Gyne 02/2016
„Irgendwoher muss es doch kommen!“ – Psychosomatischer Umgang mit chronischen Unterleibsschmerzen
Autorin: Claudia Schumann
Ein typisches und häufiges Beschwerdebild in der Praxis sind anhaltende Schmerzen ohne eindeutige somatische Erklärung. Dabei überwiegen die weiblichen Patientinnen. Als Ursachen für diesen Geschlechterunterschied werden „v.a. geschlechtsspezifische Unterschiede in der Assoziation mit psychischen Störungen und Traumata, in der Verarbeitung, Interpretation und Kommunikation von Körperreizen, in der Entwicklung von Krankheits- und Gesundheitskonzepten und –verhalten“ angenommen [1]. Prävalenz-Erhebungen aus den USA zeigen, dass 15% aller Frauen von chronischem Unterbauchschmerz betroffen sind [2], für Europa werden ähnliche bzw. eher noch höhere Zahlen vermutet [3]. Auf die Mehrzahl dieser Frauen passt die Definition der „somatoformen Schmerzstörung“ nach ICD 10 / F 45.4: „ Die vorherrschende Beschwerde ist ein andauernder (mehr als sechs Monate), schwerer und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann. Er tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auf, die schwerwiegend genug sein sollten, um als entscheidende ursächliche Faktoren gelten zu können.“
Die Schmerzen quälen nicht nur die Betroffenen, sie machen auch die behandelnden Ärzte und Ärztinnen oft ratlos: Was tun? Wie umgehen mit dem Erwartungsdruck? „Patienten sind oftmals frustriert und verunsichert, da sie unter den Beschwerden zum Teil erheblich leiden, es aber scheinbar keine Erklärung bzw. Behandlung für sie gibt, und Behandler befürchten, eine ernsthafte somatische Erkrankung zu übersehen“ – heißt es im einleitenden Statement der S3-Leitlinie „Nicht spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden“.
Im Folgenden beschränke ich mich auf den chronischen Unterbauchschmerz, eines der häufigsten Schmerzsyndrome bei Frauen im fertilen Alter. Dabei geht es mir vor allem um die „Fallstricke“ der Arzt-Patientin-Beziehung, die Einschätzung des Schweregrades und um konkrete Strategien für die Praxis.
Bezugsrahmen der Ausführungen sind vor allem die aktuellen Leitlinien allgemein zu den somatoformen Schmerzstörungen [4,5] und speziell zum chronischen Unterbauchschmerz [6].
Kasuistik 1: „Ich hoffe, SIE können mir endlich helfen!?“ – Teil 1
Lena S., 21 Jahre, hat wegen ihrer starken Unterleibsschmerzen in den letzten zwei Jahren schon drei Laparoskopien hinter sich. Die Diagnose Endometriose ist histologisch gesichert, kleinere Endometriose-Herde wurden operativ entfernt. Die Schmerzen treten trotzdem immer wieder auf. Fünf Gynäkologen hat sie konsultiert, zuletzt einen „Spezialisten“ in der 100km entfernten Großstadt. Auch der hatte keine Lösung parat. Jetzt sitzt sie mit akuten Schmerzen zum ersten Mal erwartungsvoll in meiner frauenärztlichen Praxis: „Sie sollen sich ja mit Endometriose auskennen!“ Sie hat eine lange Liste der verschiedenen Hormonpräparate dabei, nichts habe auf Dauer geholfen; die Hormonspirale wurde wegen Dauerblutung und Schmerzen nach drei Monaten wieder gezogen. Die Ausbildung hat sie wegen der Fehlzeiten abbrechen müssen, auch stundenweise Jobs schafft sie nicht, sie ist dauernd erschöpft und der Freund hat sich getrennt. Jetzt lebt sie allein, finanziell unterstützt vom Arbeitsamt.
Lena S. ist eine schlanke hübsche sympathische junge Frau, die mit einem eingefrorenen Dauer-Lächeln ihre ganze Misere schildert: die lieblose Kindheit nach der frühen Trennung der Eltern, das frühe „Allein-gelassen-Sein“, als die Mutter mit dem neuen Partner zusammenzog und sie „nur störte“, die dauernde Entwertung und ihr Kampf dagegen. Dass man etwas gefunden hat als Ursache der Schmerzen– die Endometriose – findet sie gut; und ist enttäuscht, dass sich das nicht einfach wegmachen lässt. Am liebsten würde sie sich noch einmal operieren lassen. (Fortsetzung weiter unten)
Ätiologie und Risikofaktoren des chronischen Unterbauchschmerzes
Beim chronischen Unterbauchschmerz muss man eine Vielzahl möglicher körperlicher Ursachen bedenken: Endometriose, Myome, Adhäsionen, Ovarialcysten, Colon irritabile, maligne Erkrankungen, Reizblase, Rückenerkrankungen u.a.. Auch bei gründlicher Untersuchung incl. Bildgebung und Bauchspiegelung lässt sich oft kein eindeutiges Korrelat für die Beschwerden finden. Aber selbst wenn man eine körperliche Ursache – z.B. Endometriose-Herde – findet, gibt es oft genug eine Diskrepanz zwischen dem körperlichen Befund und der angegebenen andauernden Schmerzsymptomatik.
Dafür gibt es keine eindeutigen Erklärungen. Aber wir kennen Risikofaktoren für die Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms; dazu zählen vor allem Stressfaktoren in der Kindheit [1], die den Aufbau einer „sicheren Bindung“ beeinträchtigen, wie emotionale Vernachlässigung, psychische Erkrankung der Eltern, und auch Gewalterfahrung jeglicher Art. Für die Entwicklung speziell des chronischen Unterbauchschmerz werden in einer großen Metaanalyse [2] körperliche wie seelische Risikofaktoren benannt: Adhäsionen (nach Entzündung), Endometriose, Z.n.Sektio, Z.n.Abort, körperlicher oder seelischer Missbrauch, Angst, Depression. Kein Zusammenhang wurde nachgewiesen mit Ausbildungsstand, Familienstand, Erwerbstätigkeit, Parität, und Infertilität. Abschließend bedeutet das für die Diagnostik, dass körperliche wie seelische Faktoren in gleicher Weise im Auge behalten werden müssen.
Die Beziehung zwischen Patientin und Ärztin/Arzt
Die Behandler-Patientin-Beziehung wird oft schon von Anfang an und von beiden Seiten als schwierig erlebt. Typischerweise werden folgende Gefühle beim Behandler ausgelöst [5]:
- Hilflosigkeit, Unsicherheit, Ratlosigkeit, Scheitern
- Gefühl, erst idealisiert und dann entwertet zu werden
- Entscheidungsdruck, Getäuscht-Fühlen, Entlarven-Wollen; sich unter Druck gesetzt fühlen
- Machtkampf, Ohnmachtserleben, Manipulation
- Langeweile, Ungeduld, Enttäuschung, Wut, Ärger,
- Frustration, Ablehnung der Patientin; Wunsch, sich zu entziehen.
Das muss man wissen, bedenken und sich darauf einstellen bzw. die Gegenübertragung bewusst nutzen! Der Aufbau einer (trotzdem) tragfähigen Beziehung schon bei der Anamnese ist das A und O der Behandlung. Dabei geht es um eine „gelassene, empathische, aktiv-stützende, symptom- und bewältigungsorientierte Grundhaltung“ [7], kurz: ein professionell-gelassener Umgang mit der „schwierigen Patientin“. Wenn das nicht gelingt besteht die Gefahr des „doctor-hoppings“ (wie bei der von mir geschilderten jungen Frau), weil die Patientin sich immer wieder un- oder falsch verstanden fühlt und ihre (unrealistisch) hohen Erwartungen nicht erfüllt, aber auch nicht auf ein realistisches Maß reduziert werden.
Die Beschwerden sollten ausführlich geschildert und ernst genommen werden, im Sinn des „aktiven Zuhörens“ sollten Interesse und Akzeptanz signalisiert werden. „Mit psychosozialen Themen soll zunächst beiläufig und indirekt statt konfrontativ umgegangen werden, zum Beispiel durch das Begleiten des Wechsels zwischen Andeuten psychosozialer Belastungen und Rückkehr zur Beschwerdeklage (“tangentiale Gesprächsführung“) [5]. Zusätzlich zu den spontan geschilderten Körperbeschwerden sollte gezielt nach anderen Leitsymptomen der somatoformen Schmerzstörung gefragt (chronische Müdigkeit, diffuse Rückenschmerzen u.a.) und die „Funktionsfähigkeit im Alltag“ eruiert werden.
Simultan-Diagnostik: bio-psycho-sozial
Im Sinne einer bio-psycho-sozialen Grundhaltung sollte immer eine „Simultandiagnostik“ erfolgen, also ein „sowohl-als auch“ signalisiert werden statt einem „entweder-oder“. Laut Leitlinie gilt sogar: Ein „Abwarten somatischer Ausschlussdiagnostik trotz Hinweisen auf psychosoziale Belastungen ist kontraindiziert“ [5]. Der Zusammenhang zwischen Unterbauchschmerzen und Depression ist unklar: Zwar konnte in der WHO-Metaanalyse ein stat. signifkanter Zusammenhang zwischen Depression und Unterbauchschmerz nachgewiesen werden [2], andrerseits kann man auch die depressive Symptomatik als Reaktion auf den chronischen Schmerz interpretieren.
Gewalterfahrungen werden anamnestisch deutlich gehäuft gefunden, wobei die Datenlage unterschiedlich ist. Einige Studien haben ergeben, dass 40–60% der Frauen mit chronischem Unterbauchschmerz ohne körperliches Korrelat in der Anamnese sexuell oder körperlich missbraucht wurden [8,9]. Eine prospektive Studie bei Kindern, die Opfer von Gewalttaten waren, ergab allerdings kein vermehrtes Auftreten ungeklärter Schmerzsyndrome [10]. Insgesamt ist gesichert, dass körperliche und/oder sexuelle Gewalterfahrung ein Risikofaktor für die Entwicklung eines chronischen Unterbauchschmerzes, aber der Zusammenhang nicht zwingend ist.
Auch wenn psychosoziale Belastungen eindeutig im Vordergrund zu stehen scheinen oder es sogar Hinweise auf eine sexuelle Traumatisierung gibt, darf die körperliche Abklärung nicht entfallen. Die Frau hat körperliche Schmerzen, sie erwartet und braucht eine Be-HAND-lung im wahrsten Sinne des Wortes. Eine sorgfältige körperliche Untersuchung, ergänzt um die gynäkologische Untersuchung incl. vaginalem Ultraschall sind oft aufschlussreich: Was tut wie weh? Welche Vorstellungen hat die Frau? Diffuse Ängste können oft schon in dieser Phase reduziert werden durch beruhigende Erklärungen.
Wichtig sind die Transparenz aller Untersuchungsschritte und die gemeinsame weitere Planung: Kann man zunächst abwarten, weil die Situation aktuell nicht bedrohlich bzw. die Beschwerden aushaltbar sind, oder ist eine weitere Abklärung notwendig? An erster Stelle steht hier die diagnostische Bauchspiegelung. Zusammen mit der Patientin wird geklärt, wann und warum eine Bauchspiegelung sinnvoll und was dabei zu erwarten ist. So können Voroperationen oder Unterleibsentzündungen evtl. zu Verwachsungen geführt haben, eine starke Dysmenorrhoe kann Hinweis sein auf eine Endometriose; aber es kann sich auch trotz Schmerzen ein „Normalbefund“ finden.
Im Anschluss an die operative Diagnostik ist eine ausführliche Befundbesprechung wichtig mit einer Wertung der Befunde, denn die Korrelation zwischen „Befund“ und „Schmerz“ ist oft nicht eindeutig.
Gefahr der iatrogenen Chronifizierung
So sollte es sein – denn bekannt ist andererseits: Das ärztliche Behandlungsverhalten kann einen Beitrag leisten zur Chronifizierung der Symptomatik! Und viele Frauen haben schon eine Odyssee hinter sich und sind entsprechend verunsichert bzw. fixiert auf die Symptomatik durch eine rein somatische Behandlung. Zu den bekannten „iatrogenen Chronifizierungs-faktoren“ in Diagnostik und Therapie gehören [5]:
- einseitiges biomedizinisches oder psychologisierendes Vorgehen
- Über-Diagnostik, Überschätzen medizinischer Befunde,
- Mangelnde oder stigmatisierende Information („Sie haben nichts“, „alles nur psychisch“)
- Förderung passiver Therapiekonzepte (Operationen, Injektionen, Massage, lange Krankschreibung)
- Unzureichende analgetische Behandlung; unkritische Verschreibung von suchtfördernden Medikamenten
Einschätzen des Schweregrads
Im Umgang mit Frauen mit chronischem Unterleibsschmerz ist es sehr hilfreich, nach prognostisch günstigen Faktoren („green flags“) zu suchen bzw. nach Hinweisen für einen schweren Verlauf („yellow flags“)[11]. Denn in Abhängigkeit von diesen Hinweiszeichen kann man die weitere Behandlung besser planen.
Zu den „green flags“ gehören:
- Aktive Bewältigungsstrategien (z. B. körperliches Training)
- Gesunde Lebensführung (ausreichend Schlaf, gute Ernährung)
- Sichere Bindungen; soziale Unterstützung
- Gute Arbeitsbedingungen
- Gelingende Arzt-Patientin-Beziehung
- Klinische Charakteristika für einen eher schweren Verlauf („yellow flags“) können sein:
- Mehrere Beschwerden (Unterleibsschmerz + chron. Müdigkeit + Kopfschmerz +..)
- Häufige bzw. anhaltende Beschwerden (d.h. die Frau ist selten beschwerdefrei)
- Dysfunktionale Gesundheits-/ Krankheitswahrnehmung (z.B. katastrophisierendes Denken); „Ärzte-hopping“
- Deutlich reduzierte Funktionsfähigkeit, lange arbeitsunfähig, sozialer Rückzug
- Hohe psychosoziale Belastung, wenig Sozialkontakte
- Psychische Komorbidität (Depression, Angststörung)
Kasuistik 1, Teil 2
Nachdem sich im Verlauf von zwei weiteren kurzfristigen Terminen ein klareres Bild ihrer schmerzhaften Erkrankung und der bio-psycho-sozialen Zusammenhänge ergeben hat und wir uns einig sind, dass eine erneute Bauchspiegelung keinen Sinn macht, verabrede ich mit Lena S. regelmäßige beschwerde-unabhängige Termine im Abstand von wenigen Wochen. Das klappt auch nach und nach, die „Not-Termine“ werden seltener.
Es gelingt in langen Gesprächen, den „Teufelskreis“ von Schmerz / Anstrengung / Überlastung/ Enttäuschung sichtbar zu machen, und vor allem mit ihr zusammen die Ziele zu begrenzen: Nicht schmerzfrei, aber doch wieder so stabil zu werden, dass sie eine Ausbildung anfangen kann. Begleitend zu diesen eher stützenden psychosomatischen Terminen läuft eine psychotherapeutische Behandlung bei einer Psychologin, bei denen Gewalterfahrungen in der Kindheit bearbeitet werden.
Um ein besseres Körpergefühl zu bekommen empfehle ich ihr eine stationäre Reha-Maßnahme in einer Einrichtung, die auf die Behandlung von Frauen mit Endometriose spezialisiert ist. Dort fühlt sie sich zwar leider nicht sehr wohl, weil sie „keiner ernst nimmt“(!) – aber sie hält die Zeit durch und beginnt mit einem leichten Konditions- und Sporttraining, außerdem lernt sie Entspannungs-Techniken. Danach schafft sie ein halbjähriges Praktikum in einer Verwaltung, wo die Mitarbeiter um ihre „Anfälligkeit“ wissen, sie mögen und es akzeptieren, dass sie gelegentlich bei starken Schmerzen schon mittags geht. Sie ist sehr stolz über diesen Erfolg und möchte im Anschluss eine Ausbildung beginnen.
Immer wieder ist das zentrale Thema in unseren Gesprächen: „Was wollen Sie, was trauen Sie sich zu, was hilft oder tut gut, und vor allem: Wer hilft?“ Sie geht aktiver mit ihrer schmerzbedingten Einschränkung um und lernt, die „Lächel-Maske“ gelegentlich abzusetzen und sich auch einmal trösten zu lassen. Die Beziehung zu ihrem Freund läuft wieder, Sex tut allerdings immer noch weh. Bisher ist keine weitere Operation erfolgt. Allerdings hat sie den letzten Termin abgesagt: Weil sie ihn nicht mehr braucht? Oder weil sie zur nächsten Ärztin gewechselt hat?
Therapie
Die Therapieziele beim chronischen Unterbauchschmerz sind wie bei allen somatoformen Schmerzstörungen begrenzt: Verbesserung der Lebensqualität, Verhinderung von Chronifizierung bzw. Begleitung bei eingetretener Chronifizierung, um selbstschädigendes, leider oft iatrogen mitgetragenes Verhalten zu reduzieren (rezidivierende operative Eingriffe, riskante Therapien). Letztlich geht es darum, mit der Frau „zu einem erweiterten Erklärungsmodell“ zu kommen „hin zu einem biopsychosozialen Modell“ [7].
Wenn es gelingt, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, wenn die Frau sich einlässt auf regelmäßige Gespräche und akzeptiert, dass viele kleine Schritte nötig sind statt einer großen Lösung – ist schon sehr viel gewonnen.
Das ist gerade bei leichteren Verläufen zu erreichen im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung durch den betreuenden Frauenarzt/ die Frauenärztin oder den Hausarzt/ die Hausärztin. Es geht immer wieder darum, die Beschwerden ernst zu nehmen und sie anschaulich zu erklären als bio-psycho-soziales Syndrom: d.h. mit der Patientin die Faktoren zu finden, die die Schmerzen auslösen oder reduzieren können. Dabei ist wichtig zu betonen, dass die Symptome zwar belastend aber nicht gefährlich sind, dass es gilt damit einen adäquaten „gelassenen“ Umgang zu finden, und das der Behandler/ die Behandlerin dabei eine stabile verlässliche Begleitung anbietet. Hilfreich sind alle Möglichkeiten der körperlichen Aktivierung – leichter Ausdauer-Sport, Yoga, autogenes Training. Schmerzmedikamente können zeitlich beschränkt eingesetzt werden, meist sind sie allerdings wenig hilfreich. Bei spezifischen Befunden – z. B. Endometriose – muss natürlich die entsprechende medikamentöse Behandlung (z. B. Gestagen-Dauertherapie) eingesetzt werden, immer mit Hinweis auf eine evtl. nur begrenzte Wirkung.
Bei schwereren Verläufen – s.o. „yellow flags“ – kommt es noch mehr darauf an, den Teufelskreis zwischen Dauerschmerz – Anspannung – depressivem Rückzug – Drängen auf somatische (operative) Behandlung usw. zu unterbrechen. Wenn immer möglich, sollte die Behandlung multimodal in einem Team erfolgen. Unter Federführung eines psychosomatisch-versierten Arztes/ Ärztin geht es um eine Kombination aus Physiotherapie, Psychotherapie, Entspannungsverfahren, Sozial-Training u.a. Dafür braucht man natürlich ein Netzwerk mit einem entsprechenden Versorgungskonzept, in das die Akteure eingebunden sind und sich regelmäßig austauschen. Besonders schwierig kann die Motivation für eine Psychotherapie sein: Die Patientin „hat ja etwas“ – aber sie sieht sich nicht als „Fall für den Psychiater“! Da kann gerade der somatische Arzt/ die Ärztin mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation die Weichen stellen. Wirksamkeitsnachweise gibt es für die kognitive Verhaltenstherapie, während für die anderen Psychotherapieformen die Datenlage nicht ausreichend ist.
Es gibt Situationen, in denen die ambulante Behandlung an ihre Grenzen stößt und eine stationäre Behandlung angezeigt ist. Das gilt natürlich bei akuter Selbstgefährdung (Suizidalität), aber auch bei besonders schwerem chronischen Schmerz, bei schwerer psychischer Ko-Morbidität, gelegentlich auch bei fehlender Behandlungsmotivation bzw. Fixierung auf das somatische Erklärungsmuster und bei ausbleibendem Erfolg der ambulanten Behandlung. Im stationären Kontext kann es leichter gelingen, ein abgestimmtes multimodales Konzept der Schmerzbehandlung akzeptabel und wirksam zu machen. Wenn die Klinik speziell darauf ausgerichtet ist, “können zuvor als therapieresistent geltende chronische Schmerzen im Zeitrahmen eines stationären Rehabilitationsaufenthaltes effektiv behandelt werden“ [12], d.h. die Wahl der „richtigen“ Klinik ist entscheidend.
Fall 2 oder: Der psychosomatische Ansatz lohnt sich
Frau W. ist inzwischen fast 80 Jahre alt. Mit Mitte 50 erkrankte sie an Vaginalkrebs, der strahlentherapeutisch erfolgreich behandelt wurde. Ich lernte sie kennen im Rahmen der sehr langwierigen Wundheilung, sie war eine der ersten Patientinnen in meiner frauenärztlichen Praxis. Nach Abschluss der Behandlung kam sie alle 3–4 Wochen notfallmäßig mit diffusen Schmerzen, mal drückend, mal brennend, für die sich kein fassbares Korrelat fand, die mich aber regelmäßig verunsicherten und ratlos machten. Immer wieder tastete ich alles ab, machte immer wieder Ultraschall, entnahm Abstriche, überlegte was das sein könnte, und machte mir Sorgen. Die Patientin ging jedes Mal sichtlich zufrieden weg, obwohl ich ihr keine rechte Erklärung geben konnte, bis auf: „Ich finde nichts, was nicht stimmt“. Ihre Dauer-Replik war: „Dann ist es ja gut“. Ich fühlte mich hilflos und ohnmächtig, stöhnte wenn sie sich anmeldete, wollte sie eigentlich los werden.
Nach Vorstellung dieses Falls in der Balintgruppe klärte sich: Es war die Angst, die dahinter steckte, und gleichzeitig ihr Unvermögen, das jemand mitzuteilen, denn ihr Mann wehrte alle Gespräche ab, weil sie ja wieder gesund sei.
Die Lösung war ein festes Therapiekonzept, in Absprache mit dem behandelnden Internist: Sie kommt alle drei Monate zu einem vereinbarten Termin. Dann erfahre ich, wie zwischenzeitlich ihr Leben ausschaut, höre mir gewissenhaft alle Beschwerden an: „Dann ist da noch etwas“ (Druckgefühl, Durchfall, Ausfluss, Abgeschlagenheit), untersuche sie gründlich körperlich, bestätige dass soweit alles in Ordnung ist bzw. dass die chronischen Beschwerden als Folge der Bestrahlung zu werten sind. Frau S. kommt niedergeschlagen und klagend in die Praxis und geht relativ zufrieden hinaus. Ich fühle mich nicht mehr unter Druck gesetzt, die Beschwerden „wegmachen“ zu müssen, sondern habe meine Aufgabe angenommen als „Zeugin“ und als „Abladestelle“. Das reicht! Frau S. hat in den letzten 24 Jahren nie mehr einen Not-Termin verlangt, der regelmäßige Kontakt alle drei Monate reicht ihr. Und ich freue mich, sie begleiten zu können bei ihrem aktiven Älter-Werden.
Diskussion
Viele Frauen, die sich immer wieder in der haus- und frauenärztlichen Praxis mit unklaren Unterleibsbeschwerden vorstellen, haben eine somatoforme Schmerzstörung. Die Situation ist belastend für die Betroffenen und die Ärzte/ Ärztinnen, weil sich trotz der oft erheblichen Beschwerden, verbunden mit Einschränkungen in der Lebensführung, kein eindeutig fassbares Korrelat findet. Es besteht die Gefahr des „Entweder-Oder“: Entweder wird immer wieder nach organischen Befunden gesucht, z.T. mit eingreifenden operativen Maßnahmen, oder die Frauen fühlen sich abgeschoben auf die Psycho-Schiene: „Sie haben nichts, das sind die Nerven“. Es besteht die Gefahr der Chronifizierung bzw. der Falschversorgung.
Das ist auch gesundheitspolitisch bedenklich. In der Leitlinie zur somatoformen Schmerzstörung [4] besteht starker Konsens: „Die Dauer, bis eine funktionelle Störung erkannt und eine spezifische Behandlung eingeleitet wird, beträgt durchschnittlich 3–5 Jahre“. Und weiter: “Bei Patienten mit schweren Verläufen nicht-spezifischer, funktioneller und somatoformer Köperbeschwerden finden sich eine relativ niedrige störungsspezfische Behandlungsquote von ca. 40% und eine relativ hohe „Nicht-Versorgungsquote“ von ca. 60 %“. Das führt zu einer hohen „dysfunktionalen Inanspruchnahme des Gesundheitssystems“ [4].
Im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung, für die die meisten Haus- und Frauenärzte qualifiziert sind, besteht die Chance einer adäquaten Diagnostik und Behandlung. Grundlage dafür ist die Schaffung einer stabilen vertrauensvollen langfristigen Beziehung, damit sich die Patientinnen einlassen können auf die Mehrdimensionalität der Ursaschen ihrer Beschwerden und auch der Behandlung. Nur so lässt sich das „doctor-hopping“ eingrenzen. Wie schwierig das ist, weiß jede/r, der/die in der Praxis damit konfrontiert ist. Die Patientinnen haben spürbar hohe Ansprüche, sie setzen unter Druck und sind selbst schnell enttäuscht. Das zu wissen, die Frau ernst zu nehmen und konsequent eine bio-psycho-soziale Haltung einzunehmen, kann der Beginn einer dann sehr lohnenden Beziehung sein. Das Wissen um „green“ bzw. yellow flags“ ist hilfreich, um die Schwere und die Therapieintensität einschätzen zu könne. Idealerweise gibt es zur Durchführung einer multimodalen Therapie ein lokales Netzwerk, in das man die Patientin je nach Situation gezielt vermittelt. Die Kooperation entlastet die einzelnen Behandler/ Behandlerinnen und nützt den Patientinnen, aus „nervenden“ Patientinnen werden interessante Persönlichkeiten.
Zusammenfassung
Somatoforme Schmerzen, d.h., chronische Schmerzsyndrome ohne eindeutiges körperliches Korrelat, sind eine besondere Herausforderung in der ärztlichen Praxis. Sie treten bei Männern wie bei Frauen auf, aber Frauen berichten doppelt bis dreifach so häufig darüber, d.h. es ist ein typisches „Frauen-Thema“. Wichtig ist eine konsequente bio-psycho-soziale Haltung von Anfang an, um der Multidimensionalität sowohl der Ursachen wie auch der möglichen Behandlung Rechnung zu tragen. Von besonderer Bedeutung und gleichzeitig schwierig ist der Aufbau einer tragfähigen verlässlichen Beziehung.
Im Beitrag soll beispielhaft auf die psychosomatischen Aspekte beim chronischen Unterbauchschmerz der Frau eingegangen werden, einem in der hausärztlichen wie in der gynäkologischen Praxis sehr häufigen Syndrom, für das in 60 bis 80 % die Diagnosekriterien der somatoformen Schmerzstörung zutrifft. Haus- und Frauenärzte/-ärztinnen mit psychosomatischer Grundversorgung haben die Chance, die Erkrankung frühzeitig zu erkennen und eine (iatrogene) Chronifizierung zu verhindern. Der Schwerpunkt liegt auf der adäquaten Kommunikation, der Einschätzung des Schweregrades und der darauf basierenden abgestuften multimodalen Therapie.
Schlüsselwörter
Somatoforme Schmerzstörung, Chronischer Unterleibschmerz (CUS), Psychosomatik
Korrespondenzadresse
Dr. med. Claudia Schumann
Frauenärztin / Psychotherapie
Hindenburgstraße 26
37154 Northeim
T +49 5551 3483
E ClaudiaSchumann@t-online.de
www.dr-claudia-schumann.de
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