhören zu atmen. Dann ließ ich mich auf den Film ein, der drei Stunden lang läuft, ohne Widerstand. Murakami ist ein Dichter. Der Film erzeugt eine Atmosphäre unermesslicher Traurigkeit, unermesslicher Schuld (es geht nicht ohne sie) und bedingungsloser Liebe.

Drive my Car ist bei dem 94. Academy Awards in den Kategorien Bester Film, Bester internationaler Film, Bestes adaptiertes Drehbuch und Beste Regie nominiert.

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