Dr. med. Ruth Gnirrs
Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin
Ich hatte das große Glück, in Marburg einen Studienplatz für Medizin zu bekommen. Glück deshalb, weil sich damals gerade unter der Leitung von Professor Schüffel der Lehrstuhl Psychosomatik etablierte, der sich für eine stärkere Ausrichtung im Sinne einer Patientenorientierten Medizin (POM) im Studium einsetzte.
Unter der Leitung von Herrn Schüffel waren wir in einer Gruppe von TutorInnen mit der Projektentwicklung und Leitung von Studentischen Anamnesegruppen sowie mit der wissenschaftlichen Auswertung dieses Anamnese- Gruppen-Projekts betraut. Das Erlernen kommunikativer Fähigkeiten im Gruppenkontext parallel zum Medizinstudium war eine grosse Hilfe für meine weitere berufliche Tätigkeit. Wir konnten üben, auch in der Rolle als DozentInnen unsere Arbeit ohne allzu große Aufgeregtheit zu zeigen, d.h. auch im Unterricht praxisnah und mit Rollenspielen und Videos unserer Arbeit zu arbeiten. Äusserst unterstützend war die begleitende Supervision durch Professor Dieter Eicke, einem Psychoanalytiker aus Kassel. Wir konnten das Potential eines Lernens in Gruppen direkt erleben, ebenso die förderliche Auswirkung von respektvollem Kontakt: Gesehen werden und sich Zeigen können sowohl für die PatientInnen als auch für die StudentInnen. Dies führte dazu, dass wir TutorInnen auch in der Folge gerne in und mit Gruppen arbeiteten. Aus dieser ersten Gruppe von TutorInnen ging eine ganze Reihe psychosomatisch sehr engagierter KollegInnen hervor. Wir blieben miteinander trotz Entfernung verbunden, z.T. bis heute.
Nach dem Studium begann ich parallel zur allgemeinmedizinischen Ausbildung in Kassel mit meiner psychotherapeutischen Ausbildung.
Während der Assistenzarztzeit in Kassel leitete ich mit einem Kollegen Balintgruppen, in denen Studenten des Praktischen Jahres über ihren Einstieg in die Arbeit im Krankenhaus und ihren Umgang mit der Hierarchie im Krankenhaus sprechen, aber v.a. über ihren Umgang mit den PatientInnen miteinander nachdenken konnten. Auch für unsere eigene berufliche Praxis organisierten wir uns die Unterstützung in einer Balintgruppe unter der Leitung eines Internisten und Psychoanalytikers. Im Rahmen meiner Facharztausbildung für Allgemeinmedizin arbeitete ich dann in der Inneren Medizin in einem kleinen kirchlichen Krankenhaus. Im Nacht- und Wochenenddienst wurden wir auch im Kreissaal eingesetzt. Eindrücklich war für mich damals, wie stark der Geburtsverlauf von der Atmosphäre im Kreissaal mitbestimmt wird. Nach 3 weiteren Jahren Chirurgie habe ich in einer allgemeinärztlichen Praxis im Südschwarzwald die Hausarztmedizin kennen und schätzen gelernt und die allgemeinmedizinische Ausbildung mit der Facharztprüfung abgeschlossen. Zur Vervollständigung meiner psychotherapeutischen Weiterbildung arbeitete ich danach in der stationären Psychotherapie und Psychiatrie – zunächst im Schwarzwald, später in der Schweiz. Nach dem Abschluss meiner tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieausbildung und einer Ausbildung in Paar- und Familientherapie in Zürich bot sich die Möglichkeit, in Hamburg am Universitätsklinikum Eppendorf unter der Leitung von Gunter Schmidt und Margret Hauch eine Ausbildung in Sexualtherapie zu absolvieren.
Ich begann 1994 unter der Leitung von Professor Claus Buddeberg meine Arbeit in der Sexualmedizinischen Sprechstunde des Universitätsspitals Zürich. In meiner Dissertation beschäftigte ich mich mit Ursachen und Interventionsmöglichkeiten bei Erektionsstörungen, ebenfalls betreut von Professor Buddeberg. Meine psychosomatisch/ psychotherapeutische Ausbildung schloss ich mit der Facharztprüfung in Freiburg ab. In meiner langjährigen Arbeit als Oberärztin der Sexualmedizinischen Sprechstunde des Universitätsspitals Zürich unter der Leitung von Professor Buddeberg war ich beschäftigt mit der Therapie von funktionellen sexuellen Störungen bei Frauen und Männern, d.h. mit “verleiblichten“ Kommunikationsstörungen, wie auch mit den Auswirkungen körperlicher Erkrankungen auf Partnerschaft und Sexualität. Mit Professor Claus Buddeberg hatte ich einen psychosomatisch denkenden und menschlich ungemein ermutigenden Mentor, der immer wieder auf die Sexualität als eine wichtige Ressource zur Bewältigung körperlicher Erkrankungen hinwies.
Seit meinem Umzug nach Kassel im Jahr 2004 arbeite ich in einer eigenen psychotherapeutischen Praxis mit dem Schwerpunkt Einzel-, Paar- und Sexualtherapie, Sexualmedizin sowie als Supervisorin.
Seit zehn Jahren leite ich in Kassel eine Supervisionsgruppe für psychosomatisch interessierte Gynäkologinnen und bin als Psychosomatikerin Kooperationspartnerin des Kinderwunschzentrums in Kassel.
Seit 1995 bin ich Dozentin und Supervisorin der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGFS) und leite Kurse für Sexualberatung, Sexualtherapie und Sexualmedizin in Eschwege, München, Berlin und Hamburg.
In all diesen Kursen geht es neben der Vermittlung eines sexuologischen Basiswissens darum, zu üben, mit PatientInnen über ihre Sexualität im Kontext ihrer gesamten Lebenssituation zu sprechen, die Hintergründe und die mögliche Sinnhaftigkeit der sexuellen Probleme gemeinsam zu verstehen, mit dem Ziel, sie möglicherweise verabschieden zu können. Das Zusammenwirken seelischer, körperlicher, partnerschaftlicher, aber auch sozialer Faktoren wird gerade im sexuellen Erleben und in der Entstehung sexueller Symptome überraschend deutlich. Sexuelle Störungen sind wichtige und häufige psychosomatische Störungen und können die Lebenszufriedenheit ebenso wie die Zufriedenheit in einer Partnerschaft massiv beeinträchtigen. Es ist mir ein Anliegen, dass PatientInnen mit sexuellen Schwierigkeiten früher wirksame Hilfe erhalten.
So geht es für mich immer noch um beziehungsorientierte Medizin – um die Beziehung zwischen seelischem und körperlichen Empfinden, seelischer und körperlicher Gesundheit und Krankheit, um die Beziehung zwischen Patienten und ihren Partnern, dem familiären und sozialen Umfeld und um den Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung auf Augenhöhe. Und: ich arbeite immer noch gerne interdisziplinär vernetzt und in Gruppen.
Durch meine Mitarbeit im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe hoffe ich deshalb, einen Beitrag zur interdisziplinären Vernetzung leisten zu können. Für mich selbst erhoffe ich mir dort weitere interessante Begegnungen und Anregungen, wie ich sie in den letzten zehn Jahren im Rahmen der Jahrestagungen dieser Gesellschaft erinnere. Als aktives Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung hoffe ich, zu einer guten Kooperation dieser beiden Gesellschaften beitragen zu können.
Und natürlich ist es mir ein Anliegen, das Interesse an Sexualberatung und Sexualmedizin zu wecken und zu vertiefen, damit Patientinnen mit sexuellen Problemen früher und kompetenter Hilfe erhalten.
Dr. med. Ruth Gnirss, Kassel